Deutsch-syrischer Bürgermeister im Kreis Calw
1000 Euro Startgeld für Syrer – „Jens Spahn zeigt, dass er keine Ahnung hat“
Ryyan Alshebl, Baden-Württembergs erster Bürgermeister mit syrischen Wurzeln, blickt trotz islamistischer Milizen mit Freude auf die Entwicklungen in seinem Heimatland, aus dem er 2015 per Schlauchboot in Richtung Deutschland geflohen ist.
Von Florian Dürr
Ryyan Alshebl hat aufreibende Tage hinter sich. So leicht bringt den Bürgermeister von Ostelsheim (Kreis Calw) nichts ins Wanken, wie er mit seiner Flucht aus Syrien über das Mittelmeer in Richtung Deutschland und der anschließenden steilen Karriere hierzulande bewiesen hat. Doch die Entwicklungen in seinem Heimatland wühlen auch den 30-Jährigen auf. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt das Grünen-Mitglied einen Einblick in seine Gefühlswelt – und zeigt auf, was seiner Meinung nach nun passieren muss.
Herr Alshebl, mit welchem Gefühl verfolgen Sie die Ereignisse der vergangenen Tage in Syrien?
Ich bin nach wie vor überwältigt und kann nicht glauben, was passiert ist. Die Nacht, in der das Assad-Regime gestürzt wurde, werde ich nie vergessen. Ich konnte einfach nicht schlafen, weil das eine Situation ist, in der Syrien noch nie war. Meine Generation und die meiner Eltern haben ein Syrien ohne dieses Regime nicht für möglich gehalten.
Was bedeutet der Sturz von Machthaber Assad für Sie persönlich und Ihre Familie?
Auch meine Heimatstadt im Süden wurde befreit. Meine Eltern und meine Oma leben dort heute noch. Ich will sie im Sommer besuchen, das habe ich mir fest vorgenommen, aber einen langfristigen Plan gibt es nicht. Dort im Süden hatte sich das Regime bereits vor dem Umsturz zurückgezogen.
Wie beeinflusst die Lage in Ihrem Heimatland Ihre Arbeit als Bürgermeister in Ostelsheim, etwa wenn es um die Unterbringung syrischer Geflüchteter geht?
Wahrscheinlich werden keine Syrer mehr auf dem Asylweg zu uns kommen. Den objektiven Fluchtgrund gibt es nicht mehr, insofern ist der Schritt des Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), die Asylverfahren von Syrern zu stoppen, nachvollziehbar. Aber das ist politisch motiviert, ein Schachzug. Die Bundesregierung will das Momentum nicht verpassen, die Situation für Konsequenzen zu nutzen. Dabei ist die Lage in Syrien jetzt nicht automatisch besser. Es kommt nun auf die internationale Gemeinschaft, die EU und Deutschland an, den politischen Übergang in Syrien zu begleiten und mitzugestalten. Man sollte eine Wiederaufbau-Konferenz auf den Weg bringen. Auch für das Signal an die Syrerinnen und Syrer: Wir wollen euch helfen, eure Heimat wieder aufzubauen. Dann ist die Flüchtlingsthematik automatisch gelöst.
Wie blicken Sie auf Äußerungen, dass nun alle Syrer zurückkehren könnten, wie es etwa die AfD fordert – oder die Rufe nach Anreizen für eine freiwillige Rückreise mit 1000 Euro Startgeld, wie es CDU-Politiker Jens Spahn ins Spiel gebracht hat?
Die AfD brauche ich nicht kommentieren, die halten offensichtlich nichts von Freiheitswerten. Was Herr Spahn sagt, ist schlicht billig. Dieser Vorschlag zeigt, dass er keine Ahnung hat. Wenn man jetzt wieder pauschalisiert – wie nach dem Messerangriff in Solingen – dann enttäuscht man auch die vielen gut integrierten Syrer in Deutschland.
Ist die Freude über den Sturz von Assad getrübt, weil islamistische Milizen dahinterstecken?
Das sind Leute, deren Gesinnung ich nicht teile, das ist natürlich nicht erfreulich. Aber man muss schauen, wie man damit realpolitisch umgeht. Die Herausforderungen sind immens, das ist klar, weil der syrische Staat von Grund auf neu aufgebaut werden muss. Aber derzeit überwiegt die Freude über das Ende des Assad-Regimes. Wir dürfen uns jetzt nicht wegducken und müssen beim Aufbau des Landes mitwirken, dann wird die Rückkehr für viele Syrerinnen und Syrer möglich sein. Wenn wir uns wegducken, müssen wir mit neuen Fluchtbewegungen rechnen.