Altes Statistikamt weiterhin eine Option
Inzwischen hat die Stadt 10 000 Flüchtlinge untergebracht. Das Migrationsministerium widerspricht der Aussage eines Amtsleiters.
Von Konstantin Schwarz
Stuttgart - Inzwischen hat Stuttgart mehr als 10 000 Geflüchtete in eigenen oder angemieteten Unterkünften untergebracht. Diese Marke ist im April erreicht worden. Die jüngste Zahl (30. Juni) nennt 9974 Schutz suchende Menschen in angemieteten Wohnungen, Hotels, Pensionen, Hallen und Modulbauten. „Ein- und Auszüge aus den städtischen Unterkünften halten sich zurzeit die Waage, zum Glück finden die Menschen Wohnraum“, sagt Daniel Benneweg, der Leiter der Abteilung Flüchtlinge im Sozialamt.
Neben der vom Land verfügten Quote, die bedeutet, dass Stuttgart aktuell 6,744 Prozent der neu ins Land kommenden Asylbewerber aufnehmen muss, arbeitet die Stadt Altlasten ab. Ende 2023 hatte das Ministerium von Marion Gentges (CDU, Justiz/Migration) Stuttgart ein hohes Defizit bei der Unterbringung vorgeworfen. Die Zahlen seien außer mit Stuttgart mit keiner anderen Kommune strittig, so das Ministerium. Anschließend wurde die langjährige überproportionale Aufnahme jüdischer Kontingentflüchtlinge in Stuttgart anerkannt.
Mit dem für die Flüchtlingsverteilung zuständigen Regierungspräsidium Karlsruhe und dem Ministerium sei ein Abbauplan vereinbart worden, der das Defizit kontinuierlich verringere, so die städtische Pressestelle. Das Saldo liege inzwischen bei 310 Menschen. Bis zum Jahresende muss die Bilanz ausgeglichen sein. „Nach heutigem Stand wird das gelingen“, so der Abteilungsleiter.
Seit November 2023 geht die Zahl an Asylerst- und Folgeanträgen im Land gegenüber dem Vorjahr zurück. Im Juni 2024 gab es einen Zugang von 1795 Menschen, 1118 weniger als im Vorjahresmonat. Die Zahl der von Stuttgart untergebrachten Flüchtlinge hat sich seit 2021 mehr als verdoppelt. Ende 2021 waren es 4242 Menschen, im Folgejahr 8365, Ende 2023 dann 9960 Menschen.
Neben dem regulären Zugang muss Stuttgart damit rechnen, dass das Ministerium eine oder zwei Landeserstaufnahmeeinrichtungen (Lea) in Stuttgart aufbaut. Favorisiert werden dafür Bürogebäude in Weilimdorf (bis zu 1300 Plätze) und Obertürkheim (600), aber auch das frühere IBM-Areal in Vaihingen und das alte Statistische Landesamt in Heslach sind noch im Rennen, auch wenn die Stadt sich für das Statistikamt mit dem Land über den Kaufpreis (28,9 Millionen Euro) verständigt hat. Der Verkauf stehe „in Abhängigkeit der Realisierung der anderen in der Prüfung stehenden Standorte“, schreibt Gentges auf eine Anfrage des FDP-Landtagsabgeordneten Friedrich Haag.
Für eine Überraschung in Sachen Erstaufnahmeeinrichtungen hatte der neu gewählte Leiter des städtischen Liegenschaftsamtes gesorgt. In der letzten Sitzung des Gemeinderates vor der Sommerpause hatte Rafael Sänger vor dem Standort Obertürkheim gewarnt. Den sehe er äußerst kritisch, weil dann „ein Teil des Lea-Privilegs nach Esslingen wandern“ würde. Ein „gut ausgehandeltes Privileg“ könne die Situation in Stuttgart allerdings entspannen.
Bei den Bürgervertretern und auf der Bürgermeisterbank sorgte Sängers Aussage für Stirnrunzeln. Richtig ist, dass Kommunen mit einer Lea bei den regulären Zuweisungen von Asylbewerbern entlastet werden – um bis zu 100 Prozent. Aber ein freihändiges Aushandeln wird es nicht mehr geben. Die Entlastung wird in der Neufassung der Durchführungsverordnung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes „grundsätzlich im Verhältnis zur Größe der Einrichtung und der Aufnahmeverpflichtung des Kreises verbindlich berechnet“, so das Justizministerium. Noch ist die Verordnung nicht veröffentlicht.
Pro Jahr würden 20 Prozent der Lea-Kapazität angerechnet, bei 1000 Personen würden einer Kommune pro Jahr 200 Menschen weniger zugewiesen werden, nach fünf Jahren 1000. Dem Vernehmen nach soll die Entlastung in weiteren Jahren jährlich 20 Prozent ausmachen. Dass ein Teil der Entlastung im Stuttgarter Fall Esslingen zugeschlagen werden könnte, verneint das Ministerium entschieden. „Diese Aussage entbehrt jeder fachlichen Grundlage“, so ein Sprecher. Der Landkreis Esslingen könne bei Zuteilungen in die vorläufige Unterbringung „nur privilegiert werden, wenn sich eine Lea in seinem Kreisgebiet befindet“.