Leichtathletik bei Olympia
Abgang im Rollstuhl: Lyles, Mihambo und das Coronavirus
Der positiv getestete US-Sprinter holt Bronze, die Weitsprung-Ikone Silber – trotz großer Atembeschwerden nach einer Infektion im Juni.
Von Jochen Klingovsky
Das Virus, das noch vor drei Jahren zu Olympischen Corona-Spielen in Tokio vor leeren Tribünen und hinter Masken geführt hatte, spielte in Paris bislang eine eher untergeordnete Rolle. Rund 40 Sportlerinnen und Sportler hätten sich während der Sommerspiele infiziert, ermittelte die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ein großes Thema war kein einziger dieser positiven Tests – bis zum Donnerstagabend, als zwei der Leichtathletik-Superstars das Stade de France mit Atembeschwerden und im Rollstuhl sitzend verließen. Ihre Geschichten waren zwar völlig unterschiedlich, doch beide bewegten die Massen.
Noah Lyles wollte in Paris ein ganz besonderes Kapitel schreiben und viermal Gold gewinnen – über 100 und 200 Meter sowie in zwei Staffeln (4x 100 und 4x 400 Meter). Das gab es noch nie, und dabei wird es nun auch bleiben. Denn über 200 Meter belegte der US-Sprinter lediglich Rang drei. Danach lag er völlig ausgepumpt am Rande der Bahn, musste medizinisch versorgt werden. Hinterher stellte sich heraus, dass Noah Lyles bereits am Dienstag positiv auf das Coronavirus getestet worden war. „Ich wollte trotzdem laufen. Alle haben gesagt, das ist unmöglich“, erklärte der 100-Meter-Olympiasieger nach Rang drei über die doppelte Distanz, für die er 19,70 Sekunden benötigt hatte. „Es hat mich definitiv beeinflusst, aber ich bin so stolz auf mich, dass ich mit Corona Bronze geholt habe.“
Der US-Verband hatte den Start genehmigt und war eigenen Angaben zufolge seit dem positiven Test einem Corona-Protokoll gefolgt – das allerdings nicht bei allen Verbänden das selbe zu sein scheint. Jörg Bügner, der Sportvorstand des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, erklärte am Tag danach jedenfalls, dass der DLV Noah Lyles aus dem Rennen genommen hätte: „Für uns steht die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler an erster Stelle, und wir wollen auch nicht in Kauf nehmen, dass andere in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei uns gilt, dass diejenigen, die Corona haben, nicht anreisen.“ Und folglich auch nicht starten.
Das wird nun auch Noah Lyles nicht mehr tun. Dem Vernehmen nach kommt er in den Staffeln nicht zum Einsatz. Verabschiedet von Paris hat er sich mit einem Instagram-Post, der zeigt, wie er tickt: „Ich hoffe, dass alle die Show genossen haben. Ob ihr nun für oder gegen mich Stimmung gemacht habt, ihr müsst zugeben, dass ihr zugesehen habt, nicht wahr?“ Doch nicht nur bei ihm.
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Im Fokus stand an diesem spektakulären Donnerstagabend auch Malaika Mihambo. Die Olympiasiegerin von Tokio wollte erneut Gold holen, das ist bei zwei Sommerspielen in Serie noch keiner Weitspringerin gelungen, und das hat nun auch sie nicht geschafft. Die prominenteste deutsche Leichtathletin landete bei 6,98 Metern und damit zwölf Zentimeter hinter Tara Davis-Woodhall (USA) – allerdings geschwächt durch eine Coviderkrankung, die kurz nach ihrem Supersprung auf 7,22 Meter Mitte Juni bei der EM in Rom ausgebrochen war. Und die immer noch nicht vollständig auskuriert ist.
Vor dem Olympia-Wettbewerb in Paris hatte Malaika Mihambo ihr Trainingsprogramm um die Hälfte kürzen müssen, im Wettkampf fehlte es ihr dann an Substanz. Ein Lungentest im Vorfeld hatte ergeben, dass sie längst noch nicht bei 100 Prozent ist, bei den sechs Sprüngen im Stade de France geriet die Favoritin prompt an ihre Grenzen. „Ich habe definitiv zu wenig Luft für einen Wettkampf auf diesem hohen Niveau bekommen“, sagte Mihambo, „ich habe nie daran gedacht, nicht anzutreten, auch wenn ich wusste, dass ich nicht das volle Leistungsvermögen haben werde und zwei Monate nach der Infektion noch angeschlagen bin. Es gibt nicht viele Sportler, die mit einem solchen Handicap Silber holen. Für mich strahlt diese Medaille golden.“
Für Ulli Knapp auch. Der Trainer hatte sich große Sorgen gemacht, als Mihambo nach der Ehrenrunde mit sichtbaren Atembeschwerden im Rollstuhl aus der Arena geschoben worden war. „Es ist schwierig für einen Trainer, mitansehen zu müssen, wie seine Athletin stetig an Substanz verliert“, sagte Knapp, „sie hat das letzte Körnchen gegeben. Ich bin total stolz auf sie.“
Nun ist für Mihambo vor allem eines wichtig: Wieder gesund zu werden. „Es hat mich diesmal heftiger erwischt als bei der Infektion 2022“, sagte sie, „ich brauche sicher noch einen Monat, bis sich die Lunge wieder erholt hat. Ich gehe davon aus, dass ich in acht Wochen wieder fit sein werde.“