Generalsekretär Linnemann gibt dem Juso-Chef Türmer im ZDF-Talk gute Ratschläge, warnt vor einem Scheitern der Koalitionsgespräche und wünscht sich – kein Witz - eine „starke SPD“.
War am Dienstagabend bei Markus Lanz zu Gast: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann
Von Christoph Link
Ein ausgebuffter Politikprofi scheint der 29-jährige Juso-Vorsitzende Philipp Türmer noch nicht zu sein, schlagfertig ist er jedenfalls nicht. Da saß er bei Markus Lanz in dessen ZDF-Talkrunde und musste sich vom CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, 47, schlaue Belehrungen anhören über die Sozialdemokraten – ohne eine Replik zu bringen. Zum einen meinte Linnemann, dass Deutschland eine „starke SPD“ brauche, denn ohne sie fehle in der politische Mitte etwas und die extremen Ränder würden erstarken und im übrigen belehrte er den Chef des SPD-Nachwuchses: „Ich würde mich an Ihrer Stelle mal voll auf die Industriearbeitsplätze konzentrieren.“
Da saß Türmer nur stumm und blickte konsterniert, doch die „Zeit“-Journalistin Anne Hähnig sprang ihm zur Seite. Ob dass denn jetzt angebracht sei, der SPD gute Ratschläge zu erteilen, wo doch die 28,5 Prozent der Union auch weit von dem entfernt seien, was Friedrich Merz – der mal mit 35 Prozent liebäugelte – sich vorgestellt hatte und sie verstehe nicht ganz das Selbstbewusstsein der Union, dass das Wahlergebnis so eigentlich nicht hergebe.
Linnemann macht Druck auf die SPD
Linnemann machte gleichwohl Druck auf den einzigen, möglichen Koalitionspartner, die SPD, man sei „jetzt an der letzten Ausfahrt“ und wenn jetzt nichts geschehe, sei die AfD bei der nächsten Bundestagswahl bei 40 Prozent und man sei „nur ein Schritt vor Österreich“, wenn es nicht durch Taten gelänge, das durch die Ampel erschütterte Vertrauen in die Politik wieder herzustellen. Die aktuellen Probleme des Landes schilderte der CDU-Generalsekretär dann in einer äußerst kuriosen Rangfolge: Zuerst erwähnte er die eine Viertel Million Operationen am Leistenbruch, die in Deutschland stationär stattfinden würden und im Ausland kostengünstiger ambulant behandelt werden, und das klang, als ob dies nun die Schicksalsfrage des Landes wäre. Dann kam er zu den Problemen mit dem Bürgergeld, erwähnte als drittes die 300.000 von der Industrie ins Ausland verlagerten Arbeitsplätze, um dann am Schluss – vierter Punkt - auf die 180-Grad-Wende der USA zu sprechen zu kommen, die nur noch an ihren eigenen Interessen orientiert seien.
Alles Themen, über die die Union wohl mit der SPD verhandeln wird, aber Linnemann rammte mal gleich einen Pflock vor sozialdemokratische Wünsche: „Die Schuldenbremse bleibt, Ende, Aus, Mickey Mouse“. Ein bisschen war die Luft bei diesem Thema natürlich schon raus, weil sich Stunden zuvor CDU-Chef Friedrich Merz öffentlich gegen die sofortige Reform der Schuldenbremse ausgesprochen und für ein Sondervermögen zugunsten der Bundeswehr plädiert hatte. Türmer sagte, nun ja, Sondervermögen bedeute halt auch „mehr Geld ausgeben, aber nicht jetzt“, aber andere Themen waren ihm wichtiger. Zum einen hadert Türmer immer noch mit dem gemeinsamen Votum der Union mit der AfD bei den Abstimmungen zu den Migrationsthemen, das sei ein Bruch mit der demokratischen Kultur gewesen, aber ob er die von ihm verlangte Entschuldigung von Merz in dieser Sache nun als Vorbedingung zur Aufnahme von Koalitionsgespräche machen wollte, das sagte er nicht, er sei ja gar kein Verhandlungsführer. Man spreche miteinander, aber die Koalition sei „kein Selbstläufer“, warnte Türmer, die Gräben seien „verdammt tief“ geworden, auch weil Merz in München bei einer Wahlkampfveranstaltung demonstrierende Antifaschisten als „linke Spinner“ bezeichnet habe.
