Koalitionsverhandlung

Belgien wartet weiter auf eine Regierung

Die Parteien verhandeln seit Monaten, doch eine Einigung ist in weiter Ferne. Am Montag ist der vorerst letzte Versuch gescheitert.

Verhandlungsführer Bart de Wever (links) kann Belgiens König Philippe keine guten Nachrichten überbringen. Die Parteien können sich nicht auf eine Koalition einigen.

© AFP/BENOIT DOPPAGNE

Verhandlungsführer Bart de Wever (links) kann Belgiens König Philippe keine guten Nachrichten überbringen. Die Parteien können sich nicht auf eine Koalition einigen.

Von Knut Krohn

Regierungsbildungen in Belgien sind ein Geduldsspiel. Nicht selten verhandeln die Parteien weit über ein Jahr, um eine mehr oder meist weniger tragfähige Koalition zu schmieden. Nach der letzten Parlamentswahl 2019 dauerte es genau 494 Tage. Auch dieses Mal werden die Nerven aller Beteiligten seit Monaten auf die Probe gestellt. Dabei schien im Juni nach der Abstimmung alles anders. In Flandern gewann die nationalkonservative Partei N-VA die meisten Stimmen und in Wallonien lösten die Liberalen die Sozialisten als stärkste Kraft ab. Beide Gewinner verfolgen in ihren Programmen ähnliche Ziele, sie wollen die enorme Schuldenlast abbauen, unter der Belgien ächzt, und die stotternde Wirtschaft wieder ankurbeln.

Vergebliche Hoffnung auf eine schnelle Einigung

König Philippe beauftragte im Juni den Antwerpener Bürgermeister Bart de Wever mit den Koalitionsverhandlungen, der mit fünf Parteien Gespräche begann. Das schien eine leichte Übung, wurde Belgien zuletzt doch von einer überaus fragilen Sieben-Parteien-Koalition regiert. Doch die Hoffnung von einer schnellen Regierungsbildung platzte, denn die Gespräche gerieten immer wieder ins Stocken. Zuletzt legte sich die sozialdemokratische Partei Vooruit aus Flandern quer. Sie fordert unter anderem die Einführung einer Art Reichensteuer, um die großen Vermögen stärker an der Sanierung des maroden Staatshaushalts zu beteiligen. Das aber ist mit den anderen Partnern auf keinen Fall zu machen.

Auch der vorerst letzte Rettungsversuch ist nun gescheitert. Am Montag wollte König Philippe den zerstrittenen Protagonisten den Weg aus der Sackgasse weisen, doch die flämischen Sozialisten blieben hart. Gemeldet wird, die vier restlichen Parteien würden weiter nach einem Kompromiss suchen. Es heißt, Bart de Wever werde nun wahrscheinlich die flämische liberale Partei Open VLD mit an den Tisch holen.

Belgien ist Land mit tiefen Gräben

Die schwierigen Koalitionsverhandlungen sind der sichtbare Ausdruck der politischen und gesellschaftlichen Zersplitterung des Landes. Doch anstatt die dadurch entstehenden Reibereien gemeinsam auszugleichen, wurden die Gräben durch mehrere Staatsreformen nur noch vertieft. Inzwischen gibt es in dem kleinen Land drei Regionen, drei Sprachengemeinschaften und zehn Provinzen.

Das führte nicht nur zu einer unglaublichen Ineffizienz in der Zusammenarbeit zwischen den staatlichen, regionalen und kommunalen Bereichen. Über Jahre wurde versucht, die immer deutlicher zu Tage tretenden Probleme mit immer mehr Geld zu lösen, was den Staatshaushalt an den Rand des Ruins getrieben hat.

Die Wahlgewinner wollen eine Staatsreform

Nicht nur aus diesem Grund haben sich die beiden Wahlgewinner in Wallonien und Flandern eine Staatsreform und die Sanierung des Haushalts auf die Fahnen geschrieben. Die von der etablierten Politik zunehmend genervten Bürger Belgiens geben ihre Stimme immer häufiger radikalen Parteien. Bei den Kommunalwahlen im Oktober konnten etwa Marxisten oder auch der rechtsextreme Vlaams Belang in einigen Kommunen große Gewinne einfahren. Manche Politiker warnen, sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, stünde Belgien bald vor der Unregierbarkeit.

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Erstellt:
4. November 2024, 14:20 Uhr

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