Einwanderung in die Bundesrepublik
Warum der Islam zu Deutschland gehört
Seit der Flüchtlingskrise 2015 kommen die meisten Asylbewerber, die in Deutschland bleiben wollen, aus muslimisch geprägten Ländern. Doch auch schon bevor die Bundesrepublik existierte, gab es muslimisches Leben auf ihrem Boden.
Von Armin Käfer
Zu den umstrittensten Aussagen, die je einem Bundespräsidenten über die Lippen gekommen sind, zählt Christian Wulffs Befund von 2010: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Damit konnten sich viele nicht anfreunden, vor allem in den christlich etikettierten Parteien, die gerade erst lernten, dass Deutschland auch ein Einwanderungsland ist.
Einwanderungsland waren wir schon in den Anfangszeiten der Bundesrepublik, als mehr als zehn Millionen Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten hier eine neue Heimat suchten. Von 1961 an kamen Muslime hinzu. Damals schloss Deutschland ein Anwerbe-Abkommen mit der Türkei. Die Menschen, die dem darin besiegelten Ansinnen Folge leisteten, wurden zwar als „Gastarbeiter“ angesehen. Viele blieben jedoch.
6000 Muslime nach Ende des Zweiten Weltkriegs
Der Islam gehörte jedenfalls schon zu Deutschland, bevor es die Bundesrepublik gab – wenn auch in anderer Dimension. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs lebten 6000 Muslime hier. 1972 waren es – wegen der „Gastarbeiter“ aus der Türkei und deren Familien – schon 500 000, im Jahre 2000 schließlich drei Millionen. Inzwischen wird die Zahl auf 5,5 bis 5,7 Millionen geschätzt. Genau weiß das niemand, weil muslimische Moscheegemeinden oder Glaubensverbände anders als christliche Kirchen in der Regel keine Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, in denen sich Mitglieder offiziell registrieren lassen müssen.
Unter den annähernd sechs Millionen Muslimen in Deutschland besitzt die Hälfte auch einen deutschen Pass, so berichtet es die Deutsche Islamkonferenz, die der vor einem knappen Jahr verstorbene CDU-Politiker Wolfgang Schäuble 2006 ins Leben gerufen hat, als er Bundesinnenminister war. 45 Prozent der muslimischen Menschen in Deutschland haben ihre Wurzeln in der Türkei. Die meisten von ihnen oder bereits ihre Vorfahren kamen hierher, um zu arbeiten. Zuletzt wurde aber auch eine zunehmende Zahl an Asylbewerbern aus der Türkei registriert. Es wurden immer mehr, nachdem Präsident Recep Tayyip Erdogan sich zum Autokraten gewandelt hatte. Seit 2016 waren es insgesamt 160 000.
Nicht alle Menschen aus muslimisch geprägten Ländern sind Muslime
Seit der Flüchtlingskrise 2015 kommen die meisten Asylbewerber, die in Deutschland bleiben wollen, aus muslimisch geprägten Ländern. 2,9 Millionen Menschen haben in dieser Zeit hier einen Asylantrag gestellt. In manchen Jahren waren es mehr als 75 Prozent, die einem Land entstammen, in dem der Islam eine zentrale Rolle spielt. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration betont in einer einschlägigen Studie jedoch, „dass nicht alle Menschen aus muslimisch geprägten Herkunftsländern dem Islam angehören“. Etwa 20 Prozent von ihnen seien keine Muslime.
Nach einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über „Muslimisches Leben in Deutschland“ verteilen sich die Muslime nicht gleichmäßig auf alle Bundesländer. Im Osten leben demnach nur 3,5 Prozent, die überwiegende Mehrheit ist im Westen ansässig, besonders viele in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Im Südwesten waren es 2020 etwa 800 000 Muslime, so eine Schätzung des Statistischen Landesamtes.
Bundesweit gibt es inzwischen knapp 3000 Moscheen. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages schätzte ihre Zahl in einem Gutachten von 2020 auf 2500 bis 2800. Das gefällt nicht jedem. 2014 formierte sich im Osten Deutschlands eine islam- und fremdenfeindliche Initiative, sich „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ nannte. Kurz: Pegida. Sie wird vom sächsischen Verfassungsschutz seit Mai 2021 als „erwiesene extremistische Bestrebung“ eingestuft. Die Schnittmengen mit Anhängern der AfD sind groß.
Die Vorbehalte gegen muslimische Migranten sind allerdings größer als die Wählerschaft der AfD. Laut einer unlängst veröffentlichten Umfrage des Instituts Insa verbinden 71 Prozent mit der Zuwanderung aus muslimisch geprägten Ländern „ein hohes Sicherheitsrisiko für Deutschland“. 44 Prozent der Deutschen stimmen voll und ganz oder zumindest mit Einschränkungen der Aussage zu: „Muslimen sollte die Einwanderung verwehrt werden“, so eine europaweite Studie der Universität Wien. In Frankreich sagen das sogar 60 Prozent.
Verfassungsschutz: 30 000 Menschen gehörten zur islamistischen Szene
Eine negative Begleiterscheinung der Einwanderung von Muslimen sind islamistische Aktivitäten auch in Deutschland, die auf spektakuläre Weise durch die aus Deutschland operierenden Hintermänner der Terroranschläge am 11. September 2001 ins Blickfeld gerückt sind. Der Verfassungsschutz rechnet knapp 30 000 zur islamistischen Szene. 1150 gewaltbereite Islamisten sind von Deutschland aus in den Nahen Osten ausgereist, um dort Terrornetzwerken wie dem Islamischen Staat zu dienen. 40 Prozent von ihnen sind inzwischen wieder zurückgekehrt. Laut Verfassungsschutz gab es seit 2016 bei uns zwölf islamistisch inspirierte Anschläge mit insgesamt 19 Toten und 120 Verletzten. Seit dem Hamas-Massaker vor einem Jahr ist offenkundig, dass antisemitische Ressentiments unter Muslimen weit verbreitet sind. In Deutschland teilen 40,5 Prozent aller Muslime solche Vorurteile, wie aus der Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig von 2020 hervorgeht. Zum Vergleich: unter Protestanten sind es 5,2 Prozent, bei Katholiken 7,1, bei Menschen ohne Religionszugehörigkeit 9,4 Prozent.
Der Migrationsforscher Ruud Koopmans kommt zum Schluss, „dass Migranten mit muslimischem Hintergrund größere Integrationsprobleme haben“. Allerdings sei „nicht der Islam“ allgemein daran schuld. Schwierigkeiten gebe es vor allem mit ungebildeten, alleinstehenden jungen Männern aus patriarchalisch geprägten Milieus. Das spiegelt sich auch in der Polizeistatistik. Vor einem Jahr veröffentlichte das Bundeskriminalamt Zahlen, wonach die Straftaten mit tatverdächtigen Zuwanderern 2023 um 28,6 Prozent zugenommen hatten. Dabei war der Anteil der Fälle mit Tatverdächtigen aus den Maghrebstaaten „deutlich höher“ als der Anteil dieser Nationalitäten an den Zuwanderern insgesamt.