Markus Menges sensibilisiert beim Vortrag auch dafür, dass bei einer unerkannten Diabeteserkrankung weitere schwerwiegende Gesundheitsgefahren drohen, da das Risiko beispielsweise für Herzinfarkt und Schlaganfall hoch ist. Foto: E. Klaper
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Die Zahl der an Diabetes Erkrankten nimmt seit Langem stark zu. Gründe dafür sind ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel, höhere Lebenserwartung und steigende Vererbung der Gene, so Chefarzt Markus Menges. Er ist Leiter des Bereichs Innere Medizin II: Gastroenterologie, Hepatologie, Diabetologie und Infektionskrankheiten der Diakoneo Diak-Kliniken Schwäbisch Hall. Im Gesundheitsvortrag auf Einladung des Murrhardter Krankenpflegevereins hin informierte er zahlreiche Zuhörerinnen und Zuhörer im Heinrich-von-Zügel-Saal über neue Forschungserkenntnisse und Therapiemöglichkeiten. Ursache für Diabetes Typ 1, der meist schon in der Kindheit auftritt, ist eine Autoimmunerkrankung: Sie zerstört die insulinbildenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse, darum muss Insulin von außen zugeführt werden.
Diabetes Typ 2 ist eine Stoffwechselstörung, meist als Folge von Übergewicht. „Treibende Kraft ist eine zunehmende Insulinresistenz der Organe, die Glukose (Traubenzucker) benötigen, um zu funktionieren. Insulin öffnet die Zelltüren; ohne dieses Hormon kommt die Glukose nicht in die Zellen“, betonte der Referent. Überdies gebe die Leber zu viel Glukose ab und trage so dazu bei, dass der Blutzucker weiter steigt. Problematisch sei, dass es viele unerkannte Diabetiker gibt und dass die Zahl der jungen und älteren Erkrankten zunimmt.
Immer mehr Kinder und Jugendliche sind betroffen, weil sie ungesund leben
Werde Diabetes Typ 2 nicht behandelt oder zu spät erkannt, werden Blutgefäße und Nerven geschädigt. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, Nierenfunktionsstörungen, Erblindung und Fußamputationen sei hoch, vor allem bei Frauen: „Sie zeigen öfter untypische Symptome bei Herzinfarkt, der so oft spät oder zu spät erkannt wird“, warnte Menges. „Grausige Realität“ sei, dass immer mehr Kinder und Jugendliche wegen ungesunder Lebensweise Diabetes Typ 2 bekommen. Deren Lebenserwartung betrage nur 45 bis 50 Jahre.
Nach der Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft ist es Ziel der Versorgung und Behandlung, dass Patienten mit Diabetes Typ 2 ihrem Alter entsprechend gut eingestellt werden, um die Folgeerkrankungen zu verhindern. Allerdings sind die Erfolge ernüchternd: „Nur ein kleiner Teil erreicht die angestrebten Zielwerte“, bedauerte der Chefarzt. Darum stellte er klar: „Der Schlüssel dafür, das Diabetesrisiko zu senken, ist mehr Bewegung und eine vernünftige Gewichtsabnahme durch angepasste, gesunde Ernährung.“ Ziel sei ein Body-Mass-Index unter 25 und ein Blutzuckerwert zwischen 100 und 140 Milligramm pro Deziliter. „Eine Umstellung der Lebensweise und Ernährung kann eine deutliche Besserung bewirken“, unterstrich Menges und empfahl Ausdauersportarten wie regelmäßiges Laufen, Schwimmen oder Radfahren. Bei der Ernährung „spielt die Zeit eine entscheidende Rolle, die der Körper braucht, um Kohlenhydrate zu spalten: Je langsamer, desto besser, dann steigt der Blutzucker nicht wie eine Rakete.“ Das heißt: „Schnell spaltbare Kohlenhydrate“ wie Süßigkeiten und Weißmehlprodukte aller Art sollte man meiden. „Besser sind langsam spaltbare Kohlenhydrate wie Vollkornprodukte, Ballaststoffe, Kartoffeln, Gemüse.“ Bei Obst sei der Zuckergehalt zu beachten: „Trauben enthalten zu viel Zucker, Orangen mehr als Äpfel.“ Zudem riet der Mediziner, saure Sorten zu bevorzugen.
Weiter gelte es, möglichst wenig tierische, stattdessen pflanzliche Fette zu wählen. „Ideal wären je ein Drittel ungesättigte, mehrfach ungesättigte und gesättigte Fettsäuren“ wie Raps- oder Leinöl, aber auch davon nur wenig. „Zu viel tierisches Eiweiß ist nicht gut“, denn damit führe man dem Körper ungesundes Cholesterin zu; auch belasten stickstoffhaltige Stoffwechselprodukte die Nieren zu stark. „Die goldene Faustregel für die Ernährung lautet: 50 bis 60 Prozent Kohlenhydrate, maximal 30 Prozent Fett und 20 Prozent Eiweiß.“ Zu meiden sei auch Alkohol, der viele Kalorien hat, die Glukoseverarbeitung bremst und so das Unterzuckerrisiko erhöht.
Anschließend informierte der Experte über die Behandlung mit Medikamenten. „Standardtherapie ist Metformin, das eine zu hohe Glukoseabgabe durch die Leber bremst und die Insulinresistenz dämpft.“ Neu hinzugekommen ist die Therapie mit Inkretinen und Exenatiden, die die Wirkung von Verdauungshormonen, somit „den natürlichen blutzuckersenkenden Vorgang nachahmen und den Reflexbogen wiederherstellen“. Sobald die Verdauung kohlenhydratreicher Nahrung beginne, werde Insulin produziert. Hinzu kommt ein positiver Effekt: „Die Magenentleerung wird verzögert, was eine Gewichtsabnahme von bis zu zehn Kilogramm im Jahr ermöglicht.“ Die Patienten spritzen sich diese Medikamente einmal pro Woche selbst.
Ein weiteres neu entwickeltes Medikament fördert die Ausscheidung überschüssiger Glukose über die Nieren und senkt so das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Doch wird der Urin süß, wodurch die Gefahr von Harnwegsinfekten zunimmt. „Insulin sollte bei Diabetes Typ 2 so spät wie möglich eingesetzt werden, wenn die Nierenfunktion eingeschränkt ist“, zudem gibt es eine unerwünschte Nebenwirkung: Das Gewicht nimmt zu. „Nur etwa zehn Prozent der Patienten kommen mit der Umstellung ihrer Lebensweise zurecht, 90 Prozent benötigen Medikamente“, um den Diabetes Typ 2 in den Griff zu bekommen, bedauerte Markus Menges abschließend.