Neuer Rottenburger Bischof Klaus Krämer
„Auch verheiratete Männer könnten Priester sein“
Der neue Bischof der Diözese Rotenburg-Stuttgart, Klaus Krämer kündigt einen Umbau des Bistums an . Die bisherige Struktur mit mehr als 1000 selbstständigen Kirchengemeinden habe keine Zukunft. Aufhorchen lassen auch seine Äußerungen zum Zölibat.
Von Michael Trauthig
An Heiligabend predigt er noch einmal in der St. Jakobus-Kirche in Leutenbach, wo er aufgewachsen ist – aus alter Gewohnheit. Künftig wird das kaum noch möglich sein, denn nach seiner Weihe zum Bischof am 1. Advent warten auf Klaus Krämer in der Diözese Rottenburg-Stuttgart viele Herausforderungen. Im Interview sagt er, wie er diese angehen will.
Herr Bischof Krämer, sind Sie ein Reformer oder ein Bewahrer?
Ich bin beides, Reformer und Bewahrer. Eine Aufgabe des Bischofs ist es, den Kern unseres Glaubens zu bewahren. Gleichzeitig gilt, dass sich die Kirche immer wieder erneuern muss. Das heißt, ich werde die Grundbotschaft unseres christlichen Glaubens weitertragen. Ich weiß aber auch, dass man dies heute mit anderen Mitteln und anderen Worten tun muss als früher, um die Menschen zu erreichen.
Konservative und Fortschrittliche stehen sich aber in der Deutschen Bischofskonferenz durchaus gegenüber – welchem Lager ordnen Sie sich zu?
Das Lagerdenken liegt mir fern. Auch in der Bischofskonferenz sollten wir dieses überwinden. Es ist nicht gut, dass dort zwei Fraktionen als gegeneinander agierend wahrgenommen werden. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass wir wieder zu einer Gemeinsamkeit finden.
Ist das nicht ein frommer Wunsch angesichts der gegensätzlichen Stellungen zum Reformprojekt Synodaler Weg?
Warten wir ab. Ich halte die Gegensätze nicht für so fundamental.
Sie kennen die Diözese Rottenburg-Stuttgart schon lange. Welche konkreten Ziele haben Sie für die nächste Zeit?
Wir müssen jetzt Antworten auf die großen Herausforderungen finden. Angesichts des Verlustes an Kirchenmitgliedern, des Priestermangels und der schwindenden Finanzmittel müssen wir unsere Strukturen weiterentwickeln. Den notwendigen Prozess werde ich rasch anstoßen.
Das hört sich an, als sei zuletzt etwas liegen geblieben. Die Trends, die Sie beschreiben, gibt es ja schon länger.
Zuletzt haben sich die Trends beschleunigt. Am Ende der Amtszeit eines Bischofs werden weitreichende Zukunftsfragen zudem oft nicht mehr so stark angegangen, um den Nachfolger nicht zu binden. Umso mehr sehe ich mich in der Pflicht, die Dinge zügig anzugehen.
Heißt das, Sie steuern auf XXL-Gemeinden oder ähnlich große Einheiten zu?
Ich werde keinen Masterplan vorlegen. Ich steuere vielmehr einen umfangreichen angelegten Meinungsbildungsprozess an. Im Laufe des nächsten Jahres sollten wir uns auf Grundsätzliches verständigt haben, um dann in die Detailplanung zu gehen. Klar ist, es wird größere Einheiten geben. Wir haben momentan mehr als 1000 selbstständige Kirchengemeinden. Eine solche Struktur ist nicht zukunftsfähig. Auch die Seelsorgeeinheiten kommen auf den Prüfstand.
Ihr Vorgänger Gebhard Fürst hat stets eisern den Pflichtzölibat hochgehalten. Sind für Sie Lockerungen möglich?
