Gesundheits-Info
Beschleunigen Antidepressiva das Fortschreiten von Demenz?
Menschen mit Demenz leiden oft auch an einer depressiven Störung und bekommen Antidepressiva. Die allerdings bringen meist wenig bis nichts - sie könnten sogar zusätzlich schaden, wie eine neue Studie zeigt.

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Generell hängen Depression und Demenz durchaus eng zusammen: Ein großer Teil der Demenzerkrankten zeigt Symptome, wie sie auch für eine Depression typisch sind.
Von Annett Stein (dpa)/Markus Brauer
Bestimmte Antidepressiva können einer Studie zufolge bei Demenzpatienten womöglich den kognitiven Abbau beschleunigen. Ob sie wirklich verschrieben werden sollten, müsse darum für jeden Patienten gründlich geprüft werden, warnt das Forschungsteam im Fachjournal „BMC Medicine“. Betroffen seien selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Citalopram, Sertralin und Escitalopram.
Prescription of a class of #antidepressants known as selective serotonin reuptake inhibitors #SSRI could be associated with faster rates of mental decline in patients with #dementia, according to international research„Es sollte streng geprüft werden, ob wirklich eine Notwendigkeit besteht.“ershttps://t.co/1Ju5ZPAAITpic.twitter.com/ZVosRPJswC — Australian Science Media Centre (@AusSMC) February 25, 2025
„Antidepressiva haben bei Demenzkranken kaum bis gar keine Wirkung“
„Diese Ergebnisse muss man ernst nehmen“, sagt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Entsprechende Hinweise habe es auch zuvor schon gegeben, vor allem für Trizyklische Antidepressiva (TZA). Diese sind eine ältere Klasse von Antidepressiva, die anders als SSRI wirken und oft mehr Nebenwirkungen haben. Sie sollten daher bei Demenzkranken nicht verwendet werden.
Ohnehin sei der Einsatz solcher Medikamente in dieser Gruppe von Patienten meist nicht sinnvoll. „Es ist schon lange bekannt, dass Antidepressiva bei Demenzkranken überwiegend kaum bis gar keine Wirkung haben.“
Hirnstrukturen sind oft beschädigt
Hintergrund sei womöglich, dass die entsprechenden Hirnstrukturen bei den Betroffenen bereits beschädigt seien und sich nicht mehr durch solche Wirkstoffe beeinflussen ließen, erklärt Klaus Fließbach, Oberarzt am Uniklinikum Bonn.
Auch könnten die Mechanismen hinter bestimmten Symptomen ganz andere sein als bei Menschen ohne Demenz. Von Apathie zum Beispiel sei rund die Hälfte der Patienten mit der Demenzform Alzheimer betroffen. Sie sei bei ihnen aber kein Zeichen einer Depression. Vor diesem Hintergrund sei nicht verwunderlich, dass Antidepressiva in solchen Fällen nicht wirkten.
Symptome von Demenz und Depression ähneln sich
Generell hängen Depression und Demenz durchaus eng zusammen: Ein großer Teil der Demenzerkrankten zeigt Symptome, wie sie auch für eine Depression typisch sind, wie Schlafstörungen, geringeren Appetit, Unruhe, Aggressivität oder traurige Stimmung. Depressive Störungen wiederum können die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen.
Derzeit gingen Ärzte davon aus, dass SSRI- und sogenannte SNRI-Antidepressiva – eine weitere Gruppe von Antidepressiva – keine schädlichen Folgen für Demenzerkrankte haben, betont Fließbach, Neurowissenschaftler am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn. Verwendet würden sie zum Beispiel bei Unruhe, gestörter Impulskontrolle oder eben der bereits erwähnten Apathie.
Experte: Mehr Vorsicht angebracht
Auch schon zu Beginn einer Demenz würden Antidepressiva in Deutschland nach wie vor häufig verschrieben, erläutert Berlit. „Oft vom Hausarzt, der das zunächst nicht als Frühsymptom einer Demenz erkennt.“ Mehr Vorsicht bei Verordnungen für ältere Patienten sei durchaus angebracht – vor dem Hintergrund der neuen Ergebnisse erst recht. SSRI-Antidepressiva kommen dem DGN-Generalsekretär zufolge bei Älteren häufig zum Einsatz.
