Im Verfahren um die mutmaßliche Rechtsterroristen um Prinz Reuß ermöglichen mitgeschnittene Telefonate einen Blick in die Seele einer zerstrittenen und gespaltenen Gruppe. Die fantasiert im Herbst 2022 von einem unmittelbar bevorstehenden Einmarsch russischer Truppen ins Baltikum und Polen sowie Stromausfällen in Berlin.
Befehlshaber der deutschen Armee: In Handschellen wird Rüdiger von Pescatore nach einem Prozesstag in Frankfurt von Polizisten des Spezialeinsatzkommandos Hessen zurück ins Gefängnis transportiert.
Von Franz Feyder
Bei den mutmaßlichen Revoluzern scheint sich alles nur noch um ihn zu drehen. Damals, im Spätsommer, Frühherbst 2022, telefonierte kaum jemand von den Frauen und Männer um Heinrich XIII. Prinz Reuß, die der Generalbundesanwalt (GBA) Verschwörer und Umstürzler nennt, ohne über Marco van H. zu sprechen. Den Pforzheimer Kleinkriminellen, der alle und jeden belog und betrog; der auch zu schlug, wenn es nicht nach seinem Willen ging.
Oberleutnant des Kommandos Spezialkräfte (KSK) will er gewesen sein – und leistete in Wirklichkeit gerade einmal zwölf Monate Grundwehrdienst als Nachschubsoldat ab. In unterirdischen Tunnelanlagen will er gegen böse Mächte gekämpft haben, um dort von selbst ernannten, Blut trinkende Eliten entführte und missbrauchte Kinder zu befreien. Der zur Rettung der Welt durch eine ebenso ominöse wie mysteriöse Allianz direkt mit deren Anführern, Russlands Staatschef wie Wladimir Putin und dem Chinesen Jinping Xi, sprach. Der sich und seine Geliebte zum Urvater und zur Urmutter einer neu entstehenden Menschheit stilisierte.
Van H., ist Prinz Reuß am frühen Abend des 3. Oktober 2022 in einem Telefonat mit seinem Vertrauten Thomas T. überzeugt, „kann man nicht trauen“. Polizisten schnitten mit, wenn damals einer der Dutzenden von Verdächtigen telefonierte. Der GBA ist überzeugt, sie hätten das politische System Deutschlands gewaltsam beseitigen wollen. Die abgehörten Gespräche zeichnen das Bild einer zutiefst zerstrittenen, gespaltenen Gruppe, die Anfang Dezember des selben Jahres mit einer bundesweiten Razzia gesprengt wurde.
Reuß, die AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkelmann, Ärztin Melanie R. und etliche mehr auf der einen Seite. Unzufrieden mit den politischen Entwicklungen wollen sie ein anderes Deutschland. Zumal das nach ihrer Darstellung gar nicht existiert: Deutschland befinde sich seit 1914 unverändert im ersten Weltkrieg, es gebe keinen gültigen Friedensvertrag. Ein Zustand, der nur gelöst werden könne, indem die um die USA Donald Trumps und Nordkorea unter Jong Un Kim erweiterte Allianz in Deutschland einmarschiere, das Land mit dem Kriegsrecht überziehe und mit einer von Reuß geführten Übergangsregierung über Frieden verhandele. Recht und Ordnung müsse wieder herrschen – die Exekution gewählter Politiker von der Kommune bis zum Bundestags, von möglichen Kritiker und Unliebsamen eingeschlossen.
Einen weiteren AfD-Abgeordneten im Visier
Das Problem der Reußens: Van H. ist ihr einziges Bindeglied zur Allianz – und ihm misstrauen sie: zu viel Alkohol, zu viele Ausflüchte, er posiere auf Fotos „wie ein Callboy – so was tut man als Militär nicht“. Die Gruppe sucht – auch mit Hilfe mystischer Seher – nach Gleichgesinnten – und Wege, mit Putin ins Gespräch zu kommen. Der Name des AfD- Bundestagsabgeordneten Maximilian Krah fällt immer wieder. Seit Jahren mit dem Prinzen bekannt. Der richtige Mann, um die Ressorts Finanzen und Wirtschaft in einer Übergangsregierung zu übernehmen, findet Malsack-Winkelmann. Nicht geeignet für die Gruppe, sagt die Seherin und Astrologin Hildegard L. – unklar bleibt, ob die Gruppe Kontakt zu dem umstrittenen Parlamentarier aufnahm.
Zumal Reuß und die seinen eine andere Gefahr sehen: Die Verschwiegenheitserklärungen, die offenbar van H. von einem Dachdecker und einem Landmaschinenmechaniker hat erstellen lassen – und die er zwischenzeitlich bei Corona-Demonstrationen unterschreiben lassen soll. Sie bedrohen Geschwätzige mit dem Tod bedrohen, sollten sie über den mutmaßlichen Umsturz mit anderen reden.
Die Russen kommen, jubelt der unehrenhaft entlassene Oberstleutnant
Auf Kontakte zur Allianz hofft auch der unehrenhaft aus der Bundeswehr geworfene Oberstleutnant Rüdiger von Pescatore. Er sieht sich als „Befehlshaber der neuen deutschen Streitkräfte“. Am 30. September 2022 vertraut er um 18.24 Uhr in einem Telefonat seiner Tochter an, dass Russland mit „zwei Millionen Mann an der Grenze zu Nato und EU steht“. Putin habe das Kriegsrecht ausgerufen, ebenso die baltischen Staaten und Polen. Deutschland werde innerhalb von Stunden oder Tagen folgen. „Die Sachen sind im Fluss. Die Welt steht vor der Befreiung.“ Russland werde jetzt die baltischen Länder und Polen kassieren. Auch wenn es bereits seit etlichen Tagen in Berlin keinen Strom mehr gebe, der sogar flächendeckend in „hunderten Städtchen und Dörfern ausgefallen ist“ – immer noch habe er keinen Kontakt zur Allianz.
Eine Frage von ein, zwei Tagen, versichert er seine Tochter. Der Kontakt zur Allianz ist lebenswichtig für von Pescatore: Hat die erst wieder für Recht und Ordnung in Deutschland gesorgt, dann müsste er als deutscher Oberbefehlshaber mit seiner neuen Armee übernehmen. In einem endlich souveränen Deutschland. Er hat die Ohren voll, „keine Zeit zu euch zu kommen“. Dabei täte ihm frische Wechselwäsche gut. „Zu viel zu tun.“
Vorlagen und Befehle geschrieben – und Putin liest sie nicht
Und immer noch keinen Kontakt zu Putin 6 Co.. Dafür ist er auf van H. angewiesen, der der einzige, der angeblich mit Russen und Xi spricht. Von denen hat er noch keine Rückmeldung zu all den Vorlagen und Befehlen „die ich geschrieben habe“ – und die van H. der Allianz vorgelegt haben will. In seinem Hauptquartier in Neustetten im Landkreis wartet von Pescatore händeringend: Er will weitermachen. Und ist hörbar irritiert, als die Frau eines seiner „Kompaniechefs“ nicht die Haken zusammenschlägt, als er sich am 30. September mit „Hauptquartier der deutschen Armee, Rüdiger“ am Telefon meldet. „Ja“, lacht die Frau. „Das ist bestimmt für meinen Mann. Ich kann ihnen da gar nichts sagen. Mein Mann ist draußen auf der Leiter.“
Am 28. April wird das Verfahren vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht fortgesetzt – auch mit weiteren Telefonaten.