Katastrophenschutz in Reutlingen
Auf diese drei Top-Gefahren muss sich die Feuerwehr einstellen
Hochwasser, Starkregen, Waldbrände – das sind die drei Gefahren, die der Klimawandel verstärken könnte. Reutlingen war schon öfters Schauplatz von Extremwettern. Der dortige Kommandant erzählt, was das für seine Feuerwehr bedeutet.

© Horst Haas
Feuerwehrkommandant Stefan Hermann sieht Reutlingen gut vorbereitet auf den Klimawandel.
Von Thomas Faltin
Viele Menschen erinnern sich noch an das extreme Unwetter im Juli 2013, als teils tennisballgroße Hagelkörner rund um Reutlingen und Tübingen 25 000 Häuser und unzählige Autos beschädigten. Oder an den August 2023, da sorgte ein Blitzsturm dafür, dass sich das Hageleis in den Reutlinger Straßen 30 Zentimeter hoch auftürmte, mitten im Sommer. Keine Frage, der Landkreis ist in den vergangenen Jahren stark von Naturereignissen betroffen gewesen. Wie gut vorbereitet ist die Feuerwehr dort auf die Folgen des Klimawandels?
Stefan Hermann (43), der Kommandant der städtischen Berufsfeuerwehr in Reutlingen, ist ziemlich entspannt und hält jedenfalls nichts davon, Panik zu verbreiten. „In vielen Bereichen sind wir vor der Lage“, sagt er im Jargon des Katastrophenschutzes, während er in der Feuerwache am Stadtrand ein großes mobiles Gerät zum Abfüllen von Sandsäcken vorführt. Was er damit meint: Man sei gut vorbereitet.
Zahl der Feuerwehreinsätze im Südwesten nimmt zu
Natürlich kennt Hermann, der in eine Feuerwehrfamilie hineingeboren ist und seit 30 Jahren selbst bei der Feuerwehr ist, die Prognosen der Klimaforscher und Meteorologen. Erst vergangenes Jahr kam der Deutsche Wetterdienst, als Anfang Juni in Baden-Württemberg und Bayern das letzte große Hochwasser auflief, zu dem Schluss: Bisher habe im Schnitt alle 42 Jahre ein solches Ereignis gedroht, künftig müsse man alle 30 Jahre damit rechnen.
Hermann hält das für realistisch. Er spüre selbst, dass viele Einsätze heftiger sind als in der Vergangenheit. Und auch die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Im Jahr 2020 verzeichneten alle baden-württembergischen Feuerwehren zusammen knapp 136 000 Einsätze, im Jahr 2023 waren es 161 000. „Die Zahl der Brände bleibt ungefähr gleich“, sagt Hermann. Dagegen nehme die Zahl der technischen Hilfeleistungen bei Unfällen und die Einsätze bei Naturereignissen zu.
Hochwasser, Starkregen, Waldbrände – das sind die drei Top-Gefahren, die der Klimawandel verstärken könnte. Ein einheitliches Konzept der Feuerwehren gegen die Folgen des Klimawandels gibt es in Baden-Württemberg aber nicht. Vielmehr würden Pläne für jede spezielle Einsatzlage einzeln erarbeitet, betont Katharina Lutz-Schädler, Sprecherin im Innenministerium. Dazu gehörten auch großflächige Stromausfälle oder Einsätze in Tunneln.
Das Thema Waldbrand ist in Baden-Württemberg nicht ganz so heiß: „Das Waldbrandrisiko ist vergleichsweise gering“, so Lutz-Schädler, auch wenn es 2023 im Südwesten 65 kleinere Waldbrände gab. Andere Bundesländer seien viel stärker betroffen.
Stefan Hermann, der auch Vizepräsident des Landesfeuerwehrverbandes ist, sieht das Land ebenfalls gut aufgestellt. Ab dem nächsten Jahr soll ein europäisches Katastrophenschutzmodul zur Waldbrandbekämpfung im Südwesten aufgebaut werden, schon jetzt gibt es laut dem Innenministerium 1000 allradgetriebene Tanklöschfahrzeuge. Preis laut Hermann: jeweils eine halbe Million Euro – der Klimawandel kostet also auch die Feuerwehren sehr viel Geld. Hermann weiß aus Erfahrung, dass die Kommunen, die primär für ihre Feuerwehren zuständig sind, nach einem schlimmen Ereignis gerne Mittel freigeben. Doch schon ein Jahr später fließe das Geld dann lieber wieder in vermeintlich wichtigere Bereiche. Hermann spricht von „Katastrophendemenz“.
