Big Brother ist allgegenwärtig
Mathias Richling überzeugte bei den Winterkulturtagen mit seinem Programm „Richling und 2084“ in der Festhalle Murrhardt
Den Kabarettisten Mathias Richling kennt man als eine feste Größe im regionalen und überregionalen Fernsehprogramm. Ein weiteres Mal bewies er bei seinem Auftritt in Murrhardt, dass er auch live unschlagbar ist.
Von Carmen Warstat
MURRHARDT. „Richling und 2084“ heißt Mathias Richlings neues Programm. Der Titel spielt an auf George Orwells dystopischen Roman „1984“, dessen düstere Vorahnungen längst Realität geworden sind oder zur Realität zu werden drohen. Richling setzt – kabarettistisch – einiges drauf, und es darf, traurige Wahrheiten hin oder her, herzhaft gelacht werden.
Das Bühnenbild zeigt transparente Quader mit je einem wachsamen Auge darauf: Big Brother ist allgegenwärtig, und nichts entgeht ihm, der Mensch durchsichtig, durchschaubar, längst durchschaut. Ein ruheloser Quirl ist der Künstler, der von einem der Pulte zum anderen eilt und wie nebenbei textet, textet, textet. „Ich weiß auch nicht, ich spreche so schnell – ich weiß auch nicht mehr, was ich gerade gesagt habe!“
In gewohnter Manier parodiert er unzählige Politiker und thematisiert aktuelle Skandale und Skandälchen. Nur am Rande merkt er an: „Merkels Rücktritt vom Parteivorsitz? Was für eine Harmlosigkeit!“ Da ist er schon bei AKK, deren vollständigen Namen korrekt auszusprechen Mathias Richling sich außerstande sieht, weshalb er mit Rücksicht auf die Dauer seiner Show einfach beim Kürzel bleibt. Er zeigt die potenzielle Merkel-Nachfolgerin ob ihres Gendertoilettenwitzes in Erklärungsnöten und Rechtfertigungskaskaden – furchtbar komisch und Verlogenheiten entlarvend, gipfelt das im blödesten aller Blondinenwitze und führt geradewegs zur AfD. Warum die AfD-Leute nie krank werden? Weil Bakterien und Viren auch ihren Stolz haben. Derb und aberwitzig ist Richlings Programm und sein Muster die spiralförmige Steigerung allen Humors ins Groteske. Dabei macht er nicht Halt vor Landesgrenzen, sondern behandelt Europa als eines seiner großen Themen. Unschlagbar treffend imitiert er Theresa Mays Gegner Boris Johnson, der die Brexit-Problematik kurzerhand umdreht und ganz Europa als Bittsteller Großbritanniens sieht. Polemisch „verteidigt“ Richling Witze über Minderheiten und nimmt sich die gesamte Garde der Politiker vor: Andrea Nahles und Christian Lindner, Alexander Gauland („den Vogelfurz von einem Gauleiter“) und Alice Weidel („die Weidelsche“), Angela Merkel und Papst Franziskus, Anton Hofreiter und Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen und Cem Özdemir, Winfried Kretschmann und Thomas Strobl, Wladimir Putin (mit nackter Pappbrust vor dem Körper) und Donald Trump sowie Emmanuel Macron. Richling kann sie alle – am brillantesten vielleicht, ist seine Lindner-Parodie, bei der er Lindners Sprach- und Körpersprachduktus perfekt nachvollzieht, und die Macron-Nummer, in der eine Pressekonferenz mit Merkel zum clownesken zweisprachigen Text-Happening wird. „Arm zu sein bedarf es wenig“, findet Richling mit Blick auf Günter Wallraffs jüngste „Enthüllungen“, und Peter Hahne darf „in der Geschichte baden, best before 1920“. Auch nicht schlecht: Wenn er den Fußballer Franz Beckenbauer schlicht fragen lässt „Was wäre Fußball ohne Korruption?“ Für 2084 prophezeit der Kabarettist uns einen schwulen Papst, der verheiratet ist und eine vergreiste Amtsinhaberin Merkel, die bezüglich Griechenland sagt: „Es gilt, was bisher bei jedem Hilfspaket gegolten hat: Es wird kein weiteres geben.“ Schließlich überrascht Richling auch mit einer exzellenten Erdogan-Karikatur. Sein Programm ist ein hochpolitisches, ist zum Teil schärfste Satire und doch nie verbissen. Bravo.