Mit Firmen am Bewerbungsgespräch tüfteln

Die Berufs- und Betriebsorientierung am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium hat mit Corona einen Digitalisierungsschub bekommen, auch bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen in Präsenz gibt es Neuerungen. Das erweiterte Konzept hat beim Sparda-Impuls-Wettbewerb überzeugt.

Mit Firmen am Bewerbungsgespräch tüfteln

Bei einer Jobmesse in kleinem Rahmen im Gymnasium konnten Schülerinnen und Schüler sowie Firmenvertreterinnen und -vertreter miteinander ins Gespräch kommen.

Von Christine Schick

Murrhardt. „Ich habe zu Beginn des Schuljahres 2020/2021 die Begleitung der Berufs- und Betriebsorientierung übernommen“, erzählt Gianluca Canella vom Kollegium des Heinrich-von-Zügel-Gymnasiums. Für die BBO, so die Kurzform, bedeuteten die Rahmenbedingungen unter Corona zunächst, möglichst viel ins Netz zu verlegen. Die Plattform Moodle, die die Murrhardter Schule auch für den Distanzunterricht verwendet, wurde genutzt, um erste Brücken zu Unternehmen zu schlagen. Das Projekt, das in der 10. Klasse des Gymnasiums fest im Stundenplan verankert ist, arbeitet unter anderem mit dem Unternehmerforum Oberes Murrtal und seinen Mitgliedern zusammen.

Diejenigen, die auch als Projektpartner fungieren, hatten eine Präsentation vorbereitet und im Anschluss konnten die Schülerinnen und Schüler Fragen stellen, berichtet Gianluca Canella. Trotzdem musste einiges der gewohnten Angebote ausfallen und der Projektverantwortliche räumt ein, dass sich alle natürlich mehr Interaktion und Livebegegnung gewünscht hätten. Insofern ist er froh, dass sich dies zumindest in Teilen im zweiten Coronajahr und nun zu Beginn 2022 umsetzen ließ. Eingeflossen sind dabei auch einige Neuerungen des Konzepts. Am Anfang steht immer noch der Part, der mit dem Stichwort „Entscheidungstraining“ überschrieben ist. Den Schülerinnen und Schülern werden Instrumente und Methoden an die Hand gegeben, um ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Berufsfelder zu ihnen passen.

„Erweitert haben wir das Bewerbungstraining“, sagt Gianluca Canella. Themen sind das Bewerbungsschreiben mit Lebenslauf, auch ein sogenanntes Motivationsschreiben gehört dazu. Um das, was dann im Idealfall folgt, nämlich ein Bewerbungsgespräch, unter möglichst realen Vorzeichen trainieren zu können, haben Gianluca Canella und Carmen Brucker vom Vorstand des Unternehmerforums Firmen mit ins Boot geholt. „Fünf Unternehmen haben mitgemacht und Verantwortliche haben mit den einzelnen Schülern Bewerbungsgespräche geführt“, berichtet der Lehrer. „Es gab eine Art Warm-up, das Gespräch an sich und es war verabredet, auch etwas verzwicktere beziehungsweise fordernde Fragen zu stellen.“ Nach seinen Eindrücken waren die Schülerinnen und Schüler zwar nervös, trotzdem habe es von den Jugendlichen und Unternehmen gute Rückmeldung zum Angebot gegeben. Künftig soll auch eine Mappe mit Blick auf den Beruf vorbereitet werden, für den sich die Einzelnen interessieren. Weitere Ideen sind, Strategien zur Stressreduktion und zum Auftreten inklusive Reflexion übers Selbstbild zu vertiefen.

Ebenfalls als neues Element hinzugekommen ist eine Jobmesse und zwar in digitaler und realer Form. Auf der schulischen Plattform haben Unternehmen Informationen über sich platziert, die Arbeitsfeld, Berufe sowie Ausbildungsmöglichkeiten skizzieren. Hinzu kommen auch Stellenanzeigen, sodass sich die Schülerinnen und Schüler einen Eindruck von verschiedenen Anforderungsprofilen machen können. In kleinerem Umfang – aufgrund von Corona – war aber auch eine analoge Messe im Gymnasium möglich, bei der sich sechs Firmen vorgestellt und die jungen Leute mit Vertreterinnen und Vertretern ins Gespräch kommen konnten. „Von Vorteil ist, dass sich da unter Umständen auch ein Praktikumsplatz klarmachen lässt“, sagt Gianluca Canella. Das BBO gipfelt sozusagen neben einer Betriebserkundung in der Gruppe in einem einwöchigen Praktikum, das aber erst einmal gefunden sein will.

Und wie haben Schülerinnen und Schüler das Ganze erlebt? Die Rückmeldungen von fünf jungen Leuten fallen positiv aus. „Ich fand das Vorstellungsgespräch gut“, sagt Beyza Koc. Auch bei den Übungen zu Zielen und der Analyse von persönlichen Stärken und Schwächen hat die 15-Jährige einiges für sich mitgenommen. Sie wird ein Praktikum in einer kieferorthopädischen Praxis machen. „Das Schreiben von Bewerbungen möchte ich noch üben“, sagt sie.

