Telemedizin für Tiere: per Videoanruf zum Tierarzt

Seit knapp zwei Jahren vertreibt der Murrhardter Tierarzt Harald Pfeiffer ein Programm, das Telemedizin für Tiere ermöglicht. Besonders bei Notfällen kann der Tierarzt schnell einschätzen, ob sofortiges Handeln notwendig ist. Auch im Alltag kommen Videosprechstunden zum Einsatz.

Telemedizin für Tiere: per Videoanruf zum Tierarzt

Was fehlt der Katze? Durch die Videofunktion kann sich der Tierarzt ein Bild von dem Zustand des Tieres machen. Foto: privat

Von Kristin Doberer

Murrhardt. Wenn das geliebte Haustier am Wochenende oder spät abends plötzlich Schmerzen zu haben scheint oder Krankheitszeichen zeigt, sind viele Tierhalter beunruhigt. Ist das Tier ernsthaft krank? Kann der Besuch beim Tierarzt noch bis zum nächsten Werktag warten? Oder muss es vielleicht doch zum Tiernotdienst? „Viele Tierhalter machen sich dann natürlich Sorgen. Aber nur etwa zehn Prozent der Fälle, die bei einem Notdienst anfallen, sind wirkliche Notfälle“, sagt der Murrhardter Tierarzt Harald Pfeiffer. Er ist seit über 30 Jahren Tierarzt, mit seiner Praxis in Murrhardt betreut er seit 2004 Klein- und Großtiere, auch übernimmt er regelmäßig Tiernotdienste. Immer wieder gebe es dabei Fälle, bei denen der Notdienst angerufen wird, weil der Hund zum Beispiel humpelt. „Und dann sperrt man abends um 22 Uhr die Praxis auf, fährt die Geräte hoch, vielleicht kommt noch eine Tiermedizinische Fachangestellte dazu und dann kommt der Hund schwanzwedelnd in die Praxis gelaufen“, nennt der Tierarzt ein Beispiel.

Seit etwa zwei Jahren bietet er aber eine Alternative an. Mit Vetguru hat der Tierarzt ein Programm entwickelt, das telemedizinische Beratung auch für Tierhalter und ihre Lieblinge ermöglicht. Über einen Link können die Tierhalter von verschiedenen Geräten aus zur Videosprechstunde gelangen und ihrem Tierarzt virtuell gegenübersitzen. Über die Kamera kann dann auch das kranke Tier in Augenschein genommen werden. „Da fühlen sich die Kunden viel beruhigter, als bei einem reinen Telefonat – besonders wenn man sagt, dass der Tierarztbesuch am nächsten Tag noch völlig ausreichend ist“, sagt Pfeiffer. Vor allem da immer weniger Tierärzte und Tierkliniken einen Notdienst anbieten, werden die Fahrtwege für Tierhalter immer weiter.

Beratung und Kontrollen per Videosprechstunde

Aber nicht nur zur Notfalleinschätzung kommt die Videosprechstunde zum Einsatz. Besonders geeignet sei das Programm für Nachkontrollen, zum Beispiel nach einer Operation, bei offenen Wunden oder Hauterkrankungen. Auch bei Beratungen biete sich das an, zum Beispiel wenn es um Ernährungsberatung für ein Tier gehe oder wenn ein Tierhalter eine zweite Meinung einholen möchte. „Das ist sehr vielseitig einsetzbar, die Tierärzte können das Programm an ihre jeweiligen Vorstellungen anpassen“, sagt Pfeiffer. Er bietet selbst zum Beispiel früh morgens kurze Videosprechstunden an. „So wissen die Tierhalter Bescheid, ob es wirklich ernst ist oder sie doch beruhigt auf die Arbeit gehen können.“ Die Nachfrage nach dem Telemedizinprogramm wachse stetig, Tierärzte aus ganz Deutschland zählen mittlerweile zu seinen Kunden. Corona habe der Nachfrage nach Telemedizin einen Schub gegeben, aber er ist sich sicher: „Die Telemedizin für Tiere wird bleiben.“ Der Fachkräftemangel sei auch im tiermedizinischen Bereich groß, immer weniger Praxen schaffen es personell, eine Notdienstversorgung anzubieten. „Und das ist ein Problem, das sich nicht so schnell lösen lassen wird.“ Im Gegenteil: Der Nachwuchs fehle, gleichzeitig sei die Belastung und die Gefahr eines Burn-outs groß. Es gebe schon Regionen in Deutschland, in denen die Notversorgung zusammengebrochen sei und Tierhalter in Notfällen über eine Stunde zur nächsten Klinik fahren müssen. „Die Nachfrage nach der Telemedizin steigt mit der Distanz“, sagt er.