Ich schätze den Zölibat als Lebensform und als Zeichen für die Kirche. Wir sollten alles tun, damit er gut gelebt werden kann. Es ist aber gleichzeitig wichtig, dass trotz des Priestermangels Eucharistiefeiern stattfinden können, die von Priestern geleitet werden. Womöglich muss man dann die Frage der Lebensform der Priester diesem sakramentalen Anliegen unterordnen.
Das heißt, im Glauben erfahrene, verheiratete Männer – die sogenannten viri probati – könnten Priester sein?
Das könnte ein Weg sein, um in bestimmten Situationen das sakramentale Leben aufrechtzuerhalten – auch in unserer Diözese. Wir sind ja schon jetzt dabei, Menschen auch außerhalb des Hauptamtes für klassische pastorale Tätigkeiten zu gewinnen. Da ist schon viel ausprobiert worden, und da können wir auch noch kreativer werden.
Viel Vertrauen in die Kirche ist durch die Missbrauchsfälle zerstört worden. Es gibt jetzt neue Vorwürfe der Vertuschung gegen die früheren Rottenburger Bischöfe Leiprecht und Moser. Welche Konsequenzen ziehen Sie?
Bisher hat die Unabhängige Aufarbeitungskommission in unserer Diözese erst Zwischenberichte dazu abgegeben. Wir müssen abwarten, bis der endgültige Bericht voraussichtlich im Februar 2027 alle Fälle in den Blick nimmt und einordnet. Anschließend werde ich mich dazu verhalten und die Konsequenzen ziehen. Bis dahin mische ich mich aber nicht ein. Die Unabhängigkeit der Kommission ist für mich ein hohes Gut.
Im Februar wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Die Bischofskonferenz hat erklärt, Parteien mit rechtsextremen Positionen seien für Christinnen und Christen nicht wählbar. Können AfD-Mitglieder hauptamtlich oder ehrenamtlich in der Kirche tätig sein?
Es war gut, dass die Bischofskonferenz zum Thema Völkischer Nationalismus und Christentum einen klaren Standpunkt bezogen hat. Parteien, die grundsätzlich Positionen vertreten, die mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar sind, sind für Christen in der Tat nicht wählbar. Aus rechtlichen Gründen können wir diese Vorgabe nicht nur an das formale Kriterium der Parteimitgliedschaft knüpfen. Wir schauen deshalb auf das konkrete Verhalten. Und wer solche Positionen in der Öffentlichkeit vertritt, der ist in einem haupt- oder ehrenamtlichen Dienst in der Kirche nicht akzeptabel.
Gab es bei Ihnen solche Fälle schon?
Bisher noch nicht. Bei der Kandidatenaufstellung zur bevorstehenden Kirchengemeinderatswahl wird sich aber die Problematik erneut zeigen. Wir haben deswegen Handreichungen für die Gemeinden erarbeitet, wie sie das dann in guter Weise vor Ort thematisieren und lösen können.
Was steht da drin?
Zum Beispiel, wie man sich verhält, wenn Kandidaten extreme Positionen vertreten. Wir wollen keinen konfrontativen Weg gehen, sondern Menschen zusammenführen. Wir suchen das Gespräch mit solchen Leuten in der Hoffnung, dass sie diese Positionen revidieren. Das ist ambitioniert, und deshalb braucht es Unterstützung.
Wie politisch sollte Kirche sein?
Kirche sollte sich nicht in Details der parteipolitischen Debatten einmischen, weil Christen ganz unterschiedliche Positionen vertreten können. Kirche ist aber aufgerufen, sich zu melden, wenn es um Grundsätzliches geht, um die Menschenwürde und um den Respekt vor Minderheiten.
Quer durch das Parteienspektrum wächst die Überzeugung, dass der Aufnahme von Geflüchteten Grenzen gesetzt sind. Wie gehen Sie damit um?
Es ist eine Gratwanderung. Uns ist wichtig, dass wir grundsätzlich ein Land bleiben, in dem Menschen, die in Not sind, Aufnahme finden. Das muss in einer sozialverträglichen Weise geschehen und darf den gesellschaftlichen Frieden nicht gefährden. Wir müssen uns aber auch etwas zumuten in einer Weltsituation, die für alle Menschen schwieriger geworden ist. Wir sind nicht die einzigen, die von Migrationsströmen betroffen sind. In diesem globalen Horizont müssen wir unseren Anteil zur Lösung der Probleme beisteuern und um Akzeptanz in der Bevölkerung werben.
