Einrichtungstrend Bookshelf-Wealth

Schöner Buchrücken zum Entzücken

„Bookshelf-Wealth“ nennt sich ein Trend, der von Influencern beworben wird und die Individualität der Bewohner zeigen soll. Ganz so originell ist freilich auch diese neue Einrichtungsmode nicht.

Schöner Buchrücken zum Entzücken

Ins Bücherregal zum Angeben gehören zum Beispiel auch ein Globus, Kunsthandwerk, Kerzen und Vasen.

Von Adrienne Braun

Werden Experten im Fernsehen befragt, präsentieren sie sich eigentlich immer vor einem Bücherregal. Und das hat es in sich. Meterweise füllt Fachliteratur die Regalbretter – und leistet wertvolle Dienste. Denn jedes einzelne Buch, ob groß oder klein, dick oder dünn untermauert die Expertise der Person, die hier gerade spricht. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie die hunderttausende Seiten tatsächlich gelesen hat – das Bücherregal als solches dient der intellektuellen Selbstdarstellung.

Aber halt, wer liest denn heute überhaupt noch Bücher, schließlich werden gerade wissenschaftliche Publikationen immer häufiger digital publiziert? Das ist die falsche Frage. Denn man kann Bücher besitzen, ohne sie zu lesen, so, wie man in seiner Küche oder im Hobbykeller unter Umständen auch hochpreisige Gerätschaften und Werkzeuge stehen hat, ohne sie je zu benutzen.

Bei „Bookshelf-Wealth“ geht es um die Aura der Buches

„Bookshelf-Wealth“ nennt sich ein neuer Einrichtungstrend, der auf die Aura des Buches setzt, aber anders als bei den Expertinnen und Experten im Fernsehen, die hauptsächlich Bildung und Belesenheit zur Schau stellen wollen. Bei „Bookshelf-Wealth“ geht es in erster Linie um den Wert des Buches, der den eigenen Wohlstand zum Ausdruck bringen soll. Der Inhalt der Bücher spielt dabei durchaus eine Rolle. Denn populäre Krimis und Schnulzen kommen in der Regel als Taschenbücher auf den Markt – und geben optisch wenig her. Um Stil und Kultiviertheit zu vermitteln, eignen sich eher teure Bildbände und Designklassiker, es dürfen durchaus auch mal Vintage-Stücke sein, sofern die Buchrücken farblich abgestimmt sind.

Ein bemerkenswerter Trend, schließlich haben Bücher, die über Jahrhunderte Insignien des Bildungsbürgertums waren, in den vergangenen Jahren rapide an Bedeutung verloren. Dank des neuen Einrichtungstrends scheinen sie nun ein Comeback zu erleben und wieder geschätzt zu werden – zumindest zur Selbstdarstellung. Im Internet kursieren zahlreiche Anleitungen und erklären Influencer das Phänomen „Bookshelf-Wealth“. Die Anleitung, die Kailee Blalock, eine Innenarchitektin aus San Diego, auf TikTok gibt, wurde schon mehr als 1,3 Millionen Mal angeklickt. Sie erklärt, wie man Bücher und andere Dinge, „die die Seele erfüllen“, richtig sammelt.

Kuratiert wie eine Ausstellung im Museum

Das erste Gebot der korrekten Einrichtung: Bücher dürfen keinesfalls pragmatisch nebeneinander gestellt oder gar nach Farben sortiert werden, sondern müssen sich in eine Gesamtinszenierung einfügen. Dabei, sagt die Fachfrau, müsse selbstverständlich der Charakter des gesamten Hauses berücksichtigt werden. Das Zimmer wird wie eine Ausstellung im Museum kuratiert und die Bücher werden mit ästhetischem Feingefühl arrangiert. Wichtig seien gemütliche Inseln, sagt Kailee Blalock, um die die Bücher herum garniert werden. „Das Mischen von Mustern und Farben ist nicht nur erlaubt, es ist ein Muss“, sagt die Einrichtungsexpertin – und was würde einen besseren Farb- und Mustermix ermöglichen, wenn nicht Bücher mit ihren unterschiedlich gestalteten Rücken?

Zur perfekten Inszenierung gehören aber weitere Gegenstände, ein Globus, ein hölzernes Schatzkästchen oder Kunsthandwerk, Kerzen und Vasen. Damit ähnelt „Bookshelf-Wealth“ den einstigen Wunderkammer der Fürsten und Könige, die mit Fund- und Sammelstücken aus aller Welt beweisen wollten, dass sie nicht nur reich, sondern auch kosmopolitisch, weit gereist und interessiert sind.

Es geht darum, seine Individualität zur Schau zu stellen

Während die Regenten aber versuchten, die Trophäen zu ergattern, die auch ihre Konkurrenten besaßen, sollen die Bücher heute eher die Persönlichkeit und die eigenen Vorlieben unterstreichen. Fotos, Bildbände und Souvenirs sollen zeigen, wohin man gereist ist. Alte Schinken oder Dekostücke wollen den Eindruck erwecken, als wären sie seit Generationen in der Familie weitergegeben worden. Es geht also darum, seine Individualität zur Schau zu stellen.

Ganz so individuell ist freilich auch diese neue Einrichtungsmode nicht. Der französische Philosoph Michel Foucault brachte die ästhetische Gestaltung des Lebensraums in einen direkten Zusammenhang mit der Gestaltung des Ichs. Letztlich gestalte das Individuum sich selbst wie ein Kunstwerk. Die Haltung, die man wählt, der Kleidungsstil, die Einrichtung und auch die Bücher sind dabei zwar eine Art erweitertes Ich, aber vermitteln, so Foucault, immer auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, in der man sich sehen möchte.

Während viele die Welt derzeit als komplex und verwirrend erleben, ist die oberste Maxime beim „Bookshelf-Wealth“, seine Bücherregale nie chaotisch und vollgestopft wirken zu lassen. Jedes Stück soll bewusst präsentiert werden. Das freilich ist vielleicht für die Seele nicht mal das Schlechteste, wenigstens zu Hause das Gefühl zu haben, den Überblick zu bewahren – während die Generation der Babyboomer ihre Bücher gern auch auf dem Boden stapelte oder in zwei Reihen ins Regal stellte.