Ein Gotteshaus mit 1300-jähriger Geschichte

Bei der Führung durch die Walterichskirche informiert Kirchenführer Andreas Griche über die Vorgängerbauten, zeigt künstlerisch bedeutende Überreste und Grabmäler und weist auf die jahrhundertelange Funktion als Gemeinde- und Wallfahrtskirche hin.

Ein Gotteshaus mit 1300-jähriger Geschichte

Andreas Griche (Zweiter von rechts im roten Shirt) und Kirchenführermentor Martin Pfender (Mitte) brachten den Teilnehmern die Geschichte der Walterichskirche näher. Fotos: Elisabeth Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Die Walterichskirche hat eine außergewöhnlich lange Geschichte, weshalb sie unter Denkmalschutz steht. Erst seit der Reformation trägt sie den Namen Walterichs, der erster Abt des einstigen Benediktinerklosters war und den die Bevölkerung als wundertätigen Heiler verehrte. Zuvor war die Gemeindekirche der Gottesmutter Maria geweiht. „Der heutige Bau wurde 1489 fertiggestellt, worauf die Jahreszahl über der Tür hinweist, doch gab es drei Vorgängerbauten“, erklärt Kirchenführer Andreas Griche vor etwa 15 Interessierten. Ab und zu ergänzt Martin Pfender, Mentor des Kirchenführerteams, unterstützend seine Ausführungen.

Die archäologische Ausgrabung des Landesdenkmalamts 1963 unter der Leitung des Kunsthistorikers und Archäologen Bodo Cichy, den Heimatgeschichtsexperte Rolf Schweizer als Ortskundiger unterstützte, ermöglichte entscheidende Erkenntnisse über die Baugeschichte. Dabei entdeckte man im Bereich des Chors Reste eines römischen Tempels und in der Mitte des Schiffs fand Bodo Cichy Pfostenlöcher der aus Holz erbauten sogenannten Urkirche, deren Bau er auf den Zeitraum von 700 bis 750 datierte. Damals gab es laut Andreas Griche am Ort des einstigen Römerkastells eine kleine fränkische Siedlung und einen königlichen Gutshof.

Auf Anordnung Kaiser Karls sollten keine Holzkirchen mehr gebaut werden

Er diente wohl wie eine „kleine Pfalz“ auch als Rastplatz und Übernachtungsmöglichkeit für hochrangige Gäste. Das Anwesen leitete ein Adeliger, der vermutlich die nur etwa sechs mal vier Meter kleine Eigenkirche erbauen ließ. Welche Rolle dabei der Wandermissionar Pirmin spielte, auf dessen Aktivitäten eine Notiz des Historikers Gallus Öhem im Kloster Mittelzell auf der Insel Reichenau im Bodensee hinweist, ist laut Martin Pfender in der Forschung umstritten. In karolingischer Zeit, wohl um 820, folgte ein etwa 8,4 mal 5,6 Meter großer Steinbau. Denn Kaiser Karl der Große hatte angeordnet, keine Holzkirchen mehr zu bauen, da Steinkirchen wesentlich haltbarer und sicherer waren.

Um 1100 erbaute man eine romanische Kirche, die mit 14,4 Metern deutlich länger, mit 6,6 Metern indes nur unwesentlich breiter war. Über deren Aussehen und Ausstattung sei kaum etwas bekannt, doch blieben zwei Steinobjekte erhalten, die an der linken Kirchenschiffwand befestigt sind. Ein Türbogenfeld oder Tympanon von der um 1200 geschaffenen Wallfahrtspforte weist drei Medaillons auf: In der Mitte befindet sich das Lamm Gottes, links Maria und rechts ein sternförmiges Symbol, das wohl auf Jesus Christus als Sonne, sprich Licht der Welt hinweist. Darunter zeigt ein schmaler, langer Stein, dessen Funktion jedoch unklar ist, zwei gegeneinander kämpfende Löwen. Möglicherweise könnte er der Rest einer Chorschranke sein.

Um 1340 errichtete man den Chor und den Turm, wegen der großen Pestpandemie folgte eine jahrzehntelange Zwangsbaupause, bis im 15. Jahrhundert die Umgestaltung des romanischen zum gotischen Kirchenbau fertiggestellt werden konnte. Den Altar schmückt ein Steinrelief auf einer ehemaligen Grabplatte: Bisher deutete man die Darstellung eines stilisierten Baums als Lebensbaum, die Taube an der rechten Seite als Symbol des Heiligen Geistes. Andreas Griche wartete nun mit einer neuen Interpretation auf: Das Relief folge frühchristlichen Motiven. Der Baum soll eine Zypresse als Todes- oder Trauerbaum darstellen, und die Taube – eigentlich sollte sich auch links eine befinden – die Seele eines Verstorbenen, die sich auf der Zypresse niederlasse. Die frühen Christen glaubten, dass die Tauben oder Seelen nach 40 Tagen in den Himmel aufsteigen: Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit Ostern und Pfingsten, indes liegt ein Zeitraum von 50 Tagen zwischen beiden Festen.

Ein Rokokograbstein erinnert Georg Friederich Wengert, der jung verstarb

Wichtigster Raum der Kirche ist der Chor mit dem Altar und einem Gewölbe, an den Wänden entdeckte man bei Restaurierungsarbeiten Reste von Wandgemälden aus dem 14. Jahrhundert sowie ein Sakramentshäuschen. Wunderschöne farbige Glasfenster, geschaffen vom bekannten Künstler Hans Gottfried von Stockhausen und gestiftet von der Unternehmerfamilie Schweizer, verleihen dem Raum eine feierlich-mystische Atmosphäre.

An der hinteren Abschlusswand stehen zwei historisch bedeutsame Grabsteine, die sich ursprünglich außen auf dem Friedhof befanden. Links hinter dem Altar erinnert ein prächtiger Rokokograbstein des Steinmetzmeisters Conrad Ludwig Söhnle an Georg Friederich Wengert, Sohn des Schwanenwirts, der wegen einer Nervenkrankheit bereits 22-jährig im Jahr 1785 starb. Rechts steht der Grabstein des ersten evangelischen Abtes Otto Leonhard Hofseß, Sohn des Vogts Jakob Hofseß. Dieser wurde wegen Korruption und Veruntreuung hoher Geldsummen 1575 hingerichtet. Auch Otto Leonhard war wohl in die Machenschaften seines Vaters verstrickt und zeitweise inhaftiert, zudem wurde er wegen Unfähigkeit von seinem Amt als Abt abgesetzt.

Links neben dem Eingang befindet sich der Opferstock, der Anfang des 17. Jahrhunderts aus der Grabplatte von Walterich gearbeitet wurde, die heutige Form gab ihm 1801 Conrad Söhnle. Abschließend geht der Kirchenführer kurz auf die Wallfahrt am Karfreitag und über Ostern ein, die wohl schon bald nach dem Tod Walterichs begann und bis ins 20. Jahrhundert andauerte. Sie war sowohl für die Kirchengemeinde als auch für die Stadt ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Eine große Besucherattraktion ist der außen angebrachte Ölberg, eine um 1525 von einem unbekannten Künstler geschnitzte dramatische Darstellung von Szenen der Passion Christi, gestiftet von der um 1500 gegründeten Sebastiansbruderschaft, die die Toten bestattete.