Politisch wird über die Reform des Paragrafen 218 gestritten. Abtreibung soll nicht mehr strafbar sein. Wie ist da Ihre Position?
Ich finde, dass die bestehende Regelung eine sehr gute und abgewogene ist. Sie ist auch im internationalen Vergleich einzigartig, weil sie der Situation der schwangeren Frauen Rechnung trägt und doch auch den Schutz des ungeborenen Lebens im Blick hat. Deshalb plädiere ich sehr dafür, bei Veränderungen nicht hinter das Erreichte zurückzufallen.
Auch wenn es immer weniger Ärzte gibt, die bereit sind, die Eingriffe durchzuführen und Frauen oft eine Odyssee mitmachen müssen, bis sie die notwendige Behandlung bekommen?
Man muss sich anschauen, wo noch ein Verbesserungsbedarf besteht. Aber die rechtliche Regelung als solche halte ich für sehr ausgewogen und würde die aus kirchlicher Sicht auch nicht verändern wollen.
75 Prozent der Deutschen sind nicht Ihrer Auffassung. Ist das auch ein Beleg für den schwindenden Einfluss der Kirche?
Es ist nicht unser Auftrag, uns die Mehrheitsmeinung zu eigen zu machen, sondern gerade in einer solchen Situation auf die Grundwerte hinzuweisen, die wir für richtig halten. Das Lebensrecht des ungeborenen Lebens braucht eine Lobby in der Gesellschaft, und da sehen wir schon einen Auftrag als Kirche.
Weihnachten steht vor der Tür. Sie sehen Jesus als „Leitstern“. Wie können Sie das in einer Zeit vermitteln, in der viele Menschen anderen Orientierungen folgen?
Gerade in dieser Zeit sollten wir diesen Leitstern besonders leuchten lassen. Jesus ist ein großes Vorbild nicht nur für Christen, sondern für alle Menschen guten Willens. Wenn wir uns am ihm orientieren, sind wir auf einem guten Weg.
Bischof mit weltkirchlicher Erfahrung
WerdegangKlaus Krämer wurde am 14. Januar 1964 in Stuttgart geboren. Aufgewachsen ist er in Leutenbach, wo er am Georg-Büchner-Gymnasium Abitur gemacht hat. Die Priesterweihe empfing er 1993 in Neresheim. Von 1994 bis 1997 war er Bischöflicher Sekretär des damaligen Bischofs Walter Kasper. Nach seiner Promotion an der Universität Freiburg wurde er 1999 Domkapitular in Rottenburg und Leiter der Hauptabteilung Weltkirche im Bischöflichen Ordinariat. Von 2004 an arbeitete er zusätzlich als Bischofsvikar für die Ausbildung der pastoralen Berufe.
WeltkircheVon 2008 bis 2019 war Krämer als Präsident des Internationalen Katholischen Missionswerks Missio in Aachen tätig. Seit 2010 war er auch für das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ zuständig. 2020 kehrte er als Domkapitular nach Rottenburg zurück und organisierte maßgeblich den 102. Katholikentag im Mai 2022 in Stuttgart mit. Neben der Leitung der Hauptabteilung Kirchliches Bauen übernahm er 2023 das Amt des Kanzlers der Bischöflichen Kurie. Zuletzt war Krämer auch Ständiger Vertreter von Diözesanadministrator Clemens Stroppel.
BischofsamtIm September wählte ihn das Rottenburger Domkapitel zum Nachfolger von Bischof Gebhard Fürst, der der Diözese 23 Jahre lang vorstand. Am 1. Dezember wurde Krämer zum Bischof geweiht. Er ist der 12. Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der mit rund 1,6 Millionen Mitgliedern drittgrößten deutschen Diözese. red