Auf Tuchfühlung mit der Firmenpraxis

Der Wirtschaftsleistungskurs am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium Murrhardt beschäftigt sich mit Theorie, aber auch mit der Praxis. In der eigenen Schülerfirma heißt es, sich auf ein Produkt zu einigen, es zu entwickeln und zu verkaufen. Kein Zuckerschlecken, aber wertvolles Lernfeld.

Die Elftklässler mit ihren neu entwickelten und selbstgegossenen (Bubble-)Kerzen, die sie beim Schulfest im Gymnasium verkaufen: Milena Müller, Marlon Bühler und Lisa Hoger (vordere Reihe von links) sowie Ceren Uzun, Lien Heinle, Polina Butova und Beyza Sude Koc (hintere Reihe von links). Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Die Elftklässler mit ihren neu entwickelten und selbstgegossenen (Bubble-)Kerzen, die sie beim Schulfest im Gymnasium verkaufen: Milena Müller, Marlon Bühler und Lisa Hoger (vordere Reihe von links) sowie Ceren Uzun, Lien Heinle, Polina Butova und Beyza Sude Koc (hintere Reihe von links). Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Manchen Firmengründungen wohnen im Kontrast zu ihrem heutigen komplexen Imperium mehr oder weniger mythische Garagengeschichten inne, manche Unternehmen existieren seit vielen Generationen, andere nur kurz und verschwinden schnell wieder von der Bildfläche. Wie die Geschäftswelt, das Entstehen, Bestehen und die Weiterentwicklung von Firmen funktionieren, ist auch Thema des Wirtschaftsleistungskurses am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium Murrhardt. Er geht nun mit dem Schuljahr zu Ende und war für die Elftklässler mit viel Lernstoff, Theorie und Modellen verbunden, aber nicht nur. Sie konnten sich mit ihrer Schülerfirma sehr praktisch mit dem Thema auseinandersetzen und haben dazu auch das gestrige Schulfest noch genutzt. Aber dazu später.

Als die Mitstreiterinnen und Mitstreiter vor einem Jahr wussten, dass sie gemeinsam den nächsten Wirtschaftsleistungskurs bestreiten, hatte ihr Lehrer Gianluca Cannella noch vor Start der 11. Klasse einen Arbeitsauftrag für die insgesamt elf jungen Leute: das Projekt Schülerfirma angehen. „Ich hab zu Anfang begleitet, aber dann heißt es für mich auch möglichst zügig Schritt für Schritt aus dem Unternehmen zu verschwinden“, erzählt er. Die Plattform „Junior“ hilft bei der Prozessbegleitung und dabei, zentrale Elemente wie Einnahmen und Ausgaben zu verwalten.

Der Knackpunkt war aber erst mal das inhaltliche Projekt. Die Elftklässler mussten sich auf eine gemeinsame Geschäftsidee einigen. Anders als zumindest oft in bereits bestehenden oder stärker hierarchisch organisierten Firmen bedeutete dies, die Ansätze ausführlich zu diskutieren und demokratisch über sie abzustimmen. „In kleineren Unternehmen ist das noch etwas einfacher. Die Schüler mussten den kleinsten gemeinsamen Nenner finden“, sagt Gianluca Cannella. „Letztlich ist es aber auch im Wirtschaftsleben nicht so, dass jeder in der Firma zu 1000 Prozent hinter der Geschäftsidee steht.“

Nachhaltigkeit ist zentrales Kriterium

Wie hat das funktioniert? Milena Müller, die die Position der Vorstandsvorsitzenden übernommen hat, skizziert die Schritte: Ideen sammeln über die Sommerferien per Messengerdienst, das Abwägen, welche Projekte umsetzbar und mit zentralen Zielen und Werten der Elftklässler vereinbar sind. „Nachhaltigkeit war uns sehr wichtig“, sagt Milena Müller. „Wir haben in Richtung wiederverwertbare Strohhalme überlegt, aber auch Biokosmetik.“ Das Produkt Kerzen hat sich durchgesetzt. Diese Einigung und der weitere Prozess waren manchmal zäh, räumt die Runde mit Milena Müller, Ceren Uzun, Lisa Hoger, Lien Heinle, Beyza Sude Koc, Maroln Bühler und Cedric Jones ein, mussten in mühsamer Diskussions-, Abstimmungs- und Entwicklungsarbeit miteinander aufgegleist werden. Die Arbeitsliste: einen kleinen Grundstock an Kapital über Lehrer, Eltern und Freunde zusammentragen, entscheiden, selbst in die Kerzenherstellung einzusteigen oder einen Partner zu suchen und sie später zu veredeln, weil die Schülerfirma in der Freizeit läuft, den Verkauf, die Werbung und die Verwaltung der Einnahmen organisieren, Steuerfragen klären und nicht zuletzt sich abstimmen, was mit dem erarbeiteten Geld geschehen soll. Diese Aufgaben waren unter den Schülerinnen und Schülern aufgeteilt. „Wir haben eine Herstellerin in Ludwigsburg gefunden, die uns beliefert“, erzählt Milena Müller.

