Politische Arbeit war kein Zuckerschlecken

Serie „Vor 75 Jahren: Erinnerungen an das Notjahr 1947 in Murrhardt“ Neustart des Engagements der Parteien gestaltete sich wegen Mangels und strenger Kontrolle durch die US-Militärregierung außerordentlich schwierig. Hinzu kamen Skepsis und Wahlmüdigkeit der Bevölkerung.

Politische Arbeit war kein Zuckerschlecken

Für Mitglieder von Parteien war es oft schon schwierig, sich zu treffen. Nur wenige Restaurants und Lokale waren mit Speise- und Getränkevorräten gesegnet. Die „Sonne-Post“ war eine der wenigen Ausnahmen. (Aufnahme ist um einiges älter, stammt von 1930.) Foto: Stadtarchiv

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Nachdem die US-Militärregierung 1946 die demokratischen Parteien wie CDU, SPD und DVP wieder zugelassen hatte, kontrollierte sie bis einschließlich 1947 deren politische Arbeit sehr streng. Dazu galt es eine Vielzahl von Vorgaben und Richtlinien detailgenau zu befolgen, hat Christian Schweizer recherchiert. Sämtliche Parteiversammlungen waren bis spätestens 48 Stunden vor Beginn unter Angabe von Thema, Redner, Versammlungsort, Uhrzeit und Zahl der voraussichtlichen Besucher zu beantragen. Auch für Fraktionssitzungen und sogar Versammlungen im privaten Bereich benötigte man Genehmigungen. Annoncen, Plakate und Handzettel waren bei der entsprechenden Dienststelle der Militärregierung einzureichen und parteiinterne Wahlergebnisse zu melden. Im Wahlkampf war die schlechte Motorisierung ein besonderes Hindernis: Die wenigsten Personen hatten Autos. Benzin gab es nur per Antrag an die Militärregierung in geringsten Mengen, wie aus mehreren Schreiben hervorgeht: „Wir machen die Kreisgeschäftsstellen darauf aufmerksam, dass die uns zur Verfügung stehende Menge Benzin (...) bei weitem nicht ausreicht, um allen Anforderungen gerecht zu werden.“ Darum versuchte man, Wagen mit Holzgasantrieb und Unterstützer mit eigenen Autos zu finden sowie im Notfall Benzin oder Kraftstoff „auszuleihen“ und gegen andere Waren einzutauschen.

Die Mobilität war stark eingeschränkt, Gastwirte halfen mit Fahrzeugen aus

Der damalige CDU-Ortsverband Murrhardt hatte den Vorteil, dass Unternehmer und Gastwirte Fahrzeuge zur Verfügung stellen konnten. Da Reifen absolute Mangelware waren, sollte die Straßenverkehrsdirektion die Reifenversorgung für die Parteien sicherstellen. Für Autofahrten an Sonn- und Feiertagen waren Ausnahmegenehmigungen erforderlich. Fahrzeuge waren unentbehrlich, weil die Züge auf den durch Kriegsschäden und Brückensprengungen weitgehend zerstörten Eisenbahnlinien noch nicht regelmäßig und überallhin fahren konnten. Wegen der Lebensmittelknappheit fanden Versammlungen nur in bestimmten Gaststätten wie in der „Sonne-Post“ statt, die trotz des Mangels gute Speisen- und Getränkevorräte besaßen.

1947 berichtete der gebürtige Murrhardter Alfred Elser, erster hauptamtlicher Geschäftsführer des CDU-Kreisverbands, über die schwierige Parteiaufbauarbeit zur Gewinnung von Mitgliedern, Kandidaten und Wählerstimmen im Vorfeld der Gemeinderatswahlen Anfang Dezember. Dazu besuchten Mitglieder des CDU-Ortsverbands im Herbst die Einwohner der Murrhardter Teilorte, jedoch nur mit geringem Erfolg. „Überall begegnet man den gleichen Fragen: Nahrung, Wohnung, Flüchtlinge und Kleidung.“ Die Leistungen der CDU wurden kritisch hinterfragt, auch hatte die Bevölkerung kein Interesse an Parteipolitik. Darum „bleibt für die kommenden Wochen und Monate noch sehr viel Kleinarbeit zu tun, die Aufklärung in die ganzen Verhältnisse bringen muss. Sollten auch dann keine Erfolge zu erzielen sein, so bleibt für die künftigen Wahlen eine geringe Chance der Partei. Keinesfalls werden so viele Mitglieder geworben werden können, als für den Posten eines Gemeinderates Leute erforderlich sind.“ Bei mehreren Versammlungen im November wählten die Parteimitglieder die Kandidaten für die Gemeinderatswahl am 7. Dezember 1947 in Murrhardt.

