Dass viele Brücken in Deutschland in einem schlechten Zustand sind, ist Konsens. Eine Auswertung warnt, die Lage sei noch dramatischer als angenommen.
Luftaufnahme der Baustelle der Ringbahnbrücke der A100 im Berliner Westen. Der Abriss der maroden Ringbahnbrücke hat begonnen.
Von Markus Brauer/dpa
Der Bund unterschätzt den Sanierungsstau bei den maroden Brücken in Deutschland einer Erhebung zufolge deutlich. Insgesamt sind der Organisation Transport & Environment (T&E) zufolge rund 16.000 Brücken in Bundeshand baufällig.
„Wird die Sanierung dieser Brücken verschleppt, dann sind sie anfälliger für Verschleiß, was mittelfristig zu noch höheren Kosten führt.“ Auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene müssen nach T&E-Berechnungen bis zu 100 Milliarden Euro in den Ersatzneubau von Brücken investiert werden.
T&E ist ein europäischer Dachverband nicht-staatlicher Organisationen, die sich nach eigenen Angaben für nachhaltigen Verkehr einsetzen.
Das Verkehrsministerium teilte auf Anfrage mit, dass die genannte Zahl der 16.000 Brücken nicht nachvollziehbar sei.
Ringbahn- und Carolabrücke als Beispiele der maroden Brücke
Schon jetzt führt die überalterte Infrastruktur dazu, dass Bauwerke immer wieder kurzfristig gesperrt werden müssen. Jüngstes Beispiel ist die sogenannte Ringbahnbrücke auf der A100 im Westen Berlins. Sie ist seit Mitte März dicht, weil sich ein Riss im Tragwerk vergrößert hatte.
Derzeit wird das Bauwerk von 1963 abgerissen. Dann soll ein Neubau folgen. Wann die neue Brücke steht, ist offen. Die Ringbahnbrücke gehört zu einem der wichtigsten Verkehrsknoten in Deutschland – dem Autobahndreieck Funkturm.
Auf kommunaler Ebene ist die Carolabrücke in Dresden der wohl prominenteste Fall. Die Brücke stürzte im September 2024 in Teilen in die Elbe. Seit Dienstag (15. April) ist auch die Brücke am Damaschkeplatz im Magdeburger Stadtzentrum wegen erheblicher Schäden vollständig gesperrt. Betroffen sind der Autoverkehr, Straßenbahnen, Radfahrerinnen und Radfahrer sowie Fußgänger.
Verkehrsministerium geht von 8000 maroden Brücken aus
„Dass viele Brücken im deutschen Straßennetz in einem schlechten Zustand sind, war schon lange absehbar»“ schreibt T&E in dem Bericht. „Viele Brücken, oft in den 1970er Jahren gebaut, sind ursprünglich auf eine geringere Belastung ausgelegt worden.“
T&E bemängelt vor allem, dass das Verkehrsministerium in seinem Brücken-Modernisierungsprogramm von 2022 nicht das gesamte Autobahnnetz in den Blick nimmt. Dem Sanierungsplan des Ministeriums zufolge sollen in einem Zeitraum von zehn Jahren 4000 Brücken im Kernnetz stark belasteter Autobahnen saniert werden. Langfristig sollten weitere 4000 Autobahnbrücken folgen.
Eine Sprecherin des Verkehrsministeriums erklärt: „Aufgrund der großen Anzahl und um die vorhandenen Ressourcen bestmöglich einzusetzen, ist eine Priorisierung notwendig.“
Vor allem in Stadtstaaten sind Brücken in schlechtem Zustand
T&E kommt auf deutlich höhere Zahlen als das Ministerium: „Insgesamt müssen 5905 Brücken, 24 Prozent der Brückenfläche im Bundesfernstraßennetz, ersetzt werden. Weitere 10.240 Brücken sind so stark belastet, dass wahrscheinlich ein Ersatzneubau nötig ist, eventuell kann allerdings auch durch Verstärkung Abhilfe geschaffen werden.“
Dabei sei der Zustand der Brücken nicht überall gleich schlecht. „Besonders betroffen sind die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen, in denen viele Brücken deutlich über ihre ursprüngliche Auslegung belastet sind.“
In Nordrhein-Westfalen sei der Anteil der Brückenfläche, die neu gebaut werden müsse, doppelt so hoch wie in Bayern. Die Brücken in den Ostdeutschen Flächenländern seien hingegen „zu großen Teilen in den 1990er Jahren errichtet und schon damals auf höhere Verkehrslasten ausgelegt“ worden.