Feuerwehr und Forst wollen intensiver zusammenarbeiten
Wichtig sei in den kommenden Jahren aber, in den Wäldern alle Flächen zu lokalisieren, die man mit Fahrzeugen nicht erreichen könne. Dort müsse man gemeinsam mit den Waldbesitzern einen Plan erstellen, wie man ein Feuer trotzdem bekämpfen könnte. Die Stadt Reutlingen hat vergangenes Jahr eine Stelle bewilligt; der neue Mitarbeiter soll solche Gefahrenanalysen vorantreiben und Konzepte erstellen. Der Knackpunkt ist: In vielen Kommunen und Landkreisen fehle es noch an Personal.
Bei Hochwasser und Starkregen ist die Vorsorge schwieriger. Mittlerweile gibt es landesweit Gefahrenkarten für Hochwasser, in der übrigens auch jeder Eigenheimbesitzer schauen kann, wie stark sein Grundstück überschwemmt werden könnte. Gegen Starkregen sichern immer mehr Kommunen etwa Bäche zusätzlich ab oder schützen Kindergärten durch Mauern, die das Wasser wegleiten. Laut einer repräsentativen Umfrage des Umweltbundesamtes haben aber nur zwölf Prozent der Kommunen bisher ein richtiges Klimaanpassungskonzept entwickelt.
In Reutlingen existieren wie fast überall Notfallpläne, was also zu tun ist, wenn ein Ereignis eingetreten ist. So sei etwa klar, welche Altenheime oder Schulen bei Hochwasser als erste evakuiert werden müssten, sagt Stefan Hermann. Man wisse auch, welche Brücken in der Stadt zuerst überschwemmt würden, sodass man rechtzeitig Fahrzeuge und Material auf die andere Seite schaffen könne. Klar ist aber, dass bei einem dramatischen Starkregen nicht allen Menschen gleichzeitig geholfen werden kann. Hilfe für Menschen in Lebensgefahr habe immer Vorrang, so Hermann. Wer „nur“ einen vollgelaufenen Keller hat, muss womöglich warten.
Zusammen mit den freiwilligen Feuerwehren könne sich Reutlingen sehen lassen, sowohl was das Personal angehe als auch die Fahrzeuge. Nachwuchssorgen hätten sie keine. In der Feuerwache arbeiten 88 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch das Land hält sich für gut vorbereitet: 115 440 Männern und Frauen seien derzeit Teil der Feuerwehren, so viele wie noch nie.
Nach der verheerenden Flut im Juli 2021 im Ahrtal war auch Stefan Hermann dort im Einsatz. Zwei Erkenntnisse hat er mitgebracht. Erstens bräuchten die Feuerwehren geländegängige Fahrzeuge, auch ohne jeglichen Schnickschnack, allein um bei so großen Katastrophen überhaupt zum Einsatzort zu gelangen. Und zweitens habe er viele Mängel bei der Kommunikation sowie Kompetenzstreitigkeiten erlebt, weshalb teils falsche Entscheidungen getroffen worden seien. Dass alle Verbände gut zusammenarbeiten, sei das A und O: „Und das geht nur durch Üben und nochmals Üben.“
Ganz aktuell bräuchte man in Reutlingen vor allem ein Logistikfahrzeug, um etwa Sandsäcke zu transportieren. Und man benötige leichtere Schutzkleidung. Die jetzige ist dafür gedacht, in brennenden Häusern gut geschützt zu sein; sie ist deshalb sehr dick. Bei Außeneinsätzen im Sommer bei 30 Grad schwitze man damit viel zu stark.
Grundsätzlich bleibt Stefan Hermann optimistisch. Er sei 13 Jahre lang Kreisbrandmeister im Zollernalbkreis gewesen, wo man auch auf schwere Erdbeben vorbereitet sein müsse: „Und wenn wir das beherrschen, dann können wir organisatorisch auch alles andere schaffen.“