Chaotische Zustände wie bei der Corona-Pandemie sollen sich nicht wiederholen. Mehr als 190 Länder sind nun umfangreiche Verpflichtungen eingegangen. Aber einige Details sind noch offen.
Alle Länder sollen künftig geordnet Zugang zu Pandemiematerial bekommen. (Archivbild)
Von Von Christiane Oelrich, dpa
Genf - Nie wieder soll die Welt bei einer großen Gesundheitsnotlage wie der Corona-Pandemie in ähnliche Panik verfallen. Deshalb haben sich die Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf einen Pandemievertrag geeinigt. Er soll chaotischen Zustände bei der Beschaffung von Schutzmaterial und die ungerechte Verteilung der Impfstoffe verhindern.
Er soll auch die Prävention stärken, damit sich tödliche Erreger möglichst gar nicht ausbreiten können. Eine neue Pandemie sei nur eine Frage der Zeit, warnt die WHO. Die Chance, dass die heutige Bevölkerung eine weitere Pandemie erlebt, liegt nach Angaben der Impfstoffinitiative CEPI bei 38 Prozent. Das liegt etwa daran, dass sich die Menschen in Gebiete ausbreiten, die der Tierwelt vorbehalten waren. Auch der Klimawandel mit Hitze und Überschwemmungen begünstigt die Ausbreitung von Insekten und Erregern.
Warum ein Vertrag nötig ist
Bei Corona hat jedes Land panikartig reagiert und zunächst ohne Rücksicht auf andere seine Interessen durchgesetzt. Regierungen haben sich gegenseitig Schutzmaterial streitig gemacht und als der Impfstoff da war, haben viele Länder ihn gehortet. Den Kürzeren zogen immer die schwächsten Länder. Während in Europa teils schon die dritte Impfung verabreicht wurde, warteten in anderen Ländern Menschen noch auf den ersten Impfstoff.
Was die Corona-Pandemie angerichtet hat
Das bis dahin unbekannte Virus Sars-CoV-2 breitete sich ab Ende 2019 von China innerhalb von Wochen weltweit aus. Direkt auf eine Infektion werden weltweit mindestens sieben Millionen Todesfälle zurückgeführt. Zusammen mit indirekten Folgen dürften es nach Schätzungen gut 36 Millionen Tote gewesen sein: Menschen, die wegen der Pandemie keinen Arzt aufsuchen konnten oder deren Behandlung im Krankenhaus verschoben wurde etwa. Weltweit brach die Wirtschaft ein, Millionen Kleinunternehmer gingen Konkurs.
Was mit dem Vertrag anders wird
Prävention: Länder verpflichten sich, ihre Gesundheitssysteme und die Überwachung des Tierreichs so zu stärken, dass Krankheitsausbrüche schnell entdeckt und möglichst im Keim erstickt werden.
Lieferketten: Alle Länder sollen Zugriff auf Schutzmaterial, Medikamente und Impfstoff haben. Gesundheitspersonal soll zuerst versorgt werden.
Technologietransfer: Pharmafirmen sollen ihr Know-how teilen, damit auch in anderen Ländern Medikamente und Impfstoffe produziert werden können.
Forschung und Entwicklung: DNA-Sequenzen von Pathogenen sollen für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen frei zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug sollen Pharmaunternehmen der WHO zehn Prozent ihrer Produktion zur Verteilung in ärmeren Ländern spenden und weitere zehn Prozent zu günstigen Preisen abgeben (Pabs-System). Die Modalitäten müssen noch ausgehandelt werden. Das soll in einen Anhang zum Vertrag.
Welche Kompromisse nötig waren
Dies ist aus Verhandlungskreisen zu hören: Die afrikanischen Länder hätten gerne strengere Auflagen im Pabs-System durchgesetzt, ebenso bessere Zusagen für den Technologietransfer und klarere Zusagen für Finanzierungshilfen zur Stärkung der Gesundheitssysteme. Europäische Verhandler hätten gerne stärkere Auflagen bei der Prävention gehabt.
Die Verschwörungstheorien
Gegen die WHO und den Vertrag laufen seit langem Kampagnen, vor allem in sozialen Netzwerken. Kolportiert wird, die WHO könne bei der nächsten Pandemie Zwangsmaßnahmen anordnen. Auch die sehr konservative Schweizer Wochenzeitung "Weltwoche" haut in die Kerbe: "Die WHO würde mit dem neuen Vertragswerk faktisch zur mächtigsten Behörde der Welt, zu einer Behörde, die über den Ausnahmezustand entscheidet", schreibt sie.
Das ist nicht der Fall. In Artikel 24 steht ausdrücklich, dass die WHO oder ihr Generaldirektor keine innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Maßnahmen anordnen können. Sie kann keine Reisebeschränkungen verhängen, Impfungen erzwingen oder Lockdowns anordnen, steht explizit im Text.
Wie die Pharmaindustrie reagiert
Sie pocht darauf, dass der Patentschutz nicht gelockert wird. Sonst lohnten sich risikoreiche Investitionen in die Forschung nicht mehr, sagt der Generaldirektor des Verbands der Pharmahersteller, IFPMA, David Reddy. Die Beteiligung von Firmen an jeglichen Abmachungen müssten freiwillig sein.
Die Rolle der USA
Die USA sind außen vor. Mit dem Amtsantritt von Donald Trump haben sie sich an den Verhandlungen nicht mehr beteiligt. Trump hat ohnehin den Austritt aus der WHO verkündet, der im Januar 2026 wirksam wird. Auch Argentinien hat den Austritt erklärt und im Verhandlungsausschuss zu Protokoll gegeben, dass es sich dem Konsens über den Text nicht anschließt. Noch hat die WHO 194 Mitgliedsländer.
Wie es weitergeht
Bei der WHO-Jahrestagung im Mai in Genf soll der Text angenommen werden. Unabhängig davon muss aber noch über die Modalitäten der Pathogen-Bereitstellung und die Produktionsabgabe der Pharmafirmen verhandelt werden. Das dürfte mindestens mehrere Monate dauern. Der Vertrag wird danach Parlamenten zur Ratifizierung vorgelegt. Er tritt in Kraft, wenn 60 Länder ihn ratifiziert haben. Die Bestimmungen gelten nur in den Ländern, die ihn angenommen haben. Länder müssen alle paar Jahre berichten, wie sie vorankommen. Der Vertrag kann nicht mit Strafmaßnahmen durchgesetzt werden.
Medizinisches Personal soll bei einer Pandemie weltweit als Erstes versorgt werden (Archivbild)
Die Pharmaindustrie pocht auf freiwillige Beteiligung der Firmen an jeglichen Absprachen. (Archivbild)
Die WHO kann auch weiterhin keinen Impfzwang anordnen. (Archivbild)