US-Wahl 2024
Die vielen Gesichter des J.D. Vance
Erst war er der Mann fürs Grobe, im Endspurt zur US-Präsidentschaftswahl versucht sich J.D. Vance jetzt in einem anderen Ton. Donald Trumps „Running Mate“ hat sich in der Vergangenheit immer wieder neu erfunden.
Von Theresa Schäfer
Es war kein Heimspiel. Während Donald Trump beim erzkonservativen Sender Fox News in seiner Komfortzone bleibt, versuchte sein „Running Mate“ J.D. Vance auf den letzten Metern im US-Wahlkampf noch einmal, seine Hand weit ins andere Lager auszustrecken: Mit einem Besuch bei der New York Times.
Der republikanische Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten ließ sich von der Journalistin Lulu Garcia-Navarro für den Podcast der liberalen Tageszeitung interviewen. Viele Menschen, eröffnete Garcia-Navarro das Gespräch, hätten ihr im Vorfeld eine Frage gestellt: „Welcher J.D. Vance wird auftauchen?“ Worauf sie damit anspielte: Der Senator von Ohio hat viele Gesichter.
J.D. Vance als „Middle America“-Erklärer
„J.D. Vance ist ein widersprüchlicher Charakter und hat eine widersprüchliche Biografie“, sagt auch Johannes Thimm, Politikwissenschaftler und Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „Er betont einerseits sehr stark seine Wurzeln in einer ländlich amerikanischen Unterschicht.“ Der 1984 geborene Vance wuchs im „Rust Belt“ in prekären Verhältnissen auf: Weil seine Mutter mit Drogenproblemen zu kämpfen hatte, zog er als Kind bei seiner Großmutter ein. Nach der Schule ging er zum Militär, diente im Irak. Später schrieb er ein Buch über sein Aufwachsen in einer Schicht, die die Amerikaner abfällig „White Trash“ nennen: „Hillbilly Elegy“. Nach der Wahl von 2016, die Hillary Clinton an Donald Trump verlor, tourte Vance als eine Art „Middle America“-Erklärer durch die Nachrichtensender. „Er galt als einer, der den abgehobenen Eliten erklären kann, wie die Menschen ticken, die Trump wählen.“
Aber das ist eben nur die eine Seite des J.D. Vance. Denn mit einem Jura-Abschluss der der elitären „Yale Law School“ in der Tasche zog er aus, um in der Investmentfirma des Tech-Milliardärs Peter Thiel im kalifornischen Silicon Valley Karriere und das große Geld zu machen. Der unterstützte seinen Protegé 2022 auch bei seiner Kandidatur für den US-Senat. Verheiratet ist Vance mit einer Yale-Absolventin: Usha Chilukuri, Tochter eines indischen Ingenieurs und einer Hochschulprofessorin. Sie arbeitete für die Supreme-Court-Richter John Roberts und Brett Kavanaugh. „Diese Seite von J.D. Vance ist hochgradig elitär und ganz weit weg von der Mitte Amerikas“, meint der Politikwissenschaftler Thimm.
Dass Vance bei Bedarf seine Haltung fix anpassen kann, zeigt sich in seinem Verhältnis zu Donald Trump: Früher war Vance nämlich einer seiner lautesten Kritiker, verglich ihn mit Adolf Hitler und nannte ihn eine „Droge für die Massen“. Dann wollte er Senator von Ohio werden und erkannte, dass das ohne Trumps Segen schwer werden würde. Also vollzog er eine 180-Grad-Wende. Trump kommentierte es genüsslich: „J.D. küsst mir den Hintern, weil er meine Unterstützung so sehr will.“
Als wolle er so viel Distanz wie möglich zwischen sich und seine Yale-Vergangenheit bringen, ist Vance in diesem Wahlkampf der Mann fürs Grobe geworden. Es scheint, als habe er sich zum Ziel gesetzt, Trump mit unerhörten, unbewiesenen Aussagen noch zu übertreffen. Beliebt macht ihn das nicht: „Von allen vieren – Harris, Walz, Trump, Vance – hat er die schlechtesten Popularitätswerte“, sagt Thimm. Dazu holen den Republikaner noch Aussagen aus der Vergangenheit ein: Dass er 2021 über „childless cat ladies“ („kinderlose Katzen-Frauen“) lästerte, die angeblich den Kurs der demokratischen Partei bestimmten, brachte ihm keine Pluspunkte – vor allem nicht bei den Wählerinnen, bei denen die Republikaner ohnehin einen schweren Stand haben.
Durch Vance fänden obskure Verschwörungstheorien aus rechten Plattformen im Internet ihren Weg in den nationalen Diskurs, sagt der Politikwissenschaftler Thimm. Bestes Beispiel: Als Donald Trump im TV-Duell mit Kamala Harris plötzlich unvermittelt behauptete, Migranten aus Haiti äßen die Haustiere der Bewohner von Springfield, Ohio. Eine Falschaussage, die mittlerweile von vielen Seiten widerlegt wurde. Ursprünglich hatte J.D. Vance sie aus den Untiefen des Internets gefischt.
Im Endspurt vor der Wahl am 5. November versucht Vance es jetzt mit einem anderen Ton. Sachlicher, konzilianter – so wie bei der TV-Debatte mit dem demokratischen Vizekandidaten Tim Walz, wo Vance gar nicht aufhören konnte, „Da stimme ich Ihnen zu“ zu sagen. Beiden ging es vor allem um eines: Wählbar wirken – auch für die andere Seite. Hastig versucht der Republikaner auf den letzten Drücker auch noch, sich beim Thema Abtreibungsrecht moderater zu positionieren. Es sei doch kein Problem, wenn ein Bundesstaat wie Kalifornien eine liberalere Regelung habe als zum Beispiel Ohio, sagte er in dem Podcast der „New York Times“. „Ich habe kein Problem damit, wenn die Staaten eine Entscheidung treffen, die J.D. Vance und Donald Trump so nicht treffen würden.“
Dass Donald Trump 2020 die Wahl gegen Joe Biden verloren hat, hört man aber auch bei dieser neuen, die Mitte umwerbenden Version von J.D. Vance nicht. Bis heute erkennt Trump seine Wahlniederlage nicht an – und die Frage, was er im Falle einer Niederlage im November tun würde, lässt er bewusst offen. Genauso sein „Running Mate“. Mehrmals fragte Garcia-Navarro nach; Vance antwortete mit Gegenfragen oder sagte, er konzentriere sich auf die Zukunft. „Er stellt sich da völlig bedingungslos hinter Trump“, analysiert der USA-Experte Thimm Vances Haltung. „Und das ist auch das, was wir von ihm im Amt zu erwarten hätten. Wenn Trump verfassungsrechtlich problematische Entscheidungen trifft, wenn er gegen Gesetze verstößt – Vance wird sich ihm nicht in den Weg stellen.“