True Crime in Australien

Backpacker-Morde: Waren es 80 Opfer?

Über Jahre hat ein Serienmörder in Australien Angst verbreitet: Sieben Morde konnte das Gericht Ivan Milat nachweisen. Doch es könnten viel mehr gewesen sein.

Der Journalist Roger Maynard mit seinen Büchern über den Fall  Milat und Briefen, die ihm der Täter aus der Haft schrieb

© Barbara Barkhausen

Der Journalist Roger Maynard mit seinen Büchern über den Fall Milat und Briefen, die ihm der Täter aus der Haft schrieb

Von Barbara Barkhausen

Er hat mindestens sieben Rucksackreisende ermordet, darunter drei deutsche Urlauber. Ivan Milat ist ein Name, der in Australien gleichbedeutend mit Horror ist. Obwohl die Beweise gegen ihn erdrückend waren, hat der Serienmörder selbst am Sterbebett – er erlag 2019 im Alter von 74 Jahren einem Krebsleiden – nie ein Geständnis abgelegt. Um den Belanglo State Forest, ein Waldgebiet südlich von Sydney, in dem der Sohn kroatischer Auswanderer mindestens sieben Touristen ermordete und verscharrte, machen die meisten Australier bis heute einen großen Bogen. Per Anhalter zu fahren – so hatte Milat seine Opfer in die Falle gelockt – ist inzwischen nicht nur verboten, sondern zum Tabu geworden.

Milats Opfer waren sieben junge Rucksackreisende im Alter von 19 bis 22 Jahren. Sie verschwanden Ende der 1980er, Anfang der 1990er südlich von Sydney. Als ihre Leichen 1992 und 1993 in provisorischen Gräbern im Wald gefunden wurden wurde der Ort zum Inbegriff des Grauens. Unter den Opfern waren drei Deutsche, zwei Britinnen und zwei Australier. 1996 wurde schließlich Ivan Milat für die sieben Morde verurteilt, obwohl bis heute gerätselt wird, ob einer seiner neun Brüder an den Verbrechen beteiligt war. Richter David Hunt erklärte damals, dass aus den Beweisen in mindestens zwei Fällen ersichtlich sei, dass sie nicht nur aus einer Hand stammen konnten, nämlich die Morde an den Britinnen Caroline C. und Joanne W. sowie an dem deutschen Paar Anja H. und Gabor N.

Die Opfer wurden extrem brutal getötet

Die Opfer wurden extrem brutal getötet: W. war 21 Mal in den Rücken und 14 Mal in die Brust gestochen worden. Ihre Wirbelsäule war durch einen heftigen Schlag abgetrennt worden. C. war aus nächster Nähe zehnmal in den Kopf geschossen und einmal in die Brust gestochen worden. Ihre Augen waren verbunden. N. wurde das Genick gebrochen und die Wirbelsäule durchtrennt, während H. enthauptet wurde. Ihr Kopf wurde bis heute nicht gefunden. Das weitere deutsche Opfer, Simone S. starb vermutlich alleine. Sie war erstochen worden. Auch die anderen Opfer erlitten grausame Verletzungen. Einige wiesen Folterspuren und Spuren sexuellen Missbrauchs vor oder nach dem Tod auf. Einige waren offensichtlich als „Zielscheiben“ missbraucht worden.

Dass es weitere Opfer geben könnte, wird schon seit Langem vermutet. Der Polizeibeamte Neville Scullion, der die Ermittlungen Anfang der 1990er Jahre leitete, sagte in dem Podcast „The Missing Australia“ nun jedoch, dass allein im Bundesstaat New South Wales etwa 900 Menschen seit langer Zeit vermisst werden. Einige dieser Vermissten wurden zuletzt an Orten gesehen, an denen sich Milat häufig aufhielt. Insgesamt gebe es etwa 700 ungeklärte Morde, bei denen man sich einige ansehen und denken könne: „Ja, Milat war da beteiligt.“

Milat hat nie auch nur eine Tat gestanden

Einer, der tiefe Einblicke in die Seele des Mörders bekam, ist auch der britische Journalist Roger Maynard. Er begleitete den Fall über Jahre hinweg und veröffentlichte mehrere Bücher. Er ist einer derjenigen, die mit dem Serienmörder über Jahre Briefe austauschten. 34 Briefe hat er von Milat bis zu dessen Krebserkrankung erhalten. Maynard ist sicher, dass ein weiterer Täter involviert war. Es seien an einem Tatort Zigarettenstummel und eine Whiskeyflasche gefunden worden, berichtete er im Interview, und Milat habe weder geraucht noch getrunken.

Zudem seien die Opfer auf unterschiedliche Art und Weise getötet worden. Während einige Morde ganz eindeutig die Züge eines Sadisten aufzeigten, der seine Opfer qualvoll mit dem Messer tötete, wurden andere erschossen. Doch auch gegenüber Maynard gestand Milat in keinem seiner Briefe auch nur eines seiner Verbrechen. Vielmehr behauptete er, die Polizei habe ihm Beweismittel untergeschoben. „Er hatte auf alles eine Antwort“, erinnerte sich Maynard.

Der Brite Paul Onions entkam – und ließ Milat auffliegen

Milat war dafür bekannt, eine Tendenz zur Gewalt zu haben. Er war wie auch andere seiner insgesamt 13 Geschwister bereits mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Trotzdem wurde er erst überführt, nachdem der Brite Paul Onions das letzte Puzzlestück lieferte. Onions war Anfang 1990 nur knapp Milats Fängen entkommen. Nichtsahnend war er auf dem Weg von Sydney nach Canberra in das Auto des Serienmörders gestiegen. Schon während der Fahrt wurde Onions immer unruhiger.

Milat fragte ihn, ob jemand ihn erwarte und ob er militärisches Training absolviert habe. Als er schließlich anhielt und Onions mit einem Gewehr bedrohte, begannen die beiden miteinander zu ringen. Onions gelang die Flucht. Seine Zeugenaussage über den Mann mit Schnauzbart brachte die Polizei Jahre später auf Milats Spur. Als in dessen Haus Besitztümer der Toten – Campingausrüstung, ein T-Shirt und ein Rucksack – aufgefunden wurden, wurde Milat 1994 verhaftet und zwei Jahre später zu siebenmal lebenslänglich – einmal für jedes Opfer – verurteilt.

Was ehemalige Ermittler sagen

Polizist Der Polizeibeamte Neville Scullion, der die Ermittlungen Anfang der 1990er Jahre leitete, sagt in einem Podcast über den Serienmörder: „Die erste Leiche wurde 1992 gefunden, er wurde 1994 verhaftet, aber er begann nicht erst 1992 mit dem Töten. Er war 20 Jahre lang unkontrolliert.“

Undercover-Agent Der Ermittler Paul Gordon teilt diese Meinung wie auch ein Ex-Undercover-Agent namens „Roy“. Alle drei vermuten, dass Milats Mordserie bis in die 1970er Jahre zurückreicht und nicht auf New South Wales begrenzt war.

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Erstellt:
20. März 2025, 14:44 Uhr

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