Alles begann mit einer jungen Violinlehrerin

Das Kammerorchester in Murrhardt geht auf Helene Steck zurück, die es drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gründete. Aus dem privat aufgestellten Ensemble hat sich eines entwickelt, das heute Teil der Musikschule ist und ein generationsübergreifendes Musizieren ermöglicht.

Alles begann mit einer jungen Violinlehrerin

Das Orchester bei seinem Konzert anlässlich des zehnjährigen Bestehens. Foto: Musikschule

Von Christine Schick

Murrhardt. Das Kammerorchester Murrhardt ist einerseits von Kontinuität geprägt, andererseits besteht die Aufgabe darin, immer wieder auch junge Menschen neu fürs Ensemble zu gewinnen. Diese Arbeit ist mittlerweile über die beachtliche Wegstrecke von 75 Jahren gelungen – mit Höhen und Tiefen sowie Veränderungen der Rahmenbedingungen, welche die Zeit so gut wie selbstverständlich mit sich bringt.

Rudolf Gerke ist nicht nur Orchestersprecher, er spielt auch bereits seit 40 Jahren im Ensemble mit. Als damals Murrhardt zu seiner Wahlheimat wurde, stieß er zum Kammerorchester. Er spielt Bratsche und Geige, wird aber vor allem als Bratschist eingesetzt, weil besagtes Instrument einfach seltener gespielt wird, erzählt er. Wenn er an die Anfänge des Orchesters denkt, wird ihm immer wieder klar, dass die Walterichstadt letztlich von einem glücklichen Umstand in schwierigen Zeiten profitiert hat. „Die Gründerin Helene Steck, die damals als Geigenlehrerin in Stuttgart lebte, wurde 1944 ausgebombt und floh zu ihren Eltern nach Murrhardt. Ihr Vater war Forstamtsleiter“, erzählt Rudolf Gerke.

Konzerteintritt kostet 16 Pfennige

Die junge Frau hob nicht nur eine Violinschule, sondern 1948 auch das private Streichorchester aus der Taufe, das anfangs aus ihren Schülerinnen und Schülern bestand. Das erste Konzert fand 1949 im Saal der Sonne-Post statt. „Sie war eine echte Pionierin“, stellt Judith-Maria Matti, Leiterin der Musikschule Schwäbischer Wald/Limpurger Land, unter deren Dach das Ensemble heute firmiert, fest. Rudolf Gerke ergänzt, dass Helene Steck (selbst-)bewusst auf die Anrede „Fräulein“ bestanden und in Bezug auf das Kammerorchester nicht allein klassische gutbürgerliche Familien erreicht habe, sondern auch solche aus dem Handwerk. Zu den Anfängen des rein privat geführten Ensembles gehört auch, dass beim Konzert ein Eintritt verlangt wurde. „Der kostete 16 Pfennige, das war ein stolzer Preis, entsprach in etwa einer Stunde Arbeitslohn“, so Gerke. Helene Steck leitete das Streichorchester rund 20 Jahre.

1967 ergab sich eine neue Konstellation: Wie Helene Steck berichtet habe, sei sie aufs Murrhardter Rathaus gebeten worden, wo sie Bürgermeister Helmut Götz und Volkshochschulleiter Wilhelm Seibold mit der für sie überraschenden kurzen Aussage „Das Orchester gehört jetzt zur Volkshochschule“ konfrontierten. Was zunächst sicher irritierend und auch nicht unumstritten war, erwies sich später als gelungener Schachzug, da mit der teils auch städtischen Trägerschaft eine gewisse finanzielle Sicherheit einherging. Zudem: „Wilhelm Seibold war sehr musikbegeistert“, sagt Gerke. Entscheidend war später, dass das Kammerorchester den weiteren Weg mit der Musikschule ging, die 1990 kommunalisiert wurde und mit Uwe Matti einen engagierten Leiter fand.

Altersspanne reicht von elf bis 75 Jahre

Mittlerweile hat die Musikschule Schwäbischer/Wald Limpurger Land ein großes, kreisübergreifendes Einzugsgebiet und ist als Verein organisiert. Die Verbindungen sind geblieben. Rudolf Gerke ist nicht nur Orchestersprecher, sondern auch Vorsitzender des Musikschulvereins, der es Schülerinnen und Schülern ermöglicht, im Kammerorchester mitzuspielen. Brücken bauen dabei auch gemeinsame generationsübergreifende Projekte. „Unser jüngstes Orchestermitglied ist elf Jahre alt“, sagt Gerke, auch wenn die Erwachsenen ab etwa 40 Jahre die Mehrheit stellen. Die Altersspanne reicht aktuell bis 75 Jahre. Die rund 20 Mitglieder stammen aus unterschiedlichen Städten und Gemeinden, die größte Gruppe stellt Welzheim, weitere Mitglieder kommen aus Murrhardt und Backnang sowie verschiedenen Kommunen des Einzugsgebiets der Musikschule. Zur Kontinuität der gemeinsamen Arbeit trägt auch ganz konkret das langjährige Engagement von Dirigent Matthias Baur bei, der das Ensemble seit 23 Jahren begleitet. Lag unter der Regie von Ferdinand Unsöld der musikalische Schwerpunkt in den 1970- und 1980er-Jahren noch stärker auf barocken Werken, so hat sich das Spektrum inzwischen bis zu Kompositionen des 20. Jahrhunderts ausgeweitet. Neben dem Dirigenten ist auch das Mitglied, das die erste Violine spielt, Profimusikerin oder Profimusiker. Der Hintergrund: Die erste Violine hat eine gewichtige Aufgabe, nämlich alle zentralen Anleitungen ins Orchester hinein zu kommunizieren. Dies leistet seit über 20 Jahren Konzertmeisterin Sandra Stock, die zudem an der Musikschule Violine und Viola unterrichtet.

Möglich sind ein bis zwei Konzerte im Jahr, rechnet man im Schnitt mit zehn bis 15 Proben. „Das Kammerorchester unter dem Dach der Musikschule zu haben ist ein Riesengewinn, für alle eine große Bereicherung“, sagt Judith-Maria Matti. Der 75. Geburtstag wird am Sonntag, 7. Mai, mit einem Jubiläumskonzert gefeiert.

Alles begann mit einer jungen Violinlehrerin

Dirigent Matthias Baur begleitet das Ensemble seit dem Jahr 2006.

Alles begann mit einer jungen Violinlehrerin

Das Kammerorchester Murrhardt bei der Probe fürs Jubiläumskonzert in der Musikschule. Fotos: Stefan Bossow

Jubiläumskonzert in der Festhalle

Konzert Das Jubiläumskonzert des Kammerorchesters findet am Sonntag, 7. Mai, um 19 Uhr in der Murrhardter Festhalle statt. Auf dem Programm stehen Werke von Giuseppe Antonio Vincenzo Aldrovandini, Giovanni Battista Pergolesi, Edvard Grieg und Dmitri Schostakowitsch. Als Solisten wirken Julia Chekulaeva (Klavier), Jan-Peter Scheurer (Trompete) und Sandra Stock (Violine) mit. Die Leitung hat Matthias Baur. Der Eintritt ist frei, es wird um eine Spende für die musikalische Arbeit gebeten.

Leitung Dirigent der Gründungszeit war Georg Walter, auf ihn folgten Ferdinand Unsöld, Urs Läpple und Matthias Baur.