Die Beschäftigten am Bosch-Standort in Murrhardt zeigen sich kämpferisch. Bei der Protestaktion wird auch farblich unterstrichen, was die IG Metall durchsetzen will. Foto: Stefan Bossow
Von Christine Schick
Murrhardt. Kurz vor 10 Uhr finden sich die ersten Beschäftigten vor dem Eingang des Murrhardter Bosch-Werks am Mittwochvormittag ein und es werden rasch mehr. Kappen werden aufgesetzt, Fahnen geschultert und Plakate aufgespannt. Das IG-Metall-Rot und -Logo ist flächendeckend präsent. Eine Mitarbeiterin geht mit einer gefüllten Tüte Trillerpfeifen durch die Reihen, bei denen sich die Frauen und Männer bedienen können. Auch das eine oder andere Wiedersehen nach längerer Homeofficephase wird so möglich, sprich, es sind nicht nur allein die Beschäftigten aus der Produktion, die sich an der Aktion beteiligen. Jürgen Voag, Betriebsratsvorsitzender bei Bosch in Murrhardt und zweiter ehrenamtlicher Bevollmächtigter bei der IG Metall Waiblingen, schätzt später mit ein paar Kolleginnen und Kollegen, dass um die 240 Beschäftigte zur Kundgebung gekommen sind.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Tarifverhandlungen ist es die dritte Aktion von Beschäftigten am Murrhardter Standort – nach der Beteiligung an einer Kundgebung in Kornwestheim und einer Frühschlussaktion am vergangenen Freitag, bei der zahlreiche Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit vorzeitig beendet haben. „Wer die Preise kennt, weiß, wie richtig die Forderung einer Acht-Prozent-Erhöhung ist“, sagt Jürgen Voag zum Auftakt der Protestaktion. Seit 2021 hätten die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie ihre Preissteigerungen an die Kunden weitergegeben und die Erzeugerpreise um 13,7 Prozent erhöht. Mittlerweile liege die Inflation über zehn Prozent. Nachdem auch die vierte Verhandlungsrunde am Dienstag ohne entsprechende Ergebnisse verlaufen war, stellt der Betriebsratsvorsitzende fest, dass die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie – auch am Standort – Angebote erwarteten, „über die man reden kann“. Angebote jenseits der Einmalzahlung von 3000 Euro über 30 Monate sollten der Arbeitnehmerseite eine Nachhaltigkeit bieten, die diese jetzt einfach benötigten. Und bis dahin gelte es, den Druck aufrechtzuerhalten.
Insofern kündigt Jürgen Voag an, dass in der kommenden Woche am Dienstag eine Kundgebung in Waiblingen auf dem Programm stehe. Kommt es in den weiteren Gesprächen zu keiner Einigung, laufe dies auf eine Urabstimmung mit Blick auf Arbeitsniederlegungen hinaus. „Das würde Streik bedeuten. Wir wollen das nicht, haben aber auch keine Angst davor“, so Voag. Olaf Kuttenreich, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Bosch in Murrhardt, unterstreicht die Forderung nach acht Prozent mehr Geld für die Beschäftigten genauso wie Sandra Kocken, Gewerkschaftssekretärin bei der IG Metall Waiblingen. Sie ist Betriebsbetreuerin und für die Vertrauensleute Waiblingen zuständig und stellt fest, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anders als ein Unternehmen wie Bosch die gestiegenen Preise nicht weitergeben könnten. Auch sie halte das Angebot der Einmalzahlung über zweieinhalb Jahre für nicht ausreichend und problematisiert ebenso Gegenforderungen der Arbeitgeberseite wie eine dauerhafte Variabilisierung von tariflichen Sonderzahlungen wie dem Urlaubs- und Weihnachtsgeld, sprich mögliche Kürzung, ohne das Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht von IG Metall beziehungsweise Betriebsrat. Damit tasteten diese alte, seit Langem erkämpfte Errungenschaften an.
Schon am vergangenen Dienstag gab es im Südwesten eine Reihe von Warnstreiks, gestern reihten sich im Rems-Murr-Kreis neben Beschäftigten von Bosch in Murrhardt auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Stihl, Syntegon Technology GmbH und Bosch WaP in Waiblingen mit Aktionen ein. Nun ist die Situation des Bosch-Werks in Murrhardt vor dem Hintergrund von Neuausrichtung und dem Abbau eines Teils der Stellen (wir berichteten) eine spezifische. Die Perspektive bei den aktuellen Tarifverhandlungen müsse aber trotzdem erst einmal eine übergreifende sein, ergänzt Jügen Voag später auf Anfrage. Tarifvertrag und Verhandlungsergebnisse hätten genauso für den Standort wichtige Konsequenzen, sei es für die einzelnen Beschäftigten oder Ruhestandsregelungen sowie selbst für Kolleginnen und Kollegen, die sich entschließen zu einem anderen Unternehmen zu wechseln, da die Ergebnisse letztlich auch Vorbildcharakter für andere, nicht mehr tarifgebundene Unternehmen der Branche hätten. Nach Abschluss der kompakten Protestaktion von etwa einer halben Stunde nehmen die Beschäftigen ihre Arbeit wieder auf.