Im Jahr 1999 wählte ihn die Zeitschrift „Time“ zur „Person des Jahrhunderts“. Albert Einsteins Horizont reichte über die Physik hinaus. Manches davon stimmt im Rückblick heiter, anderes ist von beklemmender Aktualität.
Albert Einstein (1879-1955): „Ich bin ein Feind des Bolschewismus wie des Faschismus. Ich bin gegen alle Diktaturen.“
Von Markus Brauer/KNA
Kurz vor seinem Tod war Albert Einstein in großer Sorge. „Trotzdem alle sehen, dass ein ernsthafter militärischer Konflikt unter den heutigen Bedingungen zur Vernichtung aller führen muss“, könne sich die Menschheit nicht dazu entschließen, „gegenseitige Bedrohung durch wohlwollendes Verständnis zu ersetzen“, schieb der weltberühmte Physiker am 11. März 1955 an die belgische Königin Elisabeth.
Wenige Wochen später, am 18. April, starb Einstein in Princeton. In den USA hatte sich der aus einer jüdischen Familie stammende Forscher 1933 niedergelassen, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten in Deutschland zu entgehen.
„Ihre Kunst ist noch größer!“
Einsteins wissenschaftliches Erbe bleibt auch 70 Jahre nach seinem Tod enorm. Die Formel E=mc2 können selbst physikalische Analphabeten aufsagen.
Auch wenn es ihnen dabei gehen mag wie Charlie Chaplin bei einer Begegnung mit Einstein im Jahr 1931: „Was ich an Ihrer Kunst am meisten bewundere, ist ihre Universalität. Sie sagen kein Wort, aber die ganze Welt versteht Sie!“, soll Einstein ausgerufen haben. Chaplins hellsichtige Entgegnung: „Stimmt. Aber Ihre Kunst ist noch größer! Die ganze Welt bewundert Sie, auch wenn keiner ein Wort davon versteht, was Sie sagen.“
„Ich bin gegen alle Diktaturen“
Dabei war Einstein in gesellschaftlichen Debatten um klare Ansagen selten verlegen. Nationalismus bezeichnete er 1929 als Kinderkrankheit, „die Masern der Menschheit“. Kurz vor seiner endgültigen Abreise in die USA betonte er: „Ich bin ein Feind des Bolschewismus wie des Faschismus. Ich bin gegen alle Diktaturen.“
Im Jahr 1945 warfen die Amerikaner Atombomben über die beiden japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab. Einstein erneuerte kurz darauf seine Forderung nach einer durchsetzungsfähigen supranationalen Institution. „Die einzige Rettung für die Zivilisation und die Menschheit ist die Schaffung einer Weltregierung“, bekräftigte er. Denn solange Staaten über Waffen verfügten, würden neue Kriege unvermeidlich sein.
Politisch naiv oder weitblickend?
Angesichts des aggressiven Kurses der Nationalsozialisten in Deutschland stand der Pazifist Einstein 1933 allerdings vor einem Dilemma. Im belgischen Küstenort De Haan, wo er sich vor seiner Abreise in die USA mehrere Monate aufhielt, räumte er mit Blick auf die politischen Umwälzungen in Deutschland ein, dass die Armee seines Gastlandes Belgien unter Zugzwang stehe. Zur Verteidigung sei deren Wehrkraft „gerade jetzt dringend nötig“.
Die von seinem Biografen Walter Isaacson beschriebenen Reaktionen auf diese Neubewertung erinnern an aktuelle Debatten um Aufrüstung angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine: „Nachdem Einstein jahrelang von seinen konservativen Freunden als naiv bezeichnet worden war, warfen ihm jetzt die Linken vor, ihm fehle der politische Durchblick.“
„Eidgenössischer Tintenscheißer“
Dessen ungeachtet zieht sich die Abneigung gegen alles Militärische wie ein roter Faden durch das Leben des eigensinnigen Forschers. Sie war laut Isaacson möglicherweise auch eines der Motive, warum der 16-jährige Einstein in die Schweiz übersiedelte. Auf diese Weise konnte der gebürtige Ulmer einer Einberufung zum Wehrdienst entgehen. In der Schweiz machte er sein Abitur, studierte Mathematik und Physik und war anschließend als Patentprüfer am Schweizer Patentamt tätig.
Richtig ausgelastet war der Musikfreund Einstein laut eigenem Bekunden damit nicht. „Ich bin ein ehrwürdiger eidgenössischer Tintenscheißer mit ordentlichem Gehalt. Daneben reite ich auf meinem alten mathematisch-physikalischen Steckenpferd und fege auf der Geige.“
„Ich kann mir keinen persönlichen Gott vorstellen“
Immerhin blieb also Zeit, die eigenen Gedanken zu sortieren – etwa zum photoelektrischen Effekt. Hierfür erhielt Einstein 1921 den Nobelpreis – oder zur Speziellen Relativitätstheorie.
Das, was er da herausfand, machte ihn ehrfürchtig. „Jeder, der Wissenschaft ernsthaft betreibt, gelangt zu der Überzeugung, dass sich in den Gesetzen des Universums ein Geist offenbart. Ein Geist, der dem des Menschen unendlich überlegen ist und angesichts dessen wir mit unseren bescheidenen Kräften nur Demut empfinden können.“
Zugleich bekannte er: „Ich kann mir keinen persönlichen Gott vorstellen, der die Handlungen individueller Menschen direkt beeinflusst oder über die Geschöpfe seiner eigenen Schöpfung zu Gericht sitzt.“
Letzte Botschaften eines Menschheitsgenies
Kurz vor seinem Tod feilte der Forscher noch an einer Rede zum siebten Jahrestag der Gründung Israels, die er freilich nicht mehr halten sollte. Dem israelischen Botschafter Abba Eban vertraute er am 11. April 1955 an, für wie moralisch bedeutsam er die Existenz des israelischen Staates halte.
Und fügte mahnend hinzu: „Unsere Haltung zu unserer arabischen Minderheit ist der wahre Prüfstein unseres moralischen Standards.“