Großer Andrang bei Buchpremiere in Tübingen

Lisa Federle und Boris Palmer fordern mehr Mut, neue Wege zu gehen

Für mutiges Anpacken setzen sich OB Boris Palmer und Notärztin Lisa Federle in ihrem Buch „Wir machen das jetzt!“ ein. Klare Botschaft bei der Buchpremiere in Tübingen: Überbordende Bürokratie gefährdet die Demokratie, weshalb man rasch handeln müsse.

Lisa Federle  und Boris Palmer  fordern mehr Mut, neue Wege zu gehen

Bei der Buchpräsentation im Museum Kino in Tübingen (von links): Cem Özdemir, Lisa Federle und Boris Palmer.

Von Uwe Bogen

Heinrich Riethmüller, der Chef der traditionsreichen Buchhandlung Osiander, begrüßt den Moderator als den „künftigen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg“. Im Museum-Kino in Tübingen gibt’s am Sonntagabend Beifall, aber der zweifache Noch-Bundesminister Cem Özdemir (Landwirtschaft und Bildung) winkt ab. Entschieden sei noch lange nichts, sagt er später im Foyer. Bei diesem Auftritt hat der Grüne im voll besetzten Kinosaal eine ungewohnte Rolle: Bei der Premiere des Buchs „Wir machen das jetzt!“ des Tübinger OB Boris Palmer und der Notärztin Lisa Federle ist der 59-Jährige Kandidat um Kretschmanns Nachfolge Talkmaster – einer, der wie Markus Lanz auch zwischendurch mal seine eigene Meinung einstreut.

Boris Palmer will an diesem Abend „keinen Unsinn“ reden

Özdemirs Meinung weicht von der Meinung der Autoren nicht ab, die bei ihrem Tübinger Heimspiel für Stimmung sorgen, aber auch zum Nachdenken anregen. Die überbordende Bürokratie, für die an diesem Abend etlich erschreckende Beispiele genannt werden, gefährdet die Demokratie, sind sich alle auf der Bühne einig. Wenn die neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD nicht hinbekommt, was sie sich vornimmt, würden am Ende am allermeisten die „Fanatiker“ profitieren, die Feinde der Demokratie.

Als Moderator Cem Özdemir das Thema Migration anspricht, atmet Boris Palmer erst mal tief durch. Für diesen Abend habe er sich fest vorgenommen, „keinen Unsinn“ zu reden. Im Publikum sind unter anderem seine Mutter sowie die Kabarettisten Christoph Sonntag, Bernd Kohlhepp, Klaus Birk sowie Sänger Dieter Thomas Kuhn. „Würde er nur Unsinn reden, hätte ich kein Buch mit ihm geschrieben“, sagt Lisa Federle. Was die Bürokratie von ihm verlange, sagt Palmer, sei oftmals „Schwachsinn“. Als Beispiel nennt er die Lärmschutzwand vor dem Feuerwehrhaus in Lustnau.

Diese Wand soll laut Vorgaben aus dem Immissionsschutzgesetz die Anwohner auf der anderen Straßenseite vor knallenden Autotüren auf dem Feuerwehr-Parkplatz schützen. Dabei ist der Verkehrslärm der dazwischen liegenden Straße, die stark befahren ist, viel lauter. 200 000 Euro musste die Stadt Tübingen dafür bezahlen, weshalb der Tübinger OB am liebsten „in den Schreibtisch gebissen“ hätte.

Ein Drittel der Arbeitszeit von Ärzten wird für Bürokratie benötigt

Und Lisa Federle wird wütend, wenn sie daran denkt, dass Ärzte inzwischen ein Drittel ihrer Arbeitszeit für Bürokratie und Verwaltung aufwenden müssen. Dies gefährde Leben, weil Ärzte dann weniger Zeit hätten, Patienten zu retten.

Beim Thema Bürokratie geht es auch um den Ziegenmelker. Der streng geschützte Vogel, von dem es nur noch wenige Exemplare in Baden-Württemberg gibt, hat viele Jahre auf dem Dach des Uniklinikums Tübingen gelebt. Damit war es unmöglich, den Bau zu erweitern. Es musste erst ein Ausweichquartier für ihn geschaffen werden. Das Happy-end, das Markus Lanz kürzlich in seinem Talk verkünden wollte, aber dann doch nicht dazu kam, kann Boris Palmer nun im Museum-Kino genüsslich erzählen: Der seltene Vogel ist vom Unidach verschwunden, wie ein Gutachten endgültig bestätigt hat.

Wäre er noch da, hätte die Stadt Tübingen auf dem Schnarrenberg zehn Hektar Wald teilweise roden müssen, um eine sogenannte Waldweide zu schaffen. Der Ziegenmelker liebe sehr lichte Wälder. Nachdem nun klar ist, dass der Vogel dort gar nicht mehr lebt, kann das Land Baden-Württemberg den Klinik-Anbau für etwa 250 Millionen Euro starten.

Die Rollen sind klar verteilt bei den Buchautoren: Boris Palmer spricht die „große Politik“ an, Lisa Federle bricht die Themen auf die Menschen runter, denen sie bei ihrer Arbeit Patienten begegnet. Ob Wirtschaftskrise, Datenschutz, Zuwanderung, steigende Kriminalität oder Wohnungsnot – das Autorenduo spricht in dem unterhaltsam und sehr persönlich geschriebenen Buch eine Vielzahl an Problemen an, die sich nur durch pragmatisches Handeln lösen ließen. Dazu brauche es Mut, zu dem die beiden mit ihrem Moderator Cem Özdemir aufrufen. Das Buch soll Zuversicht verbreiten, dass Krisen zu bewältigen sind.

Der Erlös der Buchpremiere geht an den Verein „Bewegt euch“, der durch Sport mithelfen soll, dass es zum Abrutschen von jungen Menschen zu Drogen und Kriminalität gar nicht erst kommt.