Erstmals ist das Fossil einer Singzikade aus der Fossillagerstätte Grube Messel entdeckt worden. Eoplatypleura messelensis gehört zu den ältesten bekannten Vertretern der heutigen Singzikaden in Eurasien und ist weltweit der früheste Nachweis für die Unterfamilie Cicadinae.
Rekonstruktion der neu beschriebenen Zikadenart Eoplatypleura messelensis.
Von Markus Brauer
Ein etwa 26,5 Millimeter langer Körper und eine Flügelspannweite von 68,2 Millimetern: Das erwachsene Singzikaden-Weibchen aus den etwa 47 Millionen Jahren alten Ölschiefern der Grube Messel ist nahezu vollständig erhalten geblieben.
Eine der artenreichsten Insektengruppen
„Die Familie der Singzikaden (Cicadidae) gehört heute zu den artenreichsten Insektengruppen. Trotzdem gibt es im Vergleich zur Vielzahl heutiger Arten nur sehr wenige Fossilfunde“, erklärt Sonja Wedmann vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt am Main.
„Innerhalb dieser Familie ist die Gruppe Platypleurini besonders auffällig – sie hat eine weite Verbreitung, viele verschiedene Arten und besondere Merkmale. Wir haben nun erstmals ein Fossil aus dieser Zikadengruppe beschrieben.“
Ausladende und auffällig gemusterte Flügel
Die neu beschriebene Zikadenart Eoplatypleura messelensis fällt neben ihrer Größe besonders durch ihre ausladenden und auffällig gemusterten Flügel auf. „Diese Muster ähneln denen heutiger Zikadenarten der Platypleurini-Gruppe, die in Wald- und Buschlandschaften leben.
Angesichts der damaligen subtropischen Vegetation im Messeler Gebiet vor etwa 47 Millionen Jahren könnte die Färbung eine ähnliche ökologische Funktion erfüllt haben – etwa zur Tarnung“, erklärt die Paläontologin Hui Jiang.
Kompakter Kopf, breite Vorderflügel
Typisch für das neue Messel-Fossil seien ein kompakter Kopf mit unauffälligen Facettenaugen sowie breite Vorderflügel mit deutlich gebogener Vorderkante. Obwohl es sich bei dem Fossil um ein Weibchen handelt, deutet vieles darauf hin, dass die Männchen dieser Art laute Paarungsrufe ausstoßen konnten, erläutert Jiang.
Bis heute wurden 44 fossile Funde von Zikaden aus dem Känozoikum, der Zeit beginnend vor circa 66 Millionen Jahren, dokumentiert. „Die von uns als neue Gattung und Art beschriebene Zikade gehört zu den ältesten bekannten Vertretern der heutigen Singzikaden in Eurasien und ist weltweit der früheste Nachweis für die Unterfamilie Cicadinae. Es handelt sich außerdem um die erste beschriebene zirpende Zikade aus der Grube Messel“, fügt Senckenberg-Grabungsleiterin Sonja Wedmann hinzu.
Der Fund erweitere nicht nur das Wissen über die Tierwelt der Grube Messel, sondern schließe auch eine wichtige Lücke in der Geschichte der Zikaden im Eozän, heißt es in der Studie, die im Fachblatt „Nature“ erschienen ist.
Komplexe Ökosysteme und ihre ökologische Wechselwirkungen
Eoplatypleura messelensis könne künftig als wichtige zeitliche Referenz für genetische Studien zur Entwicklungsgeschichte dieser Tiere dienen und neue Erkenntnisse über die Herkunft und Ausbreitung der Platypleurini liefern.
Jeder neue Fossilfund aus dem Unesco-Welterbe Grube Messel sei von großer wissenschaftlicher Bedeutung, sagt Sonja Wedmann. Insekten machten einen Großteil der biologischen Vielfalt aus. „Ihre fossile Überlieferung hilft uns, die Entwicklung komplexer Ökosysteme und ökologischer Wechselwirkungen besser zu verstehen. Fossilien, wie unsere Singzikade, geben faszinierende Einblicke in das Leben vor etwa 47 Millionen Jahren und liefern wertvolle Hinweise auf die Ursprünge heutiger Insektenvielfalt.“