Die Idee zu der Plattform kam dem Murrhardter Tierarzt vor einigen Jahren. „Ich war schon immer sehr an digitalen Spielereien interessiert“, sagt Harald Pfeiffer. Als sich dann mit Facetime und Whatsapp schnelle und einfache Möglichkeiten der Videotelefonie auftaten, kam die Überlegung auf, wie das auch in der Praxis sicher genutzt werden könnte. „Gerade von Tierhaltern, die weiter fahren müssen oder vielleicht sogar im Urlaub sind, wird das immer wieder nachgefragt“, sagt Pfeiffer. Das Problem: Ein Programm, das zum einen die persönlichen Daten der Nutzer verschlüsselt, zum anderen aber auch eine Abrechnung und Terminbuchung ermöglicht, habe es nicht gegeben. Ein Tool für die tierische Telemedizin aber komplett neu programmieren zu lassen, wäre sehr teuer geworden. Pfeiffer hat eine Zwischenlösung gefunden. Ein Programm für humane Telemedizin hat er von einem großen Anbieter bezogen und das dann an die Bedürfnisse der Tiermedizin angepasst. So gibt es bei Programmen für humane Telemedizin zum Beispiel keine Möglichkeit, die Kamera zu wechseln. In dem Bereich werde das schlicht nicht benötigt, die Patienten sprechen ja direkt in die Kamera. Anders bei der Videosprechstunde beim Tierarzt: So kann man mit der Handy- oder Tabletkamera dann zum Beispiel einen Hund, der humpelt, beim Gassigehen zeigen oder beispielsweise auch mit der Kamera direkt an Hautausschläge des Stubentigers heranzoomen. Und auch das Abrechnungssystem musste umprogrammiert werden. „Schließlich zahlen Tierärzte 19 Prozent Mehrwertsteuer“, erklärt Pfeiffer.

Für die Tierärzte habe die Videosprechstunde einen weiteren Vorteil: Sie können selbst einstellen, ob die Beratung bezahlt werden muss oder nicht. „Bei einer OP-Nachsorge zum Beispiel wurde die Leistung ja schon bezahlt“, sagt Pfeiffer. Die reine Nachkontrolle könne per Video dann kostenlos erfolgen. Bei einer Beratung oder einem Notfall können die Tierärzte auch voraussetzen, dass die Leistung bezahlt wird, bevor der Link zur Videosprechstunde aktiviert wird, um Zahlungsausfälle zu vermeiden. „Mittlerweile wird oft verlangt, dass man immer auf verschiedene Arten erreichbar ist. Manchmal bekommt man abends um 22 Uhr ein Bild per Whatsapp zugeschickt und soll dann sofort reagieren.“ Gerade solche Beratungen können aber nicht abgerechnet werden. „Diese Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit ist ein Problem.“ Einerseits wolle man zufriedene Kunden, andererseits müsse man wirtschaftlich denken.

Der Telemedizin für Tiere sind auch einige Grenzen gesetzt

Allerdings gibt auch der Vetguru-Gründer selbst zu: „Nicht in allen Situationen eignet sich das Programm.“ Gerade bei Nutztieren zum Beispiel gebe es relativ viele rechtliche Einschränkungen bei der Nutzung von Telemedizin. Und auch die technischen Voraussetzungen machen zum Teil Probleme. Reicht die Internetverbindung nicht, kann das Bild schon mal etwas unscharf werden. „Zumindest bei Notdiensten geht es in vielen Fällen aber eher darum, eine fundierte Einschätzung zum Allgemeinzustand des Tieres zu treffen. Das können Tierärzte mit Erfahrung oft auch ohne die genauen Details zu sehen oder den Bauch abzutasten.“ Lasse sich die Entscheidung nicht per Video treffen, so können die Tierhalter danach immer noch in die Praxis kommen. Außerdem sind der Telemedizin auch Grenzen gesetzt. So darf der Tierarzt per Video keine Medikamente verschreiben oder Diagnosen stellen. Das könnte sich aber mit Blick auf fehlendes tierärztliches Personal noch ändern, meint Pfeiffer: „Wer weiß, wie lange wir den Luxus noch haben, die Telemedizin hier einzuschränken.“