„Triage bei der Modernisierung von Straßenbrücken“
„Wir wissen eigentlich genau, welche Brücke schnell saniert werden muss“, erklärt Benedikt Heyl von T&E Deutschland. „Doch das Verkehrsministerium hinkt den Notwendigkeiten so weit hinterher, dass die Autobahn GmbH inzwischen eine Triage bei der Modernisierung von Straßenbrücken durchführt. Das ist absurd und teuer, denn jede verschleppte Sanierung kostet in Zukunft noch viel mehr.“
T&E fordert von der künftigen Bundesregierung unter anderem, dass Bund und Länder den Kommunen mehr Geld für die Infrastruktur geben müssten. Zudem müssten Sanierung und Instandhaltung Vorrang vor dem Bau neuer Autobahnen und Bundesstraßen haben.
„Alle Brücken vor 1980 gebaut sind Problempatienten“
Brückenexperte Martin Mertens kritisiert den schlechten Zustand vieler Großbrücken in Deutschland. „Grundsätzlich kann man sagen, dass bei den Großbrücken alle Brücken, die vor 1980 gebaut worden sind, unsere Problempatienten sind“, sagt der Professor von der Hochschule Bochum. Das seien wegen des regelrechten Baubooms nach dem Zweiten Weltkrieg leider die meisten. Die Politik müsse reagieren.
Laut Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) ist der Zustand der „Brückenflächen“ bei über zwölf Prozent „sehr gut“ oder „gut“, bei etwa 75 Prozent „befriedigend“ oder „ausreichend“.Bei fast elf Prozent ist der Zustand demnach „nicht ausreichend“, bei knapp zwei Prozent sogar „ungenügend“. Das bedeutet: „Die Standsicherheit oder Verkehrssicherheit ist nicht mehr gegeben“, erklärt die Bundesbehörde.
Info: So steht es um Deutschlands Brücken
Wie viele Brücken gibt es in Deutschland?
• Nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) gibt es in Deutschland rund 39 500 Brücken an Bundesfernstraßen – das heißt Autobahnbrücken und Brücken an Bundesstraßen mit Ortsdurchfahrten.
• Laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) werden die Bauwerke je nach Bauart und Brückenquerschnitt in Teilbauwerke untergliedert. Insgesamt sind rund 51 360 Brücken-Teilbauwerke mit einer Gesamtfläche von über 30 Millionen Quadratmetern zu betreuen.
• Die Gesamtlänge beträgt demnach mehr als 2100 Kilometer, was etwa der Strecke von Flensburg bis Neapel entspricht.
Wie werden Schäden an Brücken eingeteilt?
• Die Zustandsnote bildet nach BAST-Angaben die Grundlage für die weitere Erhaltungsplanung der jeweiligen Brücken.
• Eine Zustandsnote „nicht ausreichend“ bedeutet demnach aber nicht zwangsläufig eine Nutzungseinschränkung des Bauwerkes, sondern sei vielmehr ein „Indikator“ dafür, dass „in näherer Zukunft eine Instandsetzungsmaßnahme“ notwendig sein wird.
• Ein „ungenügender“ Zustand weist zwar auf eine beeinträchtigte oder nicht mehr gegebene Stand- oder Verkehrssicherheit einer Brücke hin, kann aber auch auf geringere Schäden zurückzuführen sein. So können zum Beispiel fehlende Gitterstäbe im Geländer oder schadhafte Abdichtungen am Asphaltbelag der Brücke Gründe für eine schlechte Beurteilung des Bauwerks durch die Prüfer sein.
Ab wann besteht Sanierungsbedarf?
• Der Bundesbehörde zufolge besteht in solchen Fällen „dringender Handlungsbedarf“, um eine Sperrung zu verhindern. Wenn etwa bei einer routinemäßigen Bauwerksprüfung Mängel festgestellt werden, so würden sofort entsprechende Maßnahmen getroffen, um die erforderliche Sicherheit für den Verkehr auch weiterhin zu gewährleisten.
• Die meisten der rund 140 000 Straßenbrücken sowie kapp 40 000 Fernstraßenbrücken in Deutschland stammen noch aus den 1960er und 1970er Jahren. Mittlerweile ist das Problem der maroden Brücken-Infrastruktur erkannt und Bund und Länder investieren jetzt mehr Geld, um Fahrbahnen und kaputte Brücken auf Vordermann zu bringen.