Achilleas Avramidis hat die Möglichkeiten genutzt, um sich über die verschiedenen Berufe zu informieren. Einen Traumberuf hat er noch nicht gefunden, liebäugelt aber mit dem Bereich Sport insbesondere Fußball und denkt darüber nach, ob das Lehramt eine Option ist. „Die Jobmesse fand ich die beste Idee“, sagt der 17-Jährige. Sein Praktikum macht er bei einer Firma, die sich auf Korkprodukte spezialisiert hat.

Milena Müller freut sich schon länger aufs BBO. Sie ist sich noch nicht so sicher, wo es hingehen soll, und hält es für wichtig, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Spannend fand die 15-Jährige die Frage von ihrem Lehrer, wo sie sich mit vielleicht 30 Jahren beruflich und privat sehe. Sie beinhalte ja auch diejenige, wie sich Familie und Beruf miteinander vereinbaren lassen. Klasse fände sie, wenn künftig noch mehr Unternehmen bei der Jobmesse teilnehmen könnten, im sozialen Bereich gebe es noch nicht so viele Möglichkeiten. „Jetzt geht es allmählich los mit der Frage, was mach ich nach dem Abi, Ausbildung oder Studium?“, sagt die 15-jährige Lotta Ziegler. „Das Bewerbungsgespräch war das Highlight, ich war aufgeregt, aber es war richtig interessant, auch die Vorbereitung war gut.“ Beim Praktikum will sie sich im medizinischen Bereich umsehen. Auch für Lisa Hoger hält das BBO hilfreiche Anregungen bereit, sie sei einfach ganz offen an alles herangegangen. Spannend findet sie zwei ganz unterschiedliche Berufsbereiche – die Chirurgie und die Anwaltskanzlei – und freut sich, dass es ihr möglich ist, Eindrücke in einer Klinik zu sammeln. Fazit: Am liebsten eine noch breiter aufgestellte Auswahl an Unternehmen, mit denen ein direkter Kontakt möglich ist, beispielsweise auch im sozialen und medizinischen Bereich.

Ein spannender Aspekt für Carmen Brucker vom Ufom-Vorstand, die als Verbindungsglied zwischen Unternehmen und Schulen fungiert. Das erweiterte Konzept hat ihr sofort zugesagt. „Mein Job ist es, die Firmen an Bord zu holen. Klar, manche machen schon lange mit, aber ich habe die Neuerungen im Vorstand vorgestellt und die Mitglieder angeschrieben“, erzählt sie. Gefreut habe sie, dass sich Firmen ganz offen dafür gezeigt hätten, beim Training für ein Bewerbungsgespräch mitzumachen. Sie sieht dies für die Unternehmen auch als Chance, mit jungen Talenten in Kontakt zu kommen. Nicht immer sei denen wiederum bewusst, dass das Ausbildungsangebot auch duale Studiengänge umfassen kann. Zurzeit sind zwölf Firmen ins BBO-Projekt eingebunden. Brucker betont aber: „Das heißt nicht, dass sie bei jedem Angebot dabei sein müssen, sondern sie können entscheiden, was für sie gut machbar ist, das ist ganz flexibel.“ Im Zentrum stehe letztlich aber das Anliegen, vermitteln zu können, wie ein Berufsalltag ganz konkret aussieht.

All das hat auch die Jury des Sparda-Impuls-Wettbewerbs überzeugt. Das erweiterte BBO-Konzept hat einen Preis der Kategorie Berufsorientierung von 2500 Euro erhalten, dazu kam ein Zuschlag bei der Gesamtabstimmung, sodass nun 3000 Euro ans Gymnasium gehen. Bei 259 teilnehmenden Schulen kein schlechtes Ergebnis, findet Gianluca Canella, der sich schon mit Verbesserungen und Zukunftsideen befasst. Eine Überlegung ist, noch mehr Berufe anhand persönlicher Schilderungen per Video vorzustellen. Und wie soll das Preisgeld verwendet werden? Wünschenswert sei, die digitalen Möglichkeiten fürs Projekt zu erweitern. Hilfreich fände Canella beispielsweise, fürs Bewerbungstraining die Aufnahme von Gesprächen mit einbinden zu können.

Mit Firmen am Bewerbungsgespräch tüfteln

Betriebserkundungen gehören beim Projekt dazu, die Aufnahme – ohne Maske – stammt noch aus Vor-Corona-Zeiten. Fotos: privat

Weitere Partner gesucht

Das Projekt Die Anfänge des Projekts reichen bis ins Jahr 1998 zurück. Die anfängliche Kooperation der Schule mit dem Industrieforum und der Firma Winkle entwickelte sich im Laufe von zehn Jahren zum Pilotprojekt „Berufs- und Betriebsorientierung“. Kooperationspartner sind das Unternehmerforum Oberes Murrtal, die IHK Rems-Murr, die Arbeitsagentur Rems-Murr, die Kreissparkasse, die Volksbank und die Stadt Murrhardt.

Neue Partner Das BBO-Projekt sucht weitere Partner, sprich Firmen oder Institutionen, die sich vorstellen können mitzuwirken. Bei Interesse freut sich Carmen Brucker über eine Nachricht an office@ufom.info.