Wie auch die Forscher um Sara Garcia-Ptacek vom Karolinska-Institut in Solna selbst zu bedenken geben, hat die Studie Einschränkungen, und die Ergebnisse sollten durch weitere Analysen geprüft werden.
„Die Symptome der Depression können selbst schon zur Verschlechterung der Demenz beitragen“, nennt Berlit ein Beispiel. Welcher Anteil der Beschleunigung darauf und welcher auf die Antidepressiva zurückgehe, lasse sich mit den vorliegenden Daten nicht bestimmen. „Die Studie zeige nur einen möglichen kausalen Zusammenhang. Nachgewiesen sei er mit den Daten nicht.
Demenz-Test zeigt Verschlechterung
In die Analyse waren knapp 19.000 Menschen mit einem Durchschnittsalter von 78 Jahren einbezogen worden, bei denen eine Demenz neu diagnostiziert wurde und denen bis zu sechs Monate vor der Demenzdiagnose Antidepressiva verschrieben worden waren. Die geistige Funktion jedes Patienten wurde mittels eines Demenz-Tests erfasst, mit dem die Orientierung und das Kurzzeitgedächtnis gemessen werden.
Während der Nachbeobachtungszeit von im Schnitt etwa vier Jahren erhielten 23 Prozent der Patienten ein neues Rezept für ein Antidepressivum. Überwiegend handelte es sich um SSRI (65 Prozent der Verschreibungen). Höhere SSRI-Dosen waren mit einem höheren Risiko für eine schwere Demenz verbunden, definiert als eine stärkere Verschlechterung der Test-Werte eines Patienten. Bei Männern verlief die Verschlechterung schneller als bei Frauen.
Mehr Brüche und höhere Sterblichkeit
Die Studie lieferte zudem Hinweise auf ein höheres Risiko für Knochenbrüche und eine höhere Sterblichkeit in der Gruppe der Patienten, denen bei oder nach der Demenzdiagnose mindestens ein SSRI-Antidepressivum verschrieben wurde. Die Forscher vermuten, dass sich bei weiteren Studien womöglich auch für eine andere Antidepressiva-Gruppe, die SNRI, solche Zusammenhänge zeigen könnten.
Fließbachs Fazit: Die Ergebnisse der Studie seien ein weiterer Grund, bei älteren Menschen vorsichtig zu sein, wenn es darum geht, Psychopharmaka zu verschreiben. Dies sei auch aufgrund der möglichen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten stets geboten. Gerade Senioren nähmen häufig eine Reihe verschiedener Präparate ein. Wie diese sich gegenseitig beeinflussten, sei vielfach noch gar nicht genau bekannt.
Info: Antidepressiva
TZA – Trizyklische Antidepressiva Trizyklische Antidepressiva (TZA, Trizyklika) werden so genannt, weil ihre chemische Grundstruktur aus einem Dreiringsystem besteht. Bis heute ist das Trizyklikum Imipramin im klinischen Einsatz. Es hat außerdem Bedeutung als Standard- bzw. Referenzsubstanz für Nachfolgesubstanzen.
Imipramin Imipramin zählt chemisch zur Klasse der Dibenzazepine und ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Trizyklischen Antidepressiva – auch nichtselektive Monoamin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NSMRI: englisch: Non selective monoamino reuptake inhibitor) genannt. Imipramin war der erste moderne Arzneistoff zur Behandlung von Depressionen überhaupt und wurde zum Prototyp einer ganzen Klasse von Psychopharmaka. Er wurde unter der Marke Tofranil auf den deutschen Markt gebracht. Entwickler und Hersteller war der Schweizer Konzern Geigy (heute Novartis); die Markteinführung erfolgte 1958.
Weitere Trizyklika Viele weitere trizyklische Antidepressiva folgten auf die Erstsubstanz Imipramin. Zu den bekannten Vertretern zählen unter anderem Amitriptylin (Saroten®), Clomipramin (Anafranil®), Doxepin (Aponal®) und Trimipramin (Stangyl®).
SSRI: – Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Trizyklika hemmen überwiegend nicht-selektiv die Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin. Daher haben sie auch zahlreiche Nebenwirkungen. Bemühungen um besser verträgliche Antidepressiva führten mit der Zeit zu neuen Substanzgruppen, zum Beispiel den Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI).