Selenskyj bei der Nato in Brüssel
„Siegesplan“ aus Kiew überzeugt nicht alle in der EU
Wolodymyr Selenskyj besucht die EU und die Nato in Brüssel, wird bei der Forderung nach weitreichenden Raketensystemen aber abgeblockt.
Von Knut Krohn
Die großen Hoffnungen Wolodymyr Selenskyjs werden in Brüssel enttäuscht. Zuerst durchkreuzt Bundeskanzler Olaf Scholz den „Siegesplan“ des ukrainischen Präsidenten. Dann bekommt er noch eine Abfuhr bei der Nato, die ihm keine Hoffnungen auf einen schnellen Beitritt des Landes macht. Selenskyj war zuletzt durch mehrere Länder gereist, um seine Ideen zu präsentieren, wie Russland fast drei Jahre nach dem Überfall auf die Ukraine an den Verhandlungstisch gezwungen werden könnte. Am Donnerstag war er schließlich zu Gast in Brüssel beim EU-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Ein zentraler Punkt des Planes ist die Stationierung von weitreichenden Raketensystemen, die die Zerstörung militärischer Ziele entfernt von der Front im russischen Hinterland erlauben.
Deutschland soll Wille beweisen
Wiederholt betonte der ukrainische Staatschef, dass das Überleben seines Landes vom Willen der westlichen Partner abhänge. Das war ein Wink in Richtung USA und Deutschland. Beide Staaten unterstützen Kiew zwar mit Milliardensummen, weigern sich jedoch, weitreichende Waffensysteme freizugeben. Kanzler Scholz wich, trotz der schwierigen Lage an den Frontabschnitten in der Ukraine, auch auf dem EU-Gipfel nicht von dieser Linie ab. „Sie kennen die Haltung Deutschlands in den Fragen, die da berührt sind. Daran wird sich auch nichts ändern“, unterstrich er am Rande des Treffens. Der ukrainische Präsident wollte diese Erklärung nicht unkommentiert stehenlassen. „Wir brauchen die Langstreckenwaffen“, sagte er am Donnerstag nach dem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs. Deutschland müsse „den Willen zur Unterstützung“ der Ukraine beweisen, forderte er. Berlin und Washington äußerten bereits immer wieder die Sorge, die Lieferung weitreichender Raketen könnte den Krieg in der Ukraine weiter eskalieren. Im Raum steht seit Monaten die Drohung Moskaus vom Einsatz von Atomwaffen. Auf der anderen Seite stehen vor allem nordische und osteuropäische EU- und Nato-Staaten. Sie argumentieren, dass im Umgang mit Russland nur größtmöglicher Druck zielführend sei. Diesen Ansatz verfolgt auch Selenskyj mit seinem „Siegesplan“, in dem „Frieden durch Drohungen“ geschaffen werden soll. Trotz der Weigerung, die Raketen zu liefern, betonte Kanzler Scholz: „Die Ukraine kann sich auf uns verlassen.“ Der Gipfel sende vor dem dritten Kriegswinter ein deutliches Signal an Russland, dass die Hilfe des Westens nicht nachlassen werde. Scholz versprach, die EU werde ihren Teil für ein Hilfspaket von 50 Milliarden Dollar (46 Milliarden Euro) leisten, das die G7-Länder der Ukraine bei ihrem Treffen im Juni zugesagt hatten. Dafür hatten die EU-Länder Hilfen in Höhe von bis zu 35 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. So einhellig wie von Scholz dargestellt, ist die Unterstützung der EU aber nicht. Wie einige Mal zuvor, hat etwa der ungarische Regierungschef Viktor Orban seinen Widerstand gegen die Ukraine-Hilfen angekündigt.
Rutte gibt sich zurückhaltend
Auch bei der Nato stößt der „Siegesplan“ Selenskyjs nicht auf ungeteilten Beifall. So wird darin etwa eine schnelle Einladung zum Nato-Beitritt gefordert. Russland wollte mit seinem Überfall unter anderem verhindern, dass sich die Ukraine dem Transatlantischen Bündnis annähert. Der ukrainische Präsident traf am Donnerstag auch den neuen Nato-Generalsekretär Mark Rutte, der sich vorab zurückhaltend geäußert hatte. In einer ersten Reaktion äußerte er, derzeit nicht sagen zu können, dass er den gesamten Plan unterstütze. Und verwies auf die Beschlüsse des jüngsten Nato-Gipfels in Washington.
Wie im Fall der Raketenlieferungen erwiesen sich auch damals die USA und Deutschland als Blockierer einer schnellen Einladung für Kiew. Die Bündnisstaaten verständigten sich lediglich darauf, der Ukraine allgemein zuzusichern, dass sie auf ihrem Weg in das Verteidigungsbündnis nicht mehr aufzuhalten sei. Hinter vorgehaltener Hand wird diskutiert, die Einladung als Trumpfkarte bei möglichen Verhandlungen mit Russland zu behalten. So könnte Kiew Moskau anbieten, auf die Nato-Mitgliedschaft zu verzichten, wenn sich Russland aus ukrainischem Gebieten zurückzieht.