Einen großen Dissens sieht Türmer in der Migrationspolitik
Einen großen Dissens sieht Türmer auch in der Migrationspolitik – bei diesem Thema musste die TV-Runde einen längeren Sachvortrag von Markus Lanz über die Armutsprobleme der Stadt Gelsenkirchen anhören, wo der SPD-Oberbürgermeisterin „Anti-Zigonismus“ vorgeworfen worden sei, weil sie den sozialen Frieden in der Stadt als gefährdet ansehe. „Das Wort Zigeunerschnitzel darf man ja nicht mehr sagen, das ist auch in Ordnung so, aber man muss doch Probleme mit Sinti und Roma noch benennen dürfen“, meinte Lanz. Juso-Chef Türmer wiederum ist der Ansicht, dass die aktuelle Diskussion in der Migrationspolitik mit der diskutierten Zurückweisung an den Grenzen verfehlt sei. Es gebe da Fehler in allen Parteien, auch in seiner, so Türmer: „Es findet da ein Überbietungswettbewerb statt nach dem Motto, wer ist der härteste Hund im Lande. Wer schiebt am meisten ab.“ Aber das funktioniere erstens nicht beim Wähler, wie die Bundestagswahl gezeigt habe, es sei aber auch inhaltlich falsch, die „Migration als Mutter aller Probleme“ zu bezeichnen, wie Linnemann es einmal getan habe.
Im Laufe der Debatte, als es um die bessere Erkennung und Überwachung von auffälligen, ausländischen Tätern ging, wie sie im Falle von Magdeburg nicht passiert ist, war Türmer aber doch einer Meinung mit Linnemann. Auch von den anwesenden Journalisten musste sich der Jungsozialist im übrigen Ratschläge für seine Mutterpartei anhören. Es deute sich jetzt schon an, dass die SPD sich ihre Beteiligung an der Koalition „teuer“ erkaufen wolle, meinte Anne Hähnig. Aber damit werde sie sich schwer tun. „Die Zeit hat sich verändert. Unter Merkel war der Zeitgeist noch links, das zeigte sich in der Flüchtlingspolitik, der Ehe für alle, bei der Abschaffung der Wehrpflicht.“ Aber jetzt sei die Lage ganz anders, der Zeitgeist sei nicht mehr links. Und der Chefredakteur von Table.Media, Michael Bröcker, empfahl der SPD mal „sofort“ sechs oder sieben Maßnahmen in der Migrationspolitik zuzustimmen, wie sie die Union vorgeschlagen habe, die seien human und machbar, dann habe man Ruhe und könne über wichtige Themen wie die innere oder soziale Sicherheit diskutieren. Wenn man außerdem noch nach einem neuen Innenminister suche, nach „einem kleinen Otto Schily“, so Bröcker, dann könne er nur Boris Pistorius empfehlen.
Am Ende der Sendung dankte Lanz – was er selten macht – für die „sehr ehrliche Debatte, die ihm gut gefallen“ habe. Dieses Lob dürfte aber nur auf Juso-Chef Türmer gemünzt gewesen sein, der sich offenherzig geäußert hatte. Er hatte etwas verzweifelt von der „prekären“ Lage seiner Partei gesprochen und dass sie es nicht schaffe, ihrem historischen Auftrag, der Vertretung der Interessen der Arbeiter, nachzukommen. Dass sich die beiden SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken noch in der Wahlnacht zum Weitermachen erklärten, Klingbeil will sogar Fraktionschef werden, hatte Türmer schon zuvor öffentlich kritisiert und im Falle von Klingbeil vom „Architekten des Misserfolgs“ gesprochen. Bei so einer historischen Wahlniederlage sei das genau das Gegenteil dessen, was er erwartet hätte. Die Partei hätte signalisieren müssen, sie habe verstanden, sie höre zu, stelle sich neu auf. Michael Bröcker konnte sich da einen Seitenhieb nicht verkneifen: Da sollten die Jusos jetzt mal aber so ehrlich sein, und eine „No-Klingbeil-Kampagne“ fahren statt einer „No-Groko-Kampagne“, wie sie es früher mal getan habe.