Annette Freder vor einer ihrer Flipchart-Zeichnungen, mit denen sie Aufbau und Funktion der gesunden, sensiblen Darmschleimhaut erklärt. Foto: E. Klaper
Von Elisabeth Klaper
MURRHARDT. „Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift sei“: Das bekannte Zitat des Renaissance-Arztes Paracelsus gilt auch für gesunde Lebensmittel wie Getreide, Gemüse und Obst.
Dies zeigte Annette Freder in ihrem Vortrag über gesunde Ernährung an der Volkshochschule Murrhardt auf. „Um zu überleben, bilden Pflanzen Lektine aus komplexen Eiweißmolekülen als Schutzstoffe gegen Pilze, Bakterien, Viren und Fressfeinde, die sich an Zucker binden und in Zellen biochemische Prozesse auslösen“, erklärte die Backnanger Diplom-Ernährungswissenschaftlerin vor einem kleinen Zuhörerkreis im Grabenschulhaus. „Grundsätzlich sind Lektine in kleinen Mengen unschädlich und geben unserem Immunsystem einen Schubs, können aber in großen Mengen unsere Darmschleimhaut schädigen“, stellte die Ernährungsberaterin klar, die an der Uni Hohenheim studiert hat.
Besonders viele Lektine finden sich in Hülsenfrüchten wie Linsen oder Soja, in Getreide wie Weizen und Roggen sowie in Pseudogetreide wie Quinoa oder Amaranth und Nüssen. Zudem in Nachtschattengewächsen wie Tomaten, Paprika oder Kartoffeln und in Kürbisgewächsen, wozu auch Gurken und Zucchini gehören. Mit Flipchart-Zeichnungen veranschaulichte Annette Freder Aufbau und Funktion der gesunden, sensiblen Darmschleimhaut.
Ernährung und Stress wirken sich auf die Darmgesundheit aus
Sie diene als Schutzwall gegen gefährliche Bakterien, Viren, Pilze und Giftstoffe und besteht aus drei Schichten: Ganz oben befindet sich ein Teppich aus Darmbakterien, in der Mitte ein Schleimfilm, und die Basis bilden fest miteinander verknüpfte Darmzellen. „Wer gesund ist, genug Magensäure und eine intakte Darmschleimhaut hat, für den sind Lektine in normalen Mengen unschädlich“, erläuterte die Referentin. Denn bei der Verdauung werden sie so verändert, dass sie nicht mehr wirken.
Doch durch ungesunde Ernährung mit zu wenig Ballaststoffen, viel Zucker, Weißmehl- und Fertigprodukten „bekommt der Körper zu wenige Nährstoffe, um die gesunde Darmschleimhaut intakt zu halten, die sich täglich neu bildet“. Hinzu komme die Übersäuerung auch durch Stress, wodurch der Magen zu wenig Magensäure bilde. Darum könnten schädliche Organismen und Substanzen nicht mehr so gut unschädlich gemacht werden. Außerdem nehmen wir laut Annette Freder mit der Nahrung verschiedene Umweltgifte auf, weshalb der Darm bei vielen Menschen krank sei.
So sei das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat in vielen konventionell erzeugten pflanzlichen Lebensmitteln enthalten. „Dadurch arbeiten die Darmbakterien nicht mehr richtig, ihre Zahl reduziert sich, auch bilden die Darmzellen weniger Schleim und Abwehrstoffe.“ Aber auch Medikamente wie Antibiotika und Schmerzmittel wie Ibuprofen, Diclofenac sowie Kortison töten gesunde Darmbakterien und schwächen so die Darmfunktion, auf die sich Alkohol und Kaffee ebenfalls ungünstig auswirken, verdeutlichte die Referentin.
Besonders aggressiv sei Gliadin, ein Bestandteil von Gluten, dem Klebereiweiß in Getreide. Es sei in hohen Mengen im hochgezüchteten Weizen enthalten, der die Grundlage für viele industriell hergestellte Back- und Teigwaren bilde. „Zu viel Gluten gefährdet die Gesundheit“, warnte Annette Freder.
„Gliadin bewirkt, dass sich die Spalten zwischen den Darmzellen öffnen“, sodass zu große Nährstoffteile, aber auch Schadstoffe in den Körper eindringen. Diese würden von Fresszellen zerstört, die daraufhin jedoch ähnliche, eigentlich nützliche Zellen im Körper ebenfalls als Eindringlinge wahrnehmen und zerstören: „So entstehen Autoimmunkrankheiten“.
Weiter bewirke Gliadin, dass rote Blutkörperchen verklumpen, was zu Durchblutungsstörungen führe. Infektionen, Stress und ein geschwächtes Immunsystem, dazu eine Ernährung mit zu vielen Lebensmitteln aus Getreide sowie Obst- und Gemüsesorten, die viele Lektine enthalten, könnten zu schmerzhaften Darmerkrankungen wie Reizdarm und dem sogenannten Leaky-Gut-Syndrom (löchriger Darm) führen. Aus diesem Teufelskreis komme man nur wieder heraus, wenn man sensibel vorgehe und alles weglasse, was man nicht verträgt.
Die Ernährungsberaterin empfahl, Getreide, Zucker und Nachtschattengewächse zu meiden und mit Lebensmitteln, die viel Lektin enthalten, sehr vorsichtig zu sein. Stattdessen sollte man Wildkräuter und Weizengras zu sich nehmen, beispielsweise als milden Smoothie, da diese viel vom grünen Pflanzenfarbstoff Chlorophyll enthalten, „das tut dem Darm gut“. Ebenso Hühnerbrühe von Tieren aus biologischer Haltung, da diese „den Darm heilende, das Immunsystem stärkende Substanzen“ enthalte.
Wichtig sei es, den Darm zu stärken, indem man die guten Darmbakterien füttere mit Inulin, einer Mehrfachzuckerart, die in großer Menge in Topinambur und Löwenzahn vorkommt. Sehr gut eigneten sich dafür auch Flohsamen, eingeweichter Leinsamen, Akazienfasern und resistente Stärken, die sich bilden, wenn man gekochte Kartoffeln abkühlen lasse. Zudem wirkten Omega-3-Fettsäuren in hochwertigen Pflanzenölen wie Leinöl und Vitamin D Entzündungen entgegen.
Lektine lassen sich durch die Zubereitung unschädlich machen
Die Ernährungswissenschaftlerin gab wertvolle Tipps, wie man Lebensmittel so verarbeitet, „dass sie uns guttun“. Gare man Kartoffeln und Hülsenfrüchte im Dampfdruckkochtopf, mache man die Lektine größtenteils unschädlich. Nüsse sollte man 24 Stunden mit Essig oder Zitronensaft einweichen und dann in frischem Wasser im Kühlschrank aufbewahren. Gut für den Darm seien auch fermentierte, also vergorene Lebensmittel wie Sauerkraut, Sprossen und das lektinfreie, aber sehr nährstoffreiche Weizengras.
Weiter riet Annette Freder, sich möglichst abwechslungsreich, pflanzenbetont und ausgewogen zu ernähren, um sich vor Lektinen zu schützen. Man sollte nicht zu viele Vollkornprodukte und nur traditionell langsam mit Sauerteig gebackene Backwaren essen, ebenso nur erntefrisches, reifes oder tiefgekühltes Obst und Gemüse aus heimischem Bio-Anbau. Denn importierte, vor allem exotische Sorten werden unreif geerntet, weshalb sie hohe Mengen an Lektin enthalten. Frei davon seien Hirse, Süßkartoffeln und Kochbananen.