Exotische Kulissen wechseln mit tristen Polizeibüros, in denen sich eine Kommissarin und ihr Hauptverdächtiger sich spannungsgeladene Verhörduelle liefern: Der ARD-Vierteiler „Mord auf dem Inka-Pfad“ ist ein blendend gemachter True-Crime-Thriller mit Schauspielern in Bestform.
Die Verhöre sind die Highlights in „Mord auf dem Inka-Pfad“: Nina Gummich als Rita Berg, Thomas Prenn (re.) als Jona Kepler, an der Tür Ritas Kollege Jens Auer (Florian Karlheim)
Von Ulla Hanselmann
Der Titel klingt sensationsheischend, eine „Bild“-Schlagzeile könnte so lauten: „Mord auf dem Inka-Pfad“. Es ist das, worum es geht in dem ARD-Vierteiler von Nina Wolfrum, und es ist weder übertrieben noch frei erfunden.
Im Januar 1997 wird die 34 Jahre alte Deutsche Ursula Glück-Tesler aus München bei ihrer Wanderung auf dem Inka-Pfad zum Machu Picchu in Peru frühmorgens um 5 Uhr in ihrem Zelt am Kopf angeschossen; Tage später stirbt die Biochemikerin im Krankenhaus an ihren Verletzungen.
Was ist geschehen?
Die Ermittlungen, welche die Münchner Polizei anstellt, um den Täter zu finden, gehören zu den „schwierigsten und umfangreichsten in der bundesdeutschen Kriminalgeschichte“ überhaupt, wie die ARD schreibt. Und sie haben eine heikle diplomatische Komponente: Schnell gerät Ursula Glücks Ehemann, der Israeli Ilan Kan Sandy Tesler, mit dem sie den Trip unternahm, unter Tatverdacht. Und damit wäre er der erste Israeli nach dem Krieg, der in Deutschland wegen Mordes angeklagt würde.
Eine True-Crime-Story also, nur „einige Namen und Handlungselemente“ seien verändert worden, schicken die Filmemacher jeder der vier 45-minütigen Folgen voraus. So heißt der Ehemann in der ARD-Degeto-Produktion Jona Kepler (Thomas Prenn), und er behauptet, bewaffnete Räuber hätten die Tat verübt. Die peruanische Polizei schenkt seiner Version Glauben, und er kann die Heimreise antreten.
Zurück in Deutschland, wird er von der Münchner Kommissarin Rita Berg (Nina Gummich) und ihrem Kollegen Jens Auer (Florian Karlheim) als Zeuge geladen. Doch Rita Berg muss ihm nur wenige Fragen stellen, und schon keimt in ihr ein ungeheuerlicher Verdacht: Kepler war es, der seine eigene Frau ermordet hat.
Was sich daraufhin entspinnt, ist ein Thriller, der sich voll und ganz auf die Ermittlungsschritte der Polizisten konzentriert, die sich über mehrere Jahre erstrecken. Den Kompass gibt dabei der Instinkt, die stille, sachliche Hartnäckigkeit wie auch die mutige Unerschrockenheit von Kommissarin Berg vor – überragend gespielt von Nina Gummich.
Polizeiarbeit, Polizeiarbeit, Polizeiarbeit
Nebenstränge, Schlenker ins Private – derlei verwässert allzu oft TV-Krimis zu faden Unterhaltungssüppchen. „Mord auf dem Inka-Pfad“ ist hingegen ein mit viel Spannung gewürztes Polizeiarbeits-Konzentrat. Dass die Rezeptur mundet, hat mit dem Drehbuch zu tun, das Nina Wolfrum mit Mika Kallwass nach einer Vorlage des preisgekrönten Autors Rolf Basedow angefertigt haben.
Die ersten Bilder zeigen das verliebte junge Paar auf seinem Peru-Trip, doch schon nach drei Minuten sitzen sich Berg und Kepler das erste Mal im Kommissariat gegenüber. Dieses Duell der beiden Antagonisten, die in der Folge noch in einer Vielzahl von Verhören aufeinander treffen, bildet den immer wieder geschickt mit Rückblenden in verschiedene Zeitebenen verwobenen Kern der Thrillerserie.
