Obstbaumberater Adrian Klose zeigt, wie eine gut verheilte Schnittwunde am Baum aussieht. Foto: VOGL Murrhardt
Murrhardt. Geradezu in letzter Minute hat der Murrhardter Verein für Obstbau, Garten und Landschaft (VOGL) zum Obstbaumwinterschnittkurs eingeladen. Denn auf der vereinseigenen Streuobstwiese auf der Hardt kann man die Ausbruchsbereitschaft der Blütenknospen förmlich spüren. Auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Schnittkurses wartet bei zunächst frostigem Tagesbeginn zuerst die Theorie des Obstbaumschnitts. Und die hat es in sich, wie der VOGL in seinem Bericht wissen lässt. Adrian Klose und Marion Häußler – beide Obstbaumberater des Landwirtschaftsamts – erläutern, wie die gewünschte Struktur eines ertragreichen Obstbaums aussieht und wie man diese durch einen guten Schnitt herbeiführt.
Die Gruppe lernt: Es gibt Erziehungs-, Erhaltungs- und Verjüngungsschnitte und ein Baum braucht neben der in der Mitte befindlichen Stammverlängerung drei bis vier seitliche Leitäste. Jeder Schnitt soll „an einem Astring“ erfolgen, dem leicht verdickten Ansatz eines Zweigs. Denn das ermöglicht eine saubere Wundheilung durch die Aktivierung der teilungsfähigen Zellschicht (des sogenannten Kambiums).
Damit ist die Gruppe bei den wichtigsten Utensilien eines erfolgreichen Schnitts angekommen. Jetzt schlägt die Stunde von Wolfgang Doderer, Fachwart des VOGL und ausgewiesener Schneidprofi. Für ihn gehören neben Handschuhen und festem Schuhwerk unbedingt eine Schere für Äste bis zu drei Zentimetern Durchmesser, eine Baumsäge für dickere Kaliber und Obstbaumscheren für die Feinarbeit zu einem erfolgreichen Schnitt; und natürlich eine Leiter, die idealerweise Spitzen am unteren Ende hat, die man in den Boden treiben kann, damit man beim Schneiden sicher steht.
Nach der Theorie geht es an den Baum
Ziel des Winterschnitts ist zum einen die Auslichtung der Krone, denn Bäume wachsen nicht nach Plan, sondern zum Licht. Zum anderen sind die Fruchtholzbildung sowie die Erhaltung der Vitalität und Gesundheit des Baums wichtig. So weit, so gut. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind zum ersten Mal dabei, andere haben schon mal irgendwo geschnitten – wissen aber nicht mehr genau, wie und warum. In den Augen einiger liest man Fragen wie: Woher weiß ich, was wegdarf? Oder: Wie war das noch mit der Saftwaage? Einige schauen ehrfürchtig nach oben in die Krone, andere lieber erst mal, was die anderen machen. Die Schere ist scharf, aber der Blick noch nicht. Die Theorie leuchtet ein, aber die Krone ist dichter und verwirrender als gedacht. Marion Häußler, Adrian Klose und Wolfgang Doderer nehmen es gelassen. Sie erkennen natürlich auf den ersten Blick, wo der Baum zu dicht ist, welcher Ast die Form stört und wo Licht fehlt, damit Fruchtholz entstehen kann. Doch genau hier beginnt der Lernmoment für die Einzelnen: Vertrauen fassen, in sich und in den Baum. Als die ersten Kursteilnehmer selbst Äste entfernen, herrscht konzentrierte Stille. Manche schneiden zögerlich, andere entschlossen, mal wird ein Trieb zu kurz gekappt, mal zu nah am Stamm. Die Profis kommentieren das sachlich: „Bisschen weiter außen wär besser gewesen.“ Oder: „Das hier lassen wir mal stehen, da kann Fruchtholz draus werden.“ Während die drei Fachwarte an manchen Bäumen selbst mit wenigen Schnitten für Luft und Ordnung sorgen, freuen sie sich, wenn jemand aus der Gruppe einen Schnitt vorschlägt und dabei schon begründet, warum. Sie kennen die typischen Anfängerfehler und wissen, dass sie nicht dramatisch sind. Denn: Ein gesunder Baum verzeiht viel.
Die Einzelnen werden sicherer
Die Fragen werden konkreter, die Scherenbewegungen sicherer, das Stirnrunzeln ist gewichen. Mit jedem Schnitt, den die Einzelnen setzen, wächst das Vertrauen in die eigene Entscheidung. Und irgendwann sagt jemand ganz selbstverständlich: „Der Ast macht Konkurrenz zum Leitast – den nehm ich raus.“ Ein anderer sagt: „Der Ast hier, der geht nach innen, der muss weg.“ Ein weiterer Ast „steht senkrecht – des gibt bloß Wassertriebe“. Es passiert das, was solche Kurse so wertvoll macht: Der Teilnehmer versteht, dass es beim Obstbaumschnitt nicht ums Perfektsein, sondern ums Verstehen und Entwickeln geht.
Apropos: Worum handelt es sich eigentlich bei diesen berüchtigten „Wasserschossern“? Auch darauf bekommt man eine fachlich korrekte Antwort: Diese entstehen statt Fruchtholz oft nach starkem Rückschnitt durch die Verschiebung des hormonellen Gleichgewichts des Baums. Der beste Umgang mit diesen jugendlichen Rebellen der Baumkrone: zur Vermeidung von weiterem Stress besser nicht alle entfernen, stattdessen einige umleiten, andere kürzen und im Zweifel den Sommerschnitt zur Beruhigung nutzen, berichtet der VOGL weiter.
Der Obstbaumschnittkurs endet, wie er begonnen hat, im Kreis um einen Baum. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind ein bisschen stolz, ein bisschen dreckig, ein bisschen durchgefroren – also genau richtig. Wer sich umblickt, sieht: Die jüngeren Bäume sind gestutzt, die Kronen der älteren gelichtet und durchlüftet. Das Bild zeigt keine verworrene Astkronen mehr, sondern Apfelbäume mit neuem Potenzial und das eigene Werk. Da sind Stolz und Erleichterung; und bei einigen der Entschluss, nächstes Jahr wieder dabei zu sein. pm