Virtuose Solopartien, souveränes Tutti

Beim Jubiläumskonzert zum 75-jährigen Bestehen des Kammerorchesters Murrhardt wachsen die Mitwirkenden über sich hinaus und begeistern mit Interpretationen komplexer Kompositionen aus Barock, Romantik und Moderne der Spitzenklasse.

Virtuose Solopartien, souveränes Tutti

Das Kammerorchester unter der Leitung von Matthias Baur begeistert seine Zuhörerinnen und Zuhörer in der Festhalle. Foto: Elisabeth Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Ein denkwürdiges Ereignis ist das Jubiläumskonzert des Kammerorchesters Murrhardt. Dessen Mitglieder und Lehrkräfte der Musikschule Schwäbischer Wald/Limpurger Land, die als Solisten auftreten, haben in intensiver Probenarbeit mit Dirigent Matthias Baur ein prächtiges Programm mit enorm herausfordernden Werken einstudiert. Vor Musizierfreude sprühend bescheren sie dem Publikum im fast voll besetzten Saal der Festhalle ein unvergessliches Hörerlebnis.

Faszinierender Höhepunkt ist das facettenreiche Konzert für Klavier, Trompete und Streicher c-Moll op. 35, das der sowjetische Komponist Dmitri Schostakowitsch 1933 schuf. Es umfasst laut Programmerläuterung „einen genialen Mix aus russischer Romantik, Neoklassik und Music-Hall-Melodik, mutige Experimente, Persiflage und Karikatur“ verschiedener Musikstile. Phasenweise wirkt es wie Zirkusmusik, die akrobatische Kunststücke untermalt. Dazu kommen starke Kontraste zwischen idyllischer Melodik und impulsiven, aufgewühlten Passagen. Am Anfang steht ein Zitat aus Ludwig van Beethovens Appassionata-Sonate.

Mit Verve interpretiert die Pianistin und Klavierpädagogin Julia Chekulaeva die hoch virtuose Klaviersolopartie: Ein effektvolles, perkussionistisch und artistisch wirkendes Klangfeuerwerk in oft atemberaubendem, immer schneller werdendem Tempo. Minutiös gestaltet Jan-Peter Scheurer die ähnlich kontrastreiche Trompetensolopartie und entlockt seinem Instrument teils mit Schalldämpfer eine Fülle von Klangnuancen. Souverän meistern die Kammerorchestermitglieder die gigantischen Herausforderungen dieser Komposition. Sie verzaubern mit ohrenschmeichelnden Kantilenen, innovativen harmonischen und rhythmischen Elementen. Dank hochpräziser Abstimmung gelingen alle Interaktionen zwischen den Solisten und mit dem Orchester tadellos.

Griegs Werk zu Holbergs 200. Geburtstag

Ein großer Hörgenuss ist auch „Aus Holbergs Zeit – Suite im alten Stil“ in G-Dur op. 40 des norwegischen Pianisten und romantischen Komponisten Edvard Grieg, kreiert zum 200. Geburtstag des dänisch-norwegischen Dichters Ludvig Holberg 1884. Vollendet gestaltet das Kammerorchester das Werk mit fünf Sätzen von unterschiedlicher Charakteristik, die höfischen Tänzen und Liedformen der Spätbarockzeit nachempfunden sind. Melodik, Harmonik und Rhythmik weisen aber deutliche Merkmale von Neoklassizismus, Romantik und skandinavischer Volksmusik auf. Klangschön und detailgenau bringen die Musizierenden auch zwei prachtvolle Werke des italienischen Barocks zur Entfaltung, wobei Lea-Maria Gunther feinsinnig den Basso continuo am Cembalo gestaltet. Konzertmeisterin Sandra Stock tritt als virtuose Violinsolistin hervor in Giovanni Battista Pergolesis graziös beschwingtem Rokokokonzert B-Dur. Feierliche Fanfarenklänge präsentiert Jan-Peter Scheurer auf der Barocktrompete in Giuseppe Antonio Vincenzo Aldrovandinis Sonate D11, ein Vorspiel zur Messe in der Basilika San Petronio in Bologna.

Mit Bravorufen und enthusiastischem Applaus dankt das hingerissene Publikum, darunter etliche Auswärtige, den Solisten und Orchestermitgliedern. „Ich bin kein ausgesprochener Klavierfreund, aber heute hatte ich ein Bekehrungserlebnis dank dieser Meisterleistung mit einem Höchstmaß an Ausdruck, Musikalität und körperlicher Kraft. Auch insgesamt war es ein großartiger Abend“, findet Zuhörer Wolfgang Zarth aus Neuenstein. Als Zugabe bietet Julia Chekulaeva Sergej Rachmaninows Präludium in g-Moll mit fantasievoller Melodik und beschwingter Rhythmik stilvoll dar.

Keimzelle des Kammerorchesters

Kurz skizziert Orchestersprecher Rudolf Gerke die Geschichte des Kammerorchesters: Keimzelle war das private Streichorchester von Geigenlehrerin Helene Steck. Kurz nach der Währungsreform im Juni 1948 gab es sein erstes Konzert im Saal der Sonne-Post, der Eintrittspreis betrug 60 Pfennige, damals Stundenlohn eines Arbeiters. 20 Jahre später nahm Volkshochschulleiter Wilhelm Seibold das Streichorchester „unter seine Fittiche“ und förderte es. Als die Musikschule unters Dach der VHS kam, fand Seibold einen fachkundigen und engagierten Leiter in Lehramtsstudent Uwe Matti, der auch das Orchester zwei Jahre dirigierte.

Wegen organisatorischer Probleme trennten sich VHS und Musikschule, die mit dem Orchester zur Stadt kam. Aber: „Es gab niemanden, der für das Orchester sprach“, darum entwarfen Uwe Matti, Konzertmeisterin Irene Zantow und er eine Satzung, und vor 40 Jahren wählten ihn die Musizierenden zum Orchestersprecher. Seit 18 Jahren ist Gerke auch Vorsitzender der Musikschule Schwäbischer Wald/Limpurger Land. „Musik ist wichtig für unsere Gesellschaft“, betont deren Leiterin Judith-Maria Matti.

Mit einem Präsent dankt sie Gerke für seine „vielen Tausend Stunden ehrenamtlicher Arbeit voller Leidenschaft, Geschick und Können: Ich bin stolz auf das Kammerorchester und froh, einen solchen Chef zu haben“. Blumen gibt es für den Dirigenten Matthias Baur, der das Kammerorchester seit über 20 Jahren „mit viel Energie, Musikalität und Spirit“ leitet, und für Konzertmeisterin Sandra Stock für ihre über 20-jährige Arbeit „mit viel Können, Liebe und Geschick“. Ebenso für die Solisten, die als Lehrkräfte „mit Herz an der Musikschule unterrichten und ihr Können weitergeben“, sowie eine süße Stärkung für alle Orchestermitglieder: „Jede und jeder trägt zum Gesamtklang bei“, so Matti.