Antikörper gegen Alzheimer

Was ist Lecanemab und wie wirkt es?

Heilen lässt sich Alzheimer nach wie vor nicht – bei einem sehr kleinen Teil der Betroffenen aber ein bisschen verzögern. Ein Antikörper kann künftig auch in Deutschland verwendet werden.

Was ist Lecanemab und wie wirkt es?

Der Antikörper Lecanemab richtet sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit in einem frühen Stadium verlangsamen.

Von Annett Stein (dpa)/Markus Brauer

Die Europäische Kommission hat erstmals eine Alzheimer-Therapie zugelassen, die auf zugrunde liegende Krankheitsprozesse abzielt. Der Antikörper Lecanemab sei für eine Behandlung im frühen Stadium und das erste Medikament dieser Art, das in der EU zugelassen werde, teilt die Kommission mit. Fachleuten zufolge kommt nur ein sehr kleiner Teil der Alzheimer-Patienten für diese Therapie infrage.

Alzheimer Europe is delighted to hear that the European Commission has today authorised #lecanemab for treatment of early Alzheimer’s disease (under strict conditions). Find out more: https://t.co/TlNfd0m2Aapic.twitter.com/HxUNM4XMsV — Alzheimer Europe (@AlzheimerEurope) April 15, 2025

Keine Heilung oder Verbesserung von Alzheimer in Sicht

Das Medikament, das in einigen Monaten verfügbar sein könnte, soll die Krankheit ein wenig verlangsamen. Die Zulassung unterliegt laut EU-Kommission strengen Auflagen. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen des Arzneimittels bei einer bestimmten Gruppe von Patienten und unter bestimmten Voraussetzung die Risiken überwiege.

Die Brüsseler Behörde folgt mit der Zulassung der Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, nicht ursächliche Prozesse im Gehirn.

Das ist bei Lecanemab anders: Der Antikörper richtet sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit in einem frühen Stadium verlangsamen. Um Heilung oder Verbesserung geht es allerdings auch bei diesem Wirkstoff nicht. Ein solches Mittel ist weiterhin nicht in Sicht.

Frühzeitige Diagnose bleibt Herausforderung

Die Therapie kann das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung um etwa 30 Prozent verlangsamen, sie aber nicht heilen oder zum Stillstand bringen. „Dennoch ist die Zulassung für alle, die für die Therapie in Frage kommen, eine gute Nachricht“, betont Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

„Viele Patienten in Europa haben darauf gewartet, denn aus Sicht der Betroffenen macht ein verlangsamtes Fortschreiten der Erkrankung einen großen Unterschied. In den USA ist das Medikament bereits seit zwei Jahren zugelassen, in UK seit fast einem Jahr.“

Minimale Verzögerung

Hauptmaßstab für die Wirksamkeit der Therapie war die Veränderung der kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten, die anhand einer von 0 bis 18 reichenden Demenzbewertungsskala gemessen wurde, wie es seitens der EMA heißt. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen im Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf (1,22 gegenüber 1,75).

Fraglich ist Experten zufolge, wie alltagsrelevant diese leichte Verzögerung ist. „Sobald das Vollbild einer Alzheimer-Erkrankung vorliegt, sind die statistisch beschriebenen Effekte für den Patienten und sein Umfeld zumeist nicht mehr wahrnehmbar“, sagt Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg.

Experten zufolge wird es noch einige Monate dauern, bis das Mittel wirklich eingesetzt werden kann. Unter anderem, weil der Hersteller verpflichtet wurde, ausführliche Handreichungen und Schulungen für Ärzte auszuarbeiten und ein Beobachtungsregister anzulegen. Das Medikament wird alle zwei Wochen intravenös verabreicht.

Nur im Anfangsstadium einsetzbar

Zugelassen ist Lecanemab nur zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Der Grund ist, dass eine Entfernung der Amyloid-Plaques nichts mehr nützt, wenn diese schon irreversible Schäden im Gehirn angerichtet haben.

Hinzu kommt eine weitere Einschränkung: Das Mittel soll nur für diejenigen Alzheimer-Patienten verwendet werden, die eine oder keine Kopie von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, haben. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen – Schwellungen und Blutungen im Gehirn – geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.

Nur für etwa jeden 60. Alzheimer-Kranken

Von den geschätzt etwa 1,2 Millionen Alzheimer-Erkrankten in Deutschland kommt Experten des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zufolge letztlich nur ein sehr kleiner Teil für die neue Therapie infrage. Als frühe Phase – und damit die mögliche Phase für eine Antikörpertherapie – sind demnach die ersten drei Jahre zu werten. Das sind in Deutschland aktuell schätzungsweise etwa 250.000 Menschen.

80 Prozent davon kommen mit Blick auf ApoE4 infrage. Nicht jeder dieser Patienten erfüllt aber alle Voraussetzungen für die Therapie und ist zudem daran interessiert. Konservativ geschätzt sind es Experten zufolge etwa zehn Prozent. In der Summe dieser Faktoren könnten das etwa 20.000 Patienten sein.

Bei Frauen ist der beobachtete klinische Effekt allerdings noch einmal deutlich geringer als bei Männern. Ihr Risiko für Nebenwirkungen hingegen höher. Ob sie überhaupt von einer Behandlung profitieren, ist der Alzheimer Forschung Initiative zufolge noch unklar. Rund zwei Drittel aller Menschen mit Alzheimer sind Frauen.

Mangelnde Kapazitäten, hohe Kosten

Ausreichend Kapazitäten für die nun zugelassene Therapie gibt es bisher wohl nicht. „Ich gehe bei uns in Köln von um die 100 Patienten aus, die wir pro Jahr behandeln können. Und wir sind ein großes Zentrum“, erklärt der Neurologe Özgür Onur von der Uniklinik Köln.

Unklar sind auch die Medikamentenkosten für Lecanemab in Europa:

Nebenwirkungen müssen streng überwacht werden

Die in Studien erfassten Schwellungen und Mikroblutungen im Gehirn von Patienten blieben zwar überwiegend ohne Symptome und wurden meist erst durch bildgebende Verfahren bemerkt. Insbesondere bei wiederholtem Auftreten drohen jedoch eine verminderte Gehirnleistung oder Koordinationsschwierigkeiten.

Mikroblutungen gelten zudem als Risikofaktor für größere, potenziell lebensbedrohliche Hirnblutungen. Die meisten von Alzheimer Betroffenen sind älter als 80 Jahre, nur in seltenen Fällen beginnt die Krankheit vor dem 65. Lebensjahr.

Immense volkswirtschaftliche Kosten von Alzheimer

Berechnungen des DZNE beziffern die Kosten für die Versorgung von Demenz-Kranken in Deutschland für das Jahr 2020 auf rund 83 Milliarden Euro. Das entspräche mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nach Prognosen könnten diese Kosten im Jahr 2040 sogar auf rund 141 Milliarden Euro ansteigen.

Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass die meisten Mittel in die Versorgung der schwer Betroffenen fließen, es würde also durchaus auch gesundheitsökonomisch etwas bringen, wenn bei möglichst vielen Betroffenen die schwere Erkrankungsphase durch Medikamente hinausgezögert werden könnte. „Wir hoffen daher, dass uns die Politik beim Ausbau der Versorgungspfade unterstützt“, unterstreicht Berlit.