Kurze Schaffensphase einer spät gewürdigten Pionierin

Kunsthistorikerin Ulla Katharina Groha charakterisiert die Malerin Paula Modersohn-Becker in ihrem Vortrag an der Volkshochschule Murrhardt als unkonventionelle Frühexpressionistin. Sie schuf 750 Gemälde und 1600 Zeichnungen und wurde nur 31 Jahre alt.

Kurze Schaffensphase einer spät gewürdigten Pionierin

Kunsthistorikerin Ulla Katharina Goha sprach über Paula Modersohn-Becker. Archivbild: Jörg Fiedler

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Paula Modersohn-Becker (1876 bis 1907) war eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Klassischen Moderne und Wegbereiterin des Expressionismus. Detailliert informierte Kunsthistorikerin Ulla Katharina Groha im VHS-Vortrag über Leben und Werk der Malerin. Kunstbetrachtungen wichtiger Werke bereicherte die Expertin mit vielen Zitaten aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen von Paula und Personen, die ihr nahestanden, vor kleinem Kreis im Zimmertheater des Grabenschulhauses.

Am 8. Februar 1876 kam Paula Becker in Dresden zur Welt, wuchs in Bremen in einer liberal-bürgerlichen Familie auf, die ihr künstlerisches Talent förderte, und schloss 1895 ihre Lehrerinnenausbildung mit dem Examen ab. Bei einer Ausstellung des Worpsweder Künstlerkreises faszinierten sie die detailliert mit Licht und Schatten gestalteten Landschaften Otto Modersohns (1865 bis 1943). Damals konnten Frauen nicht an Kunstakademien studieren, daher machte sie eine Ausbildung an der Zeichen- und Malschule der Berliner Künstlerinnen.

1897 unternahm die Familie einen Ausflug zur Worpsweder Künstlerkolonie: Beeindruckt von der Landschaft und begeistert von den Künstlern empfand Paula Modersohn-Becker das Dorf als „Wunderland“. „Die Natur soll unsere Lehrerin sein“, nicht das akademische Anatomiestudium, zitierte Ulla Katharina Groha. Ziel der Künstler war eine unverfälschte, schlichte Malerei und die Darstellung des einfachen Lebens. 1898 übersiedelte Paula Modersohn-Becker nach Worpswede, finanziell von Verwandten unterstützt, nahm Unterricht bei Fritz Mackensen, orientierte sich aber an den licht- und farbintensiven Bildern Otto Modersohns. „Beide schätzten das künstlerische Schaffen des anderen, besuchten ihre Ateliers und inspirierten sich gegenseitig“, betonte Ulla Katharina Groha. Paula Modersohn-Becker malte „Menschenbilder“, zeigte „bäurische“ Personen und deren schweres, von der Natur und Landwirtschaft bestimmtes Leben.

Nach niederschmetternder Kunstkritik zur einzigen Ausstellung 1899 reiste Paula Modersohn-Becker 1900 erstmals nach Paris, damals Europas Kunstzentrum, studierte an einer privaten Akademie, skizzierte Meisterwerke im Louvre und entdeckte die Werke von Paul Cézanne. Begeistert porträtierte sie sich selbstbewusst und bat die Worpsweder Künstler zu kommen, was einige taten, darunter Otto Modersohn, der aber nach dem Tod seiner Frau Tage später zurückreiste Mit angeschlagener Gesundheit folgte Paula Modersohn-Becker und hatte eine dunkle Vorahnung: „Ich weiß, ich werde nicht lange leben.“ Sie strebte nach großem Ausdruck und entwickelte sich zur Frühexpressionistin. „Sie setzte sich über die Konventionen hinweg“ und verlobte sich heimlich mit Otto Modersohn, der sehr von ihr angetan gewesen sei, erzählte die Referentin.

Am 25. Mai 1901 feierten sie Hochzeit: Otto Modersohn brachte Töchterchen Elsbeth mit in die Ehe, war ein liebe- und verständnisvoller Partner und gestand seiner Frau zu, weiter zu malen, was in jener Zeit sehr ungewöhnlich war.

Zu ihren Meisterwerken gehören charaktervolle Kinderporträts, in denen sie das Kindliche stimmig darstellte, ebenso innige Mutter-Kind-Bilder. Ihr Mann erlaubte ihr 1903 und 1905 weitere Parisreisen, wobei sie Paul Gauguins Werke sah, die ihre Malerei inspirierten. Zudem schuf sie Stillleben mit herausragenden Farbspielen, die ihre Begeisterung für Paul Cézanne und geometrische Formen zeigen. Doch Worpswede und ihre Ehe wurden Paula Modersohn-Becker zu eng: Ohne ihren Mann um Erlaubnis zu bitten, reiste sie 1906 heimlich erneut nach Paris, besuchte einen Anatomiekurs an der Akademie der schönen Künste, und malte Selbstporträts als Halb- und Ganzfigurenakt nach Selbstauslöserfotografien.

Der von ihren Bildern begeisterte Bildhauer Bernhard Hoetger motivierte sie, sich voll auf die Kunst zu konzentrieren. Doch machte er ihr wohl klar, sie könne ihren Lebensunterhalt nicht allein finanzieren, worauf sie ihren Entschluss widerrief, sich scheiden zu lassen. Sie bat ihren Mann, nach Paris zu kommen, wo sie sich versöhnten, den Winter verbrachten und im März 1907 nach Worpswede zurückkehrten.

Sie wurde schwanger, konnte nicht mehr stundenlang malen und schuf nur noch wenige, bedeutsame Werke. Am 2. November 1907 brachte sie nach schwieriger Geburt Tochter Mathilde zur Welt. Nach strenger Bettruhe durfte sie am 20. November erstmals aufstehen, starb jedoch erst 31-jährig an einer Embolie. Ihr Grabdenkmal steht auf dem Friedhof Worpswede.

Paula Modersohn-Becker schuf 750 Gemälde und 1600 Zeichnungen; die Wertschätzung ihrer Kunst begann mit einer großen Nachlassausstellung 1920. Doch diesen Prozess unterbrach jäh der Beginn der nationalsozialistischen Diktatur 1933: Nun galten ihre Bilder als „entartet“. Erst nach 1945 erkannte die kunsthistorische Forschung die große Bedeutung der „Frühvollendeten“ für die Entwicklung der modernen Kunst, so Grohas Fazit.