Sommerkinderfest als „Tag der Freude“

Das Krisenjahr 1923 in Murrhardt (3) In den Ferien erholten sich Kinder aus dem Ruhrgebiet in der Walterichstadt, ihren Teilorten und Nachbargemeinden. Der Verschönerungsverein setzte Wanderwege instand und klagte über Vandalismus.

Sommerkinderfest als „Tag der Freude“

Das Kinderfest 1927 muss ähnlich abgelaufen sein wie 1923, mit Gesang und Spielen. Foto: Stadtarchiv Murrhardt

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. 1923 war der 1. Mai, der „Tag der Arbeit“, noch kein gesetzlicher Feiertag, diesen führten erst die Nationalsozialisten 1933 ein. Die Vereinigten Gewerkschaften forderten bei einer nachmittäglichen Feier besseren Arbeitsschutz für Frauen und Kinder, es gab also noch Kinderarbeit. Erstmals feierte die deutsche Bevölkerung den Muttertag am zweiten Maisonntag. Ein- und zweijährige Kleinkinder bedürftiger Familien erhielten dann verbilligte Milch, finanziert durch Spenden sowie Mittel von der Stadt und vom Reich.

Der örtliche Militärverein erhöhte seine Beihilfen bei Krankheit und Todesfällen, um besonders bedürftige Kameraden wie Invalide sowie Familien gefallener Soldaten zu unterstützen. Im Sommer kamen trotz der sich verschärfenden Krise zahlreiche „Kurgäste“ in den damaligen Luftkurort. Die Murrhardter Stadtverwaltung erinnerte daran, dass für deren Beherbergung eine Meldepflicht bestand, zudem mussten alle privaten und gewerblichen Gastgeber Fremdenwohnsteuer bezahlen. Im Juni fanden im Teilort Vorderwestermurr gleich zwei große Feste statt.

Der Radfahrerverein „Murrquelle“ beging seine Gründungsfeier bei schönstem Wetter mit Radsportfreunden und Gästen aus nah und fern: Es gab einen großen Festzug mit Reitern, Festdamen und dem Musikverein Stadtkapelle. Anschließend begeisterten Vorführungen von Radfahrervereinen aus Cannstatt, Esslingen und anderen Städten, bei denen Kunstradfahrer akrobatische Kunststücke zeigten, das Publikum. Etwas später folgte der Bauerntag mit Landjugendfest, der trotz regnerischer, kühler Witterung gut besucht war. Auf dem Programm stand ebenfalls ein Festzug mit Reitern und Wagen, zudem gab es diverse sportliche Darbietungen wie Pferderennen und Radfahrer-Hindernisrennen.

Vandalismus an öffentlichen Anlagen war schon zu jenen Zeiten ein Problem

Damals existierte in der Walterichstadt ein von der Stadtverwaltung finanziell und materiell unterstützter Verschönerungsverein. Dessen Mitglieder engagierten sich für den Fremdenverkehr, indem sie dafür sorgten, dass die Stadt mit ihrer Umgebung sich den vielen Gästen optisch ansprechend präsentierte und alle touristischen Einrichtungen in gutem Zustand blieben. So setzten die Aktiven Wanderwege instand, wobei fünf Rutschungen in der Hörschbachschlucht „außerordentlichen Aufwand“ erforderten.

Auch die Ruhebänke, die „unter so viel roher Gewalt leiden“, stellten sie wieder her und schmückten darüber hinaus das Rathaus und den Marktbrunnen mit Blumen. Der Verein beklagte, dass die Anlagen am Bahnhof in schlechtem Zustand waren, wodurch Gäste einen schlechten Eindruck bekamen. Daraus geht hervor, dass schon damals Vandalismus, sprich Beschädigung von öffentlichen Anlagen und Einrichtungen ein großes Problem war.

Um die Bevölkerung des Ruhrgebiets zu unterstützen, fand eine Hilfsaktion für Kinder statt, die in den Sommerferien per Bahn in verschiedene ländliche Gebiete zur Erholung reisten. Ende Juni kamen am Murrhardter Bahnhof bei strömendem Regen 61 Kinder an, mehr Jungen als Mädchen, aus der ehemals selbstständigen Gemeinde Buer, heute ein Stadtteil von Recklinghausen. 37 Kinder brachte man in der Walterichstadt und deren Teilorten unter, 24 verteilte man auf benachbarte Gemeinden wie Sulzbach an der Murr und Fornsbach, indes folgte später nochmals eine Umverteilung. Über Spendensammlungen bekamen die Kinder Bekleidung und Schuhe.

Am Festplatz Römersee gab es allerlei Spiele sowie ein zünftiges Vesper

Im Bereich der Karlstraße ließ die Stadtverwaltung ein vierfaches Reihenhaus erbauen. Ende Juli veranstaltete sie zum dritten Mal nach Ende des Ersten Weltkriegs ein großes Kinderfest als „Tag der Freude“. Eingeladen waren alle Kindergartenkinder, Volks- und Lateinschüler sowie die Gastkinder aus dem Ruhrgebiet, insgesamt rund 500 Mädchen und Jungen. Wohlhabende aktuelle sowie in die USA ausgewanderte ehemalige Murrhardter Bürgerinnen und Bürger übernahmen die Kosten. Auf dem Programm stand eine gemeinsame Wanderung der Kinder mit Lehrern, Eltern und Gastfamilien vom Rathaus hinauf zum Römersee-Festplatz mit Musik und Gesang.

Alle Mädchen und Jungen waren prächtig herausgeputzt, trugen Bänder, Fahnen und vielfarbige Bogen. Eine Musikkapelle begleitete den Gesang bekannter Kinder- und Volkslieder. Am Festplatz Römersee war ein Spielplatz aufgebaut: Bei Wettspielen konnten die Kinder Preise gewinnen, welche Geschäftsleute zuvor gestiftet hatten, sowie an einem Kletterbaum und einem Schwebebalken ihre Geschicklichkeit zeigen. Eine besondere Attraktion war eine sogenannte Wurstwalze mit reichem Behang. Jedes Kind bekam ein schwäbisches Vesper mit zwei Brezeln und einem Stück Wurst vom in die USA ausgewanderten Hermann Stadtmann. Nach mehreren fröhlichen Stunden kehrten die Kinderschar und die Festgäste mit Gesang und Musik in die Stadt zurück.