Aufruf zur Rebellion: Handy wegwerfen

Musikkabarettistin Annette Kruhl befasst sich bei ihrer Vorstellung in Murrhardt mit dem Diktat des Smartphones

Mit ihrer siebten Solo-Show „Männer, die auf Handys starren“ ist Annette Kruhl absolut auf der Höhe der Zeit. Sie setzt sich mit dem Smartphone als Kulturphänomen auseinander, wobei sie auch die Frauen aufs Korn nimmt.

Aufruf zur Rebellion: Handy wegwerfen

Annette Kruhl nimmt sich das Smartphone zur Brust, das längst die sozialen Beziehungen dominiert, wenn nicht ersetzt hat. Foto: J. Fiedler

Von Carmen Warstat

MURRHARDT. Es ist wie immer. Vor Veranstaltungsbeginn starren zwar nicht alle auf ihre Handys, aber viele. Sehr viele. Männer und Frauen. Gründe dafür gibt es unzählige oder keinen, denn wichtig ist das meistens nicht wirklich, und es sieht heutzutage auch nicht mehr wichtig aus. Oder cool. Im Grunde weiß jeder: Hier wird einer Sucht nachgegeben.

Diese Sucht hat Annette Kruhl zum Thema ihrer neuen Bühnenshow gemacht. Im Murrhardter Heinrich-von Zügel-Saal trifft sie auf nicht ganz einfacher Verhältnisse. Eine richtige Bühne gibt es nicht. Vielmehr befindet sich das Podium unterhalb ihres kleinen Publikums. Wie in einem Amphitheater. Die Atmosphäre ist kühl, das Publikum wirkt zurückhaltend. Aber Annette Kruhl ist professionell genug, um sich davon nicht Bange machen zu lassen. Sie kommt, freut sich, der Saal hallt, das Wetter sei super. Laut Handy. Stundenlang war sie nicht draußen, aber sie hat ja eine App dafür. „Connected mit der Welt da draußen“, heißt das dann. Da macht sie auch schon „ein Foto von Ihnen“ und dann noch ein Selfie mit allen, mittels Selfiestange natürlich. „Darf ich? Ja?“, hat sie vorher gefragt. Als sie es auf Facebook postet, schon nicht mehr. Ungefragt findet sich ein kleiner Saal im Netz wieder. Die Künstlerin führt vor, wie schnell das geht, sie deutet an. Freilich postet und chattet die Künstlerin an diesem Abend nicht wirklich, aber sie demonstriert die Mechanismen auf unterhaltsame Weise.

Dies gelingt per Stand-up-Comedy und auch musikalisch. Annette Kruhl kann singen – und wie! Sie begleitet sich am Klavier und versteht es, beide Elemente zu verbinden. Ironisch, manchmal frivol, frech und auf den Punkt. Barry Manilows „Mandy“ wird zu „Handy, oh Handy“ – Anette Kruhl singt ins Smartphone am Selfiestick. Dann verschafft die Künstlerin sich „einen Überblick über die digitale Lage im Raum“ und erfragt, welche Handys die Gäste in ihren Taschen haben. Sie zieht ihre psychologischen Schlüsse daraus und bezieht gern die Wahl der Klingeltöne und das Telefonierverhalten mit ein, wenn sie „verlässliche Persönlichkeitsprofile“ erstellt: „Beamtenmentalität“ heißt es dann abschätzig, „Typ Muttersöhnchen in blauer Bundfaltenhose“ oder „Typ Rampensau“. Fakt ist auch hier und heute: „Niemand hat gar kein Handy.“

Ah, ein Anruf aus der Umkleidekabine bei H&M: Eine Freundin hat ein Problem, irgendwie hakt wohl der BH. Auch körpersprachlich führt die Kabarettistin es vor und sagt: „Unglaublich wie viel dummes Zeug geredet wird!“

Dann reiht sie nichtssagende Floskeln aneinander und lässt das Publikum ein minutenlanges Gespräch belauschen, das allerdings auf ihrer Seite mit drei Worten auskommt: Ja – Nein – Scheiße. Annette Kruhl modelliert diese Worte stimmlich so wirkungsvoll, dass die Fantasie erblüht und erahnen lässt, wovon da am anderen Ende der Verbindung wohl die Rede ist. Beklagenswert: Männer in Bars, denn keiner flirtet mehr. „Die gucken nur noch auf ihre Handys!“ Aber Annette Kruhl möchte „nicht als verbitterte Kabarettistin enden“. Deshalb geht sie auf Dating-Portale. Denn sie will in das Herz der Samstagnacht hinein, „Stumbling Through The Heart Of Saturday Night“, singt sie sehr schön, sie braucht ein Date.

Eine andere Nummer heißt „Tausend tolle Typen“ und endet in einem Gebrüll, das an Gernot Hassknecht aus der Heute-Show erinnert. Die weibliche Variante. Annette Kruhl kann auch hysterisch kreischen und richtig nerven. Inzwischen sind zehn Nachrichten auf dem Handy eingegangen, und man ahnt, was die Künstlerin in der Pause tun wird.

Danach geht es um Polizisten-Dating und Veganerinnen, um Facebook-Likes und Nostalgie. Die guten alten Telefonzellen und so. Früher, ja... Die Kabarettistin sagt und singt es. Das musikalische Spektrum ist breit und reicht vom Rock’n’Roll über das französische Chanson und Tom Waits bis hin zum sanften Schmusesong, einer Helene-Fischer-Parodie und einem ganz neuen eigenen „Lied über Anerkennung“, das als Zugabe erklingt. „Seien Sie Rebellen! Schmeißen Sie Ihre Handys einfach weg!“, hat Annette Kruhl zuvor noch ausgerufen und so die Moral der Geschichte explizit gemacht. Denn übrigens: In London sollen schon die Laternenmasten gepolstert werden, damit sich beim Dagegenrennen niemand verletzt.