Die aus dem rein pflanzlichen Stearin hergestellten Kerzen wurden mit Holztäfelchen und Reisig zu einem kleinen Gesteck. Mit ihren „Luzerna Kerzen“ wollten die Elftklässler auch Kleinhändler vor Ort unterstützen. Zwischendrin war auch die Werbung über Social Media und per Flyer angelaufen. Der Verkauf für Weihnachten lief gut, bei dem am Valentinstag hätte es noch ein bisschen besser sein können.

Besonders spannend fand Milena Müller die erneute Begegnung mit Modellen und Theorie – vor dem Hintergrund dieser praktischen Erfahrungen. Es stand die Swot-Analyse – in der Abkürzung stecken Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken) – auf dem Lehrplan. Durch die Möglichkeit, die Inhalte immer wieder auf die eigene Schülerfirma zu beziehen, wurde das Instrument nicht nur sehr anschaulich, sondern hat den Kurs auch noch mal zu einer neuen Produktidee gebracht, erzählt die Runde: Um vor allem auch für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler eine fesche, trendige Variante auf dem Schulfest anbieten zu können, haben sie die noch vorhandenen Kerzen eingeschmolzen und als Bubblekerzen (Form mit zusammengesetzten Kugeln) neu gegossen.

Wie sich Entscheidungen auswirken

Was haben sie durch ihr Firmenvorhaben noch alles gelernt? „Wir hatten viele Ideen, aber für viele hat das Kapital nicht gereicht“, sagt Lisa Hoger, die sich mit Ceren Uzun ums Marketing gekümmert hat. Ein anderer Punkt: Die spontane Idee, auf dem Murrhardter Wochenmarkt zu verkaufen, ließ sich nicht umsetzen, weil das erst eine Anmeldung bei der Stadtverwaltung braucht. „Da muss man einfach auch länger planen.“ Marlon Bühler, der als Verwaltungsleiter aktiv war und sein Interesse fürs Kreative mit eingebracht hat, stellt fest, dass das Abstimmen in der Gruppe schon lange gedauert hat. Trotzdem fand er es gut, bei einem vergleichsweise unkomplizierten Produkt zu erfahren, wie sich Entscheidungen beispielsweise in Bezug auf Design und Preis auch konkret auswirken.

Sein Lehrer nickt. „Es ging darum, Erfahrung in allen Geschäftsbereichen zu sammeln. Wie funktionieren die Geschäftsführung, Verwaltung und Finanzen?“, sagt er. Für ihn ist dies auch eine gewisse Vorbereitung aufs Berufsleben. Dazu gehört die Beschäftigung damit, wie ein Produkt auf dem Markt bestehen kann. Wie viele Angebote sind schon vorhanden? Haben „Luzerna Kerzen“ neben den günstigen Großpaketen überhaupt eine Chance? Überzeugt die Idee auch meine Geldgeberinnen und Geldgeber? Letzterer Punkt war durchaus ein wichtiger, erinnert sich Cedric Jones, der von der Schülerfirma im Vorjahr berichtet. Damals war die Kapitalbeschaffung noch etwas formeller mit Anteilsscheinen organisiert und die Klasse hat rund 500 Euro zum Start zusammenbekommen. „Wir haben erst überlegt, nachhaltige Handyhüllen zu machen, aber weil das eigentlich schon jeder hat, haben wir Regenhosen mit Klettverschluss hergestellt“, erzählt er. Auch da haben die Prozesse Zeit in Anspruch genommen und die Ideen wurden im Gespräch miteinander abgewogen.

„Wir wollten ja auch niemand verlieren“, sagt Milena Müller zum Prozess im aktuellen Kursjahr. „Das ist für die Berufswahl nicht unwichtig“, unterstreicht Gianluca Cannella. Fühle ich mich in einer flachen Hierarchie wohler, muss ich aber mit diesen zeitintensiven Diskussionen rechnen.

Die Elftklässler sind um einige Erfahrungen reicher und können nun ihr weiterentwickeltes Produkt der Kerzen beim Schulfest anbieten. Ein schöner Endspurt sozusagen. Aber was passiert eigentlich mit dem Gewinn? Das haben sie schon länger entschieden, und es hat auch mit Wirtschaft und Praxislust im Sinne eines Einblicks zu tun: Sie besuchen gemeinsam die Firma Trigema, um dort ein Stück weit hinter die Kulissen zu sehen.

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Erstellt:
26. Juli 2023, 06:00 Uhr

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