US-amerikanisches Ehepaar soll ausreisen
Aus der Traum vom Leben mit den Töchtern und Enkeln?
Sie haben ihr Leben in den USA abgewickelt und ihr Haus verkauft. Doch dann scheitern die beiden US-Rentner Deborah und Dennis Lorance am deutschen Aufenthaltsrecht. Nach Weihnachten sollen sie ausreisen und Abschied von Kindern und Enkeln nehmen.
Von Hilke Lorenz
Der Tisch musste einfach mit. Den großen ovalen Esstisch und die acht Stühle haben sie im Sommer 2023 zusammen mit ein paar anderen Möbelstücken in North Carolina in einen Überseecontainer gepackt. Der Tisch und die Stühle stehen für den Grund ihres Umzugs von der amerikanischen Ostküste in das mittelalterliche Städtchen Bad Wimpfen im Kreis Heilbronn, stehen für für die Art, wie Dennis (71) und Deborah Lorance (70) Familie begreifen: Sie leben ein offenes Haus. Gäste sind willkommen.
Sie sind wohlhabend und krankenversichert
Wenn sie noch mal drei Stühle dazu stellen, passt an diesen Tisch die ganze Familie: die beiden Töchter Ashley und Emily, deren Partner und die drei Enkelkinder – und natürlich die Großeltern selbst. An Thanksgiving haben sie so zusammen gefeiert. An Weihnachten werden sie es wieder tun. Nur dann wird es womöglich ein Abschiedsfest mit bitterem Beigeschmack werden, „den wir, so gut es eben geht, ausblenden“, sagt Deborah Lorance. Denn geht es nach der Ausländerbehörde des Kreises Heilbronn und dem ihr übergeordneten Regierungspräsidium, deutet vieles darauf hin, dass die beiden nicht dauerhaft in Deutschland leben dürfen. Obwohl sie genügend Geld besitzen, amerikanische Renten beziehen, krankenversichert sind und ihre Kinder als Bürgen haben. Was das Ehepaar sich so sehr wünscht, nämlich ein Leben in Deutschland, wird, wenn nicht noch ein Wunder geschieht oder das Regierungspräsidium seine Entscheidung revidiert, scheitern.
Rückblende. Deborah Lorance hat Psychologie studiert, an einer Schule in der 900 000-Einwohner-Stadt Charlotte hat sie sich um das Wohlbefinden und die seelische Gesundheit der Schülerinnen und Schüler gekümmert. Ihr Mann Dennis ist Anwalt. „An der Universität von North Carolina haben wir uns während des Studiums kennengelernt“, sagt Deborah. Wie seine Frau hat Dennis Lorance sich um die Belange der vermeintlich Schwächeren gekümmert. Er hat unter anderem Unfallopfer in ihren Ansprüchen gegenüber Versicherungen vertreten. „Er war ein Kämpfer“, sagt seine Tochter Ashley. Offenbar ein oft erfolgreicher, inspirierend für seine Tochter aber auf alle Fälle. Sie ist ebenfalls Anwältin geworden – und hätte ihre Eltern nicht nur für kurze Besuche gerne näher bei sich.
Die Lorances haben in ihrem Haus in Charlotte Dennis’ Vater im letzten Lebensjahr zu sich geholt und gepflegt, ebenso Deborahs Eltern. Das sei für sie selbstverständlich gewesen, sagt Deborah Lorance.
Fast bis zu seinem letzten Tag in den USA hat Dennis gearbeitet. Drei Wochen nachdem sie ihr Haus in einer guten und begehrten Gegend von Charlotte verkauft hatten, saßen er und seine Frau im Flugzeug nach Deutschland. Wenn der Anwalt davon erzählt, merkt man, dass es kein leichter Entschluss war. Aber nun ist es so. Mit dem Blick auf ein neues Leben haben sie ihr altes Leben zurückgelassen. Jetzt sind sie hier.
Ihre Väter kämpften gegen die Nazis
Doch nun sitzt Dennis zu Untätigkeit und Warten verdammt in einer Wohnung mit wunderschönem Ausblick. Ein Garten mit alten Obstbäumen ist zu sehen. Der Blick in die eigene Zukunft ist für die Pensionäre weniger schön. Dieses Warten auf eine Entscheidung schlägt aufs Gemüt. Dennis bleibt dennoch sehr freundlich. Kein schlechtes Wort über die, die nun entscheiden. Zu bedenken gibt er aber schon, dass er und seine Frau nicht etwa vorhätten, dem deutschen Staat auf der Tasche zu liegen. Im Gegenteil, sagt Dennis, „von unserem Konsum würde die deutsche Wirtschaft ja ein bisschen profitieren“. Er nennt das: „A little boost for the economy.“
Noch lernt er Deutsch in der Volkshochschule, erklärt sich deshalb lieber auf Englisch. Und dann erzählt er noch, was ihm und seiner Frau jetzt öfter durch den Kopf geht: Ihre beiden Väter hätten als Soldaten im Zweiten Weltkrieg gegen Nazideutschland gekämpft, Dennis’ Vater war am D-Day, der Landung der Alliierten in der Normandie, beteiligt. Sie haben also geholfen, in Deutschland den Weg für ein demokratisches Gemeinwesen zu bereiten. Entsprechend fühlen sie sich mit Deutschland verbunden. Nicht nur deswegen. „Wir mögen es hier“, sagt Deborah. Oft zuvor waren sie im Land auf Reisen und für Besuche unterwegs.