Nina Gummich zieht ihre Zuschauer dabei als rationale und doch von ihrem Bauchgefühl geleitete, unnachgiebige Ermittlerin in den Bann. Sie torpediert ihren Haupttatverdächtigen mit ihren klugen Fragen, ohne jemals die Ruhe zu verlieren. Und erweist sich als Frau, die sich allein dank ihrer Professionalität in der Männerwelt der Kriminalpolizei behaupten und auch ihren skeptischen Vorgesetzten Wilfling (Juergen Maurer) auf ihre Seite ziehen kann. Und Thomas Prenn als Jona Kepler ist ein Verdächtiger wie eine Sphinx. Sein auf Unschuld gepolter Gesichtsausdruck scheint durch nichts erschütterbar. Prenn vermag es, seiner Figur eine Doppeldeutigkeit à la Dr. Jekyll & Mr. Hyde mitzugeben: Ist er der aufrichtige und vom Schicksal schwer getroffene Witwer? Oder ist er in Wahrheit ein eiskalter Mörder, der aus Habgier und von langer Hand geplant gehandelt hat? Beide Schauspieler erfüllen ihre Rollen mit Bravour. Verhöre sind oft langweilig in TV-Krimis, weil sie statisch sind und oft vorhersehbar, die Ermittlungen aber selten vorwärts bringen. In „Mord auf dem Inka-Pfad“ zählen sie zu den dramaturgischen Höhepunkten, denn sie bieten ein intensivstes Kammerspiel, bei dem Andreas Köhlers meisterhaft geführte Kamera oft ganz nah an die Gesichter heranfährt und dabei Nina Gummichs Röntgenblick oder Thomas Prenns minimalistisches Minenspiel einfängt.
Ein Verdächtiger wie eine Sphinx
Rita Berg setzt bei ihrem Vorgesetzten durch, nach New York zu reisen, von wo aus Ursula Glück (Amelie Kiefer) mit ihrem Mann zu ihrer Reise aufgebrochen war. Dort stößt die Kommissarin durch ihre Akribie und Beharrlichkeit endlich auf Beweise für ein handfestes Mordmotiv, und Jona Kepler kommt in Untersuchungshaft. Im peruanischen Cuzco, wo sie sich von der damaligen Arbeit der Polizei weitere wertvolle Hinweise erhofft, kommt sie Ungereimtheiten auf die Spur. Schließlich bricht sie mit einem vielköpfigen Trekkingtrupp nach Peru auf, in dem Experten verschiedenster Fachrichtungen vertreten sind, um auf dem Inka-Trail die Tat zu rekonstruieren und endlich den Schlüssel zur Wahrheit zu finden.
Bilder wie mit der Handkamera gemacht
Aber auch hier, in der atemberaubenden Gebirgskulisse der Anden, verliert der Thriller nicht seinen eigenwilligen dokumentarischen Charakter. In pittoresken Landschaftsbildern und Kulissen zu schwelgen – in der vierten Folge führt eine weitere Dienstreise die Kommissarin nach Kapstadt, wo sie eine entscheidende Zeugin trifft –, käme Kameramann Andreas Köhler nicht in den Sinn. Seine Bilder wirken oft wie mit der Handkamera gemacht, ungeschönt, lebensecht. Diesen Anschein von Authentizität betonen auch Lichtführung und Ausstattung. Dass sich in den nüchtern-kahlen, in fahles, diffuses Licht getauchten Polizeibüros ungemein Dramatisches abspielt, macht den Reiz dieses True-Crime-Dramas aus.
„Mord auf dem Inka-Pfad“ in der ARD
Sendetermin30. April und 1. Mai, jeweils 20.15 Uhr, ARD. In der ARD-Mediathek abrufbar.
VorlageRolf Basedow, nach dessen Vorlage das Drehbuch zu „Mord auf dem Inka-Pfad“ entstand, ist einer der renommiertesten deutschen Drehbuchautoren, der schon, vielfach in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dominik Graf („Hotte im Paradies“, „Im Angesicht des Verbrechens“), TV-Highlights geschaffen hat („Zielfahnder – Blutiger Tango“, „Operation Zucker“).