Die Aussicht, dass die Union erstmals mit den Stimmen der AfD einen Gesetzentwurf durch den Bundestag bringen könnte, mobilisiert Zehntausende Menschen zum Protest. Kommt es zum Beschluss?
Ein riesiges Wahlplakat mit dem Konterfei von Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und CDUCSU Fraktionsvorsitzender im Bundestag, ist an der CDU-Parteizentrale hinter einem Wahlplakat der AfD zu sehen. Im Bundestag wird über ein „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Unionsparteien entschieden.
Von Markus Brauer/AFP/dpa
Es hat viele Abstimmungen in dieser zu Ende gehenden Legislaturperiode im Deutschen Bundestag gegeben. Viele wichtige und auch manche weniger wichtige. Doch die beiden Abstimmungen in dieser Woche über die Migrationspläne der Union könnten zur einer politischen und gesellschaftlichen Zäsur in der Republik werden.
Die Reaktionen offenbaren nicht nur die kaum überbrückbaren Differenzen im Lager der demokratischen Parteien. Sie demonstrieren auch in erschreckender Weise, wie gespalten das Land, die Gesellschaft mittlerweile ist.
Wie reagieren die Regierungsparteien?
Bei den beiden Regierungsparteien, SPD und Grüne, ist der Unmut über Friedrich Merz’ Vorgehen groß. So groß, dass viele rot-grüne Politiker sich eine Koalition mit der Merz-Union nach der Bundestagswahl am 25. Februar kaum noch vorstellen können.
Treibt Merz die Union in eine Minderheitsregierung?
Treibt Friedrich Merz - sollte er tatsächlich Kanzler werden - die Union in eine Minderheitsregierung, die bei Gesetzesvorhaben auf wechselnde Mehrheiten im Parlament angewiesen wäre. Ein Szenario, dass angesichts der politischen Zerrissenheit und wirtschaftlichen Flaute Deutschlands sowie der angespannten weltpolitischen Lage nicht gerade beruhigend wirkt.
Immerhin: Einen formalen Ausschluss einer Koalition mit der Union nach der Bundestagswahl fordert kein SPD-Abgeordneter. „Diese Ausschließeritis führt genau in das Chaos, in dem die Rechtsaußen das Land haben wollen“, warnt Leni Breymaier.
Wie bindend ist die zweite Abstimmung?
Während das Parlament sich auf die zweite Abstimmung vorbereitet, haben Zehntausende Menschen gegen eine gemeinsame Abstimmung von Union und AfD in der Migrationspolitik demonstriert. Dennoch könnte an diesem Freitag (31. Januar) ein Gesetz den Bundestag passieren, bei dem die Stimmen der AfD mit entscheidend sein könnten.
In dem von CDU und CSU eingebrachten Entwurf geht es um konkrete Regelungen zur Eindämmung der Migration. Bereits am Mittwoch (29. Januar) hatte die Union mit Hilfe der AfD einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik im Bundestag durchgesetzt.
Der Antrag hatte allerdings nur Appellcharakter. Die Empörung über das Vorgehen von Merz ist dennoch gewaltig. Und sie dürfte noch größer werden, sollte die Abstimmung heute zugunsten der Union ausgehen – und zwar wieder mit AFD-Stimmen. Zehntausende Menschen sind schon am Donnerstag (30. Januar) auf die Straße gegangen – unter anderem in Berlin, Freiburg, Hannover und München.
Der Migrations-Streit ist längst zu einer Causa Friedrich Merz geworden. Wenige Wochen vor der Wahl haben die Parteien das zentrale Thema gefunden. Und: Eine politische und gesellschaftliche Eskalation ist angesichts der aufgeheizten Stimmung im Land zu befürchten.
Worum geht es in dem Gesetzentwurf?
Ist das Vorhaben neu?
Von März 2016 bis Juli 2018 war der Familiennachzug für sogenannt subsidiär Schutzberechtigte von der damaligen schwarz-roten Koalition ausgesetzt worden. Begründet wurde dies damals mit der Absicht, eine Überlastung bei der Aufnahme und Integration zu vermeiden. Seit August 2018 dürfen monatlich insgesamt 1000 Menschen als Angehörige von Menschen mit diesem Schutzstatus einreisen.
Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP sah eigentlich vor, dass der Familiennachzug auch zu Menschen aus dieser Gruppe wieder unbegrenzt möglich werden soll. Umgesetzt wurde dieses Vorhaben aber nicht.
Welche Abstimmungen hat es vorher gegeben?
Anders als der am Mittwoch angenommene 5-Punkte-Plan der Union hat der jetzt zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf rechtliche Konsequenzen. Die Bundesregierung müsste die darin vorgeschlagenen Änderungen umsetzen, falls er denn beschlossen werden sollte.
Wie läuft die Abstimmung ab?
Im Bundestag wird über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ namentlich abgestimmt. Bei diesem Verfahren wirft jeder Abgeordnete seine Stimmkarte ein. Am Ende wird veröffentlicht, wie jeder Einzelne abgestimmt hat. Notwendig ist eine einfache Mehrheit, also mehr Ja- als Nein-Stimmen. Die Union hat zusammen mit AfD, BSW und FDP eine Mehrheit im Bundestag.
Wie geht es weiter, falls der Bundestag zustimmt?
Dem Gesetzentwurf müsste auch der Bundesrat zustimmen. Da bislang keine Bemühungen zu erkennen sind, die Länderkammer um Fristverkürzung zu bitten, würde der Bundesrat erst im März – also nach der für den 23. Februar geplanten Bundestagswahl – entscheiden. Ob es für das Vorhaben im Bundesrat eine Mehrheit geben wird, ist allerdings fraglich.
Was sagen die Parteien vor der Abstimmung?
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verteidigt das Vorgehen der Union. „Wir stimmen nicht gemeinsam mit AfD. Mir ist völlig egal, was sie machen.“ Wenn man aus Angst, „dass irgendjemand zustimmen könnte“, nicht nach seiner Überzeugung handele, so Linnemann weiter, „dann ist das kein Parlament mehr, kein demokratisches Parlament“.