Während der 90 Tage, die sie in Deutschland ohne ein Visum zu Besuchszwecken sein dürfen, haben die beiden eine Aufenthaltserlaubnis beantragt. Aber nicht etwa im Rahmen einer Familienzusammenführung. Den sieht das Aufenthaltsgesetz nur bei besonderen Härten vor. Die liegen in ihrem Fall nicht vor, das ist ihnen klar. Dazu sind die beiden viel zu rüstig und selbstständig.
Aber es gibt einen Satz in Paragraf 7 des Aufenthaltsgesetzes, der dann greifen soll, wenn alle anderen Bestimmungen nicht zutreffen. Wenn es also nicht um Familienzusammenführung, Asyl oder die Aufnahme von Arbeit geht. „In begründeten Fällen kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden“, heißt es da. Darauf beruft sich Shanna Zelmer, die Heilbronner Anwältin des Ehepaares Lorance. Die Anwältin hat deshalb Widerspruch gegen die Entscheidung des Landratsamtes Heilbronn eingelegt. Das Amt hatte den Vorgang dem Regierungspräsidium vorgelegt und dem Ehepaar mit Schreiben vom 18. September 2024 schließlich mitgeteilt, dass sein Antrag abgelehnt sei. Zugleich wurde das Ehepaar um die freiwillige Ausreise bis zum 25. Oktober 2024 gebeten.
Ausländerbehörde will Ausreise
Der Termin ist längst verstrichen. Die Anwältin hat dagegen Widerspruch eingelegt, da sie der Auffassung ist, das Schreiben aus dem Landratsamt sei kein formaler Bescheid, also nicht endgültig. Noch einmal führt sie auf, dass das Ehepaar in Deutschland zwar Familie habe, das aber nicht der vorrangige Grund für den Umzug sei. Es scheint, als würde die Tatsache, dass die Kinder der Lorances in der Nähe wohnen, dem Ehepaar zum Nachteil gereichen: Denn die Ausländerbehörde zielt in ihrer Begründung immer wieder auf einen „angestrebten Familiennachzug“ ab, obwohl der gar nicht beantragt wurde. Außerdem betont die Behörde noch, es sei auch nicht möglich, zwischen zwei Antragsgründen – zwischen Familiennachzug und den anderen „begründeten Fällen“ nach Paragraf 7 – zu wechseln.
Anwältin Zelmer beruft sich in ihrer Überzeugung, es gebe ein Recht für die Rentner, wie beantragt eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 7 zu bekommen, auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart, das 2010 in einem ähnlichen Fall in ihrem Sinn entschieden habe. Außerdem gebe es – würde man die Annahme der Behörde vom Wechsel zwischen zwei Antraggründen gelten lassen – ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2010, wonach man zwei Aufenthaltstitel haben und deshalb auch beantragen kann.
Anwältin hält Klageweg für erfolgversprechend
Noch liegt den Lorances keine Antwort der Ausländerbehörde auf ihren Widerspruch vor. Wäre sie wieder negativ, müssten sie beim Verwaltungsgericht Stuttgart dagegen klagen. Aufschiebende Wirkung hätte eine solche Klage aber nicht, sagt Anwältin Zelmer. Die habe nur ein Eilantrag. „Ich werde das dann mit meinen Mandanten besprechen.“ Die wollen sich in jedem Fall gesetzestreu verhalten. Vor Gericht, so Zelmer, sehe sie gute Chancen, dass das Ehepaar einen Aufenthaltstitel bekomme.
Ein bisschen Weihnachtsfrieden
Mit einem neuen Bescheid der Ausländerbehörde und gar einer Frist für eine Ausreise noch vor Weihnachten rechnet die Anwältin nicht. Ein bisschen Weihnachtsfrieden können Deborah und Dennis Lorance also wohl doch leben. Auch wenn sie mit Sicherheit schon entspanntere Weihnachtsfeste gefeiert haben.