Dabei wählten die Murrhardter elf Räte von der DVP, Vorläuferin der FDP, vier von der SPD und drei von der CDU, insgesamt also 18, darunter vier aus den Teilorten, die Hälfte waren Neugewählte. Über dieses Wahlergebnis schrieb Elser am 21. Dezember 1947: „Mit einer etwas kurzen, aber intensiven und auch überzeugenden Vorbereitung ging man in die Wahlen. Seitens der Parteien wurde eine aktive Propaganda- und Werbetätigkeit entfaltet, in deren Verlauf es an Gehässigkeiten in keiner Weise mangelte. Die CDU wurde in mannigfaltiger Art angeprangert (...) als die Partei der Großkapitalisten.“ Jede Partei erhob den Anspruch, sie wäre in der Lage, die Verhältnisse grundlegend neu zu gestalten. „Allgemein wäre etwas mehr Toleranz wünschenswert und angebracht gewesen. Wir leben in einer Zeit, die uns täglich neue und schwierige Probleme stellt. Fest steht hierbei nur, dass es einer Partei kaum möglich sein wird, diese zur allgemeinen Zufriedenheit zu lösen.“ Denn von deutscher Seite aus konnte nur wenig getan werden, um die Situation zu verändern, da alles der Entscheidung des Alliierten Kontrollrates in Berlin oblag. Als Ursachen für die schlechte Wahlbeteiligung nannte Elser den unfairen Wahlkampf, eine gewisse Wahlmüdigkeit und Desinteresse an allem Geschehen aus der Erkenntnis heraus, dass die Zustände dadurch doch nicht besser würden.

Thema für die Parteien ist vor allem auch die Lösung existenzieller Probleme

Es „sollten Mittel und Wege gefunden werden, die alle Parteien auf einer friedlichen Basis zusammenfinden ließe“, um in der Zusammenarbeit die Lösung der Grundprobleme anzugehen und gegen Not und Elend zu steuern. Die Aufnahme von Neubürgern als Kandidaten in die Parteiliste erwies sich als Problem: Zugunsten der Neubürger strichen viele Wähler die Kandidaten der Altbürger aus der Liste. So enthielten viele Stimmzettel als gültige Stimme nur noch den Namen eines Neubürgers, was zu einer hohen Zahl von Fehlstimmen, sprich: ungültigen Stimmen führte.

Über die Entwicklung und Aktivitäten des SPD-Ortsvereins Murrhardt nach Ende des Zweiten Weltkriegs existieren leider weder schriftlichen Aufzeichnungen noch Zeitzeugenberichte. Elke Zondler, die eine Ausstellung zum Jubiläum 150 Jahre Sozialdemokratie gestaltete, fasst zusammen: „Der Neuanfang nach Kriegsende war schwer, trotzdem entwickelte sich die älteste Partei Deutschlands zu einer der maßgebenden und staatstragenden Kräfte. Ab 1947 war sie wieder in Murrhardt präsent“, organisierte Versammlungen und Wahlkampfveranstaltungen unter denselben schwierigen Bedingungen wie die CDU.

Das Ahlener Programm der CDU und die politischen Ziele der SPD

Christdemokraten Anfang Februar 1947 verabschiedete die CDU im neu gegründeten Land Nordrhein-Westfalen mit Konrad Adenauer das Ahlener Programm, das von der schwierigen Situation geprägt war. Es forderte eine soziale und wirtschaftliche Neuordnung, deren Ziel nicht mehr „das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes“ sein sollte, also ein christlich geprägter Sozialismus mit Vergesellschaftung von Bergwerken und Großindustrie. Aber in den Düsseldorfer Leitsätzen vom 15. Juli 1949, einen Monat vor der ersten Bundestagswahl, bekannte sich die CDU zur freiheitlich-sozialen Wirtschaftspolitik und sozialen Marktwirtschaft mit privatem Eigentum, gerechter Verteilung der wirtschaftlichen Erträge und einer sozialen Gesetzgebung.

Sozialdemokraten Die SPD wollte in den Westzonen Deutschlands eine sozialökonomische Neuordnung erreichen. Kurt Schumacher, seit Mai 1946 Vorsitzender, bestimmte die Politik. „Richtlinien für den Aufbau der Deutschen Republik“ war das Motto des programmatischen SPD-Parteitags vom 29. Juni bis 2. Juli 1947 in Nürnberg. Kurt Schumacher stellte die SPD als „demokratisch aus Prinzip, eine Partei des Friedens und der Völkerverständigung“ heraus und forderte einen „demokratischen Sozialismus“. Das Eigentum der Großindustrie und Banken sollte in Gemeineigentum überführt werden, Gewerkschaften und Arbeiter mitbestimmen. Wegen des katastrophalen Lebensmittelmangels hielt man eine radikale Bodenreform für notwendig: Teile des Großgrundbesitzes sollte landlosen und landarmen Bauern übergeben werden. Weiter forderte man die Demokratisierung der Verwaltungen, der Polizei und der Justiz durch Entnazifizierung, also Entlassung aller Mitglieder der NSDAP oder anderer NS-Organisationen aus diesen Institutionen, deren Stellen und Ämter zuverlässige demokratische Politiker übernehmen sollten.