Das Thema Klimaschutz hat keine Konjunktur. Das könnte ein Grund sein, warum die Landesregierung eine im Klimagesetz vorgesehene Reaktion seit Monaten aussitzt. Experten und Verbände fordern die Regierung nun zum Handeln auf. Darunter sind nicht nur die üblichen Verdächtigen.
Das Land bleibt eine gesetzlich vorgeschriebene Reaktion seit Monaten schuldig?
Von Annika Grah
Der Streit um die Auslegung der Klimaziele des Landes geht in die nächste Runde. Nachdem vor wenigen Tagen ein breites Bündnis von Verbänden in einem offenen Brief eine Reaktion der Landesregierung gefordert hat, meldet sich der Klimasachverständigenrat zu Wort. „Wer Klimaschutz für Luxus hält, den man sich leisten können muss, hat die systemischen Zusammenhänge des Lebens auf unserem Planeten nicht verstanden, unterschätzt die Risiken des Klimawandels massiv und ignoriert Jahrzehnte eindeutiger Forschung“, sagte die Vorsitzende des Klima-Sachverständigenrats Maike Schmidt. Jeder für Klimaschutz eingesetzte Euro beuge bis zu zwanzig Euro an Klimaschäden vor.
Der Streit um die im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele schwelt seit Monaten. Schon im vergangenen Sommer hatte ein vom Land vorgesehener Projektionsbericht eine drohende Verfehlung der Ziele für 2030 ergeben. Der Klimasachverständigenrat, das vom Land als Kontrollgremium eingesetzte Expertengremium, mahnte daraufhin im Herbst die im Klimaschutzgesetz festgeschriebene Reaktion des Landes bei einer „erheblichen Zielverfehlung“ an und forderte ein Klimasofortprogramm. Ein breites Bündnis von Verbänden hatte Anfang der Woche die Landesregierung in zum Handeln aufgefordert. Darunter waren nicht nur Umweltverbände wie BUND und Fridays for Future, sondern auch Gewerkschaften, die Landjugend, der Badische landwirtschaftlicher Hauptverband und Pfadfinderverbände. Auch die Landtagsfraktion der Grünen unterstützt die Botschaft nach den Worten von Fraktionschef Andreas Schwarz.
Doch innerhalb der grün-schwarzen Koalition ringt man seit Monaten um eine gemeinsame Sprachregelung. Vor allem innerhalb der CDU gibt es Zweifel an dem Begriff der „erheblichen Zielverfehlung“, der im Klimaschutzgesetz tatsächlich nicht weiter definiert ist. Eigentlich hat sich die Landesregierung im Klimagesetz vorgeschrieben, Maßnahmen zu ergreifen, wenn eine erhebliche Zielabweichung droht. Doch was erheblich in Zahlen ausgedrückt bedeutet, ist nicht definiert. Das räumte auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann schon ein.
Einige grüne Ministerien, in deren Bereichen große Zielabweichungen drohen, wollen von sich aus handeln. „Wir haben eine erhebliche Zielabweichung von 17 Prozent“, stellt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) fest. „Deshalb ist es völlig unverständlich, wenn dies nicht als eine erhebliche Zielabweichung bezeichnet wird.“ Das Verkehrsministerium werde an Instrumenten arbeiten. „Wir werden ein Sofortprogramm machen, auch wenn manche das für unnötig halten“, sagte Hermann.
Auch Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) hat bereits Maßnahmen angekündigt. „‚Hände in den Schoß legen’ tut uns in keinem Bereich gut“, sagte Walker. „Als Landesregierung sollten wir den Projektionsbericht als Weckruf verstehen, um unseren Standort weiter zu modernisieren.“ Grünen-Fraktionschef Schwarz fordert indessen: „Wir müssen und wollen mehr tun, um in Sachen Klimaschutz-Ziele in allen Sektoren in die Spur zu kommen.“ Er betonte, dass das Klimaschutzgesetz gemeinsam mit dem Koalitionspartner verabschiedet worden sei.
Auf Seiten der CDU-Fraktion hält man die bisher beschlossenen Maßnahmen indessen für ausreichend. „Statt neue Maßnahmen zu erfinden, gilt es nun, die geplanten klug und effektiv umzusetzen“, sagt der klimapolitische Sprecher Raimund Haser. Beschlossene Maßnahmen seien teilweise noch nicht im Projektionsbericht berücksichtigt.
Innerhalb der Regierung sollen die Gespräche, wie man mit der Zielverfehlung umgeht, nach der Osterpause weitergehen. Aus der Opposition begegnet man dem Ganzen bereits mit viel mit Häme. Der FDP-Abgeordnete Daniel Karrais lästerte dieser Tage: Die Zielsetzerei von Grün-Schwarz sei „ohnehin nur Show, da das Land kaum Kompetenzen hat, die Ziele aus eigener Kraft zu erreichen.“
Aus Sicht der Klimaexperten ist das Abwarten des Landes unverständlich: „Jetzt ist Zeit zu handeln,“ sagte der stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrats, Dirk Schindler. „Die Landesregierung hat noch ein Jahr Zeit, mit konkreten Maßnahmen gegenzusteuern.“
Dass die Landesregierung die gerade anstehende Novelle des Klimaschutzgesetzes also nutzt, um tatsächlich die schwammigen Definitionen neu zu fassen, ist indessen als unwahrscheinlich. Mit der aktuellen Überarbeitung werden Effizienzvorgaben von Bund und EU umgesetzt. Hiergegen laufen die Kommunalverbände Sturm, die eine Kostenlawine auf sich zukommen sehen.
Klimaziele des Landes
Ziele Baden-Württemberg hatte sich vorgenommen 2040 klimaneutral zu sein. Fünf Jahre früher als im Bund und zehn Jahre früher als im Bund. Das Klimagesetz des Landes sieht bis 2030 eine Minderung der Treibhausgase von 65 Prozent vor, damit das Land bis 2040 klimaneutral ist. Im Gegensatz zum Bund hält das Land auch an Zielen für sieben Sektoren fest.
Verfehlung Der aktuelle Projektionsbericht aus dem vergangenen Jahr kommt nur auf eine Reduktion von 53 Prozent. Damit verbundene Überschreitung des Zielwertes um rund sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalente stellt bezogen auf den Zielwert von rund 36 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eine Überschreitung um 17 Prozent dar. Vor allem der Verkehr , der derzeit knapp 30 Prozent aller Emissionen verursacht, hat sehr schlecht abgeschnitten. Auch Landwirtschaft und Energiewirtschaft sind nicht auf dem richtigen Pfad.