Die Eltern sind froh, wenn sie ihre Kinder in die Arme schließen können. Fotos: Stefan Bossow
Von Christine Schick
Murrhardt. Die Aufregung am Dienstagvormittag in Murrhardt ist groß. In den sozialen Netzwerken ist von einem Amoklauf an einer Murrhardter Schule die Rede, auch Schüsse sollen angeblich gefallen sein. Die Polizei bestätigt zunächst nur, dass sie mit einem großen Aufgebot an der Herzog-Christoph-Schule im Einsatz ist, wo gegen 10.43 Uhr ein Alarm ausgelöst wurde.
Es sind unzählige Polizeiautos – rund 20 Streifenwagen – in der Innenstadt präsent, schon die Nägelestraße, die auf den innerstädtischen Schulkomplex zuläuft, ist von Fahrzeugen gesäumt: Herzog-Christoph-Schule, sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum für Schülerinnen und Schüler mit einer Lernschwäche, und die Walterichschule, eine Gemeinschaftsschule, haben dort ihren gemeinsamen Standort. Auch hier befinden sich zahlreiche Streifenwagen, eine Reihe von Beamten in dunkler Sonderausstattung sind zu sehen, die wie SEK-Montur wirkt. Sie gehören aber zu den sogenannten Interventionsteams des Polizeipräsidiums Aalen. Mütter mit Tränen in den Augen sind auf dem Gelände unterwegs, auch ein Kindergarten befindet sich in der Nähe – in der Stadthalle.
Interventionsteams durchsuchen Schulen
Relativ schnell ist dann aber klar, dass Entwarnung gegeben werden kann. Bürgermeister Armin Mößner ist an der Festhalle, ebenfalls in unmittelbarer Nähe des Schulkomplexes, eingetroffen, um sich ein Bild von der Lage zu machen, und zudem intensiv am Telefon gefordert. Zwischendrin kann er mitteilen, dass der Alarm an der Herzog-Christoph-Schule ausgelöst worden sei. Es folgte die Lautsprecherdurchsage, die Schüler und Lehrer dazu auffordert, sich in den jeweiligen Zimmern zu verschanzen. Nachdem Schulleiter Carsten Gehring die Polizei alarmiert habe, sei diese mit mehreren Interventionsteam schnell vor Ort gewesen, habe die Schulen durchsucht, aber nichts Verdächtiges feststellen können. „Es sind auch keine Schüsse gefallen“, sagt er. „Wir haben die Eltern informiert, die Schüler können die Schulen demnächst verlassen.“ Mößner ist erleichtert, auch wenn er von Haus aus ein ruhiges Gemüt habe, „geht der Puls in solch einem Moment natürlich schon hoch“. Die Entwarnung wird auch an die anderen Murrhardter Schulen weitergegeben, die die Stadt zur Sicherheit angewiesen hat, die Gebäude ebenfalls abzuriegeln.
Eine ganze Reihe der Kinder und Jugendlichen beider Schulen werden jetzt in die Festhalle gebracht, wo ihre Eltern sie abholen können. Drei Jungs aus der Walterichschule stehen draußen zusammen. Sie erzählen, dass sie schon verunsichert gewesen seien, auch ängstliche Rufe aus der Nachbarklasse gehört hätten. „Mein Vater hat den Amoklauf in Winnenden noch in Erinnerung“, sagt einer der drei Schüler.
Immer wieder gibt es Szenen, in denen Väter und Mütter ihre Kinder in die Arme schließen und nah bei sich halten. Eine Murrhardter Familie – Eltern und Großeltern – steht bei ihrem neunjährigen Sohn und Enkel, der in die 3. Klasse der Walterichschule geht. „Ich dachte erst, es könnte ein Überfall bei der Volksbank sein“, erzählt der Großvater. Die Mutter, die schnell vor Ort sein konnte, sagt: „Die Polizei hat uns gut informiert, in dem Moment konnten wir nichts machen, mussten einfach ruhig bleiben.“ Eine DRK-Mitarbeiterin hat den Arm auf die Schulter einer Schülerin gelegt und sagt, dass sie jetzt nach ihrem Bruder schauen. Drei Mädchen unterhalten sich, sie werden demnächst abgeholt. Wie haben sie die Sache überstanden? Einigermaßen gut, so der Tenor, sie hätten im Klassenzimmer ausgeharrt. „Wir haben den Süßigkeitenvorrat komplett geplündert“, sagt eines der Mädchen und grinst.
Spekulationen können Panik befördern
„Natürlich war das für alle beängstigend, aber die Schüler haben sich wacker geschlagen“, stellt Marie-Anne Schaible, Lehrerin an der Walterichschule, fest. Sie betont, wie wichtig es sei, die Klassenzimmer und anderen Räume abzuriegeln, sich an die Anweisungen zu halten und abzuwarten, bis die Sachlage geklärt ist. Dazu gehöre auch, keine Nachrichten nach außen zu schicken, so schwer dies auch falle, weil unter Umständen ja auch ein Täter über bestimmte Netzwerke mitlese. „Es gab viele Spekulationen“, was die Bewältigung der Situation schwerer machen könne, wenn solche Mutmaßungen Angst bis hin zu Panik schürten.
Gegen 13.15 Uhr ist die Festhalle leer und vom Team verschiedener spezialisierter Kräfte heißt es, dass kein Bedarf an Nachsorge bestehe. Schulsozialarbeiterin Margit Körner ist Mitglied im Krisenteam der Walterich- und Herzog-Christoph-Schule und wird sich später mit den Verantwortlichen der beiden Schulen zur Nachbesprechung zusammensetzen. Unabhängig von den dort beschlossenen Aufgaben sagt sie, dass das Team der Schulsozialarbeit natürlich bereitsteht. „Die Kinder kennen uns und ich gehe davon aus, dass sie bei Bedarf einfach zu uns kommen, genauso wie die Eltern.“ Aus ihrer Sicht müsse man den Vorfall auch als Lernmöglichkeit sehen und bei der späteren Bewertung unbedingt auch die Schülerinnen und Schüler miteinbeziehen. Sie müssten berichten, was möglicherweise gefehlt hat und was es für einen guten Ablauf vielleicht noch braucht. Armin Mößner bespricht sich mit Feuerwehrkommandant Stefan Krehan. Der Bürgermeister berichtet, dass man mittlerweile von einem Fehlalarm ausgehe, was das Polizeipräsidium Aalen in seinem Bericht über den Vorfall explizit bestätigt. „Es bestand zu keiner Zeit eine tatsächliche Gefahr für Schüler und Lehrer“, so die Polizei. Später ist klar, dass es sich um einen technischen Defekt der Anlage gehandelt hat.
Grünen-Landtagsabgeordneter Ralf Nentwich schreibt zum Vorfall: „Als ich heute die Nachricht eines möglichen Amokalarms an einer Murrhardter Schule erhalten habe, war ich als Bildungspolitiker sehr geschockt und als Vater von zwei Kindern an Murrhardter Schulen auch persönlich betroffen. Glücklicherweise stellte sich die Lage schnell als Fehlalarm heraus. Es hat sich gezeigt, dass die Sicherheitskette nach den traurigen Erfahrungen aus Winnenden bei uns im Land funktioniert. In Gedanken bin ich bei den Schülerinnen und Schülern und Eltern, die heute sicher in großer Aufregung waren.“
Schon die Zufahrtsstraße ist von Polizeiwagen gesäumt.
Es sind mehrere Interventionsteams vor Ort.