Und Walterichs Grab war doch nicht leer

Bei der Ausgrabung des Landesdenkmalamts in der Murrhardter Walterichskirche vor 60 Jahren gelang es, die vielfach bezweifelte reale Existenz des als wundertätig verehrten ersten Klosterabts durch diese Entdeckung eindeutig nachzuweisen.

Und Walterichs Grab war doch nicht leer

Für den Sarg wurden Steinplatten verwendet, die Reste eines großen römischen Monuments waren. Foto: Archiv Carl-Schweizer-Museum

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Anfang der 1960er-Jahre stand in Murrhardt ein Großprojekt an: die Renovierung der Walterichskirche, in der noch ein eiserner Ofen als Heizung diente. Denn sie befand sich in schlechtem Zustand: „Man musste die Kirche herrichten, damit sie präsentabel war“, erinnert sich Heimatgeschichtsexperte Rolf Schweizer. Auch galt es, den Innenraum zeitgemäß komfortabler zu gestalten und eine moderne Heizung einzubauen.

Damals waren jedoch viele wichtige ortshistorische Fakten noch kaum bekannt: Sogar namhafte Wissenschaftler bezweifelten die reale historische Existenz des einst als wundertätig verehrten Walterichs, erster Abt des ehemaligen Benediktinerklosters. „Ich war als einziger davon überzeugt, dass Walterich eine Person war, die wirklich gelebt hatte, und dass sein Grab in der Walterichskirche ist“, verdeutlicht Rolf Schweizer. Denn er hatte intensiv alte Murrhardter Schriftquellen studiert, darunter die Aufzeichnungen von Prälat Johannes Hummel, der Ende des 16. Jahrhunderts dieses Grab hatte öffnen lassen. Insofern war Rolf Schweizer klar, dass eine archäologische Ausgrabung das historische Wissen fundamental verändern werde: „Sie war die letzte Chance, vor den Renovierungsarbeiten den Untergrund zu erforschen und die Zweifel endgültig zu beseitigen.“

Für das Unterfangen war viel Überredungskunst vonnöten

Als der damalige Stadtpfarrer Gotthilf Leitz 1961 zunächst eine Ausgrabung abgelehnt hatte, hielt Schweizer öffentliche Vorträge im „Engel“-Saal. Damit machte er Stimmung für sein Vorhaben der Ausgrabung, indem er aufzeigte, was dabei möglicherweise alles zu entdecken war. Mit Erfolg: Es gelang ihm, die Bevölkerung zu mobilisieren. Auch die evangelische Kirchengemeinde ging begeistert mit in der Erwartung, die Existenz von Walterich endgültig beweisen zu können. Daraufhin organisierte das Landesdenkmalamt eine kleine, kurzfristige Ausgrabung, die der Kunsthistoriker und Archäologe Bodo Cichy leitete. Deren Initiator Rolf Schweizer unterstützte Cichy inoffiziell als Ortskundiger, hinzu kamen fünf ehrenamtliche Helfer, Rentner und Berufstätige.

Die Grabung begann nach Ostern 1963 und dauerte drei Monate. Ende Mai oder Anfang Juni geschah die Sensation: Rolf Schweizer fand das Grab von Walterich exakt nach der Beschreibung von Johannes Hummel mitten in der Kirche, öffnete es und entfernte den neuzeitlichen Schutt, mit dem es gefüllt war. Der steinerne Grabkasten war im Boden der Kirche so platziert, dass das Haupt des ersten Klosterabts genau im Mittelpunkt des Bauwerks lag. „Daran wird er zugleich als Eigner dieser Kirche erkennbar“, erklärt der Murrhardter Heimatgeschichtsexperte.

Für den steinernen Sarg verwendete man Steinplatten, die Reste eines großen römischen Monuments waren. An der südlichen Seitenwand des Grabs befand sich eine kopfüber eingebaute Reliefplatte mit der Darstellung der kapitolinischen Wölfin, welche die Zwillinge Romulus und Remus säugt, die der Sage nach Rom gründeten. Da jedoch kein Skelett zu sehen war, berichteten Journalisten einer überregionalen Zeitung voreilig: „Das Grab war leer.“

Knochen- und Zahnfragmente lassen Rückschlüsse auf den Toten zu

Doch Rolf Schweizer siebte sorgfältig den Schutt aus, wobei menschliche Knochen- und Zahnfragmente sowie etliche kleine Gegenstände zutage kamen. Zudem konnte er am und im Umkreis des Grabs Skelettreste des darin Bestatteten bergen, die zu einer etwa 1,85 Meter großen, etwa 70 Jahre alten männlichen Person gehörten. Weiter fand Rolf Schweizer Keramik- und Glasscherben, Metallhaken, Ösen und Spangen, die an einem Gewand festgemacht waren, sowie Knochenfragmente eines Vogels und Eierschalen.

Das Grab sei im Mittelalter mindestens zweimal geöffnet worden: Möglicherweise entnahm man Reliquien für die Einweihung des Neubaus der romanischen Klosterkirche um 1000 und der Walterichskapelle um 1230, nimmt der Zeitzeuge der Ausgrabung an. Walterichs Todestag ist nur durch seinen originalen Grabstein überliefert, der nicht mehr vorhanden ist, da er Anfang des 17. Jahrhunderts zerschlagen und zum Opferstock umgearbeitet wurde. In den Jahren um 1520 las der Haller Chronist Georg Widmann die lateinische Inschrift und überlieferte sie um 1550 schriftlich.

Sie lautete: „Obiit Waltericus abbas huius monasterii in tertia calendi decembris nostri temporibus huius corpus hic iam est sepultum.“ Auf Deutsch übersetzt: „Walterich, der Abt dieses Klosters, starb an den dritten Kalenden des Dezembers unserer Zeit, dessen Leib hier schon begraben ist.“ Als Todestag Walterichs gilt nach heutigem Kalender der 29. November, das Wort „iam“ bedeutet, dass er noch an seinem Todestag begraben worden ist.

Für die Ausgrabung wurden Eintrittskarten verkauft

Walterichs Todesjahr ist jedoch unbekannt, da die Inschrift nach Widmanns Überlieferung offenbar keine Jahreszahl enthielt. Dies könnte unterschiedliche Gründe gehabt haben: War sie nicht mehr lesbar, hatte man sie absichtlich weggelassen oder schlicht vergessen? Darauf hat die Forschung noch keine Antwort gefunden, ebenso noch keine Schriftquellen oder sonstige Hinweise darauf, in welchem Jahr Walterich starb: Wahrscheinlich zwischen 830 und 840, wobei Rolf Schweizer zum letztgenannten Datum tendiert. Dank der Ausgrabung sowie zusätzlicher Außenarbeiten und Nachforschungen konnte auch die Baugeschichte der Walterichskirche erschlossen werden.

Die Ausgrabung war für die Bevölkerung der Region eine Attraktion: Interesse und Andrang waren so groß, dass Eintrittskarten ausgegeben werden mussten, um den Zustrom zu regeln. Auf Wunsch des damaligen Murrhardter Bürgermeisters Fritz Ehrmann schrieb Bodo Cichy über die Ergebnisse das Buch „Murrhardt. Sagen, Steine, Geschichten“, welches die Stadtverwaltung 1963 herausgab. Anfangs sei der Archäologe Cichy ein Zweifler, am Schluss aber ein eifriger Verfechter der historischen Existenz von Walterich gewesen, betont Rolf Schweizer.