Zivilschutz

Bunker oder Tiefgarage? – Zivilschutz-Debatte in Deutschland

Nach dem Kalten Krieg glaubte kaum einer mehr an eine reale Kriegsgefahr in Deutschland. Das hat sich mit dem russischen Angriff auf die Ukraine geändert. Braucht das Land mehr Schutzbunker?

Bunkeranlagen, wie dieser Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg (St. Pauli), wurden in Friedenszeiten unter anderem zu Kunst- und Kulturstätten umgestaltet.

© Ulrich Perrey/dpa/dpa-tmn

Bunkeranlagen, wie dieser Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg (St. Pauli), wurden in Friedenszeiten unter anderem zu Kunst- und Kulturstätten umgestaltet.

Von dpa

Berlin - Russland überzieht die Ukraine mit Drohnen- und Raketenangriffen. Menschen suchen Schutz in U-Bahnhöfen und Kellern. Vor diesem Hintergrund wird auch in Deutschland immer wieder diskutiert, wie es um den Zivilschutz bestellt ist. Gibt es genügend Schutzräume? Müssen Bunker gebaut werden? Ein Überblick über die aktuelle Debatte. 

Was ist der konkrete Anlass für die Diskussion?

Der Anlass für die aktuelle Debatte sind jüngste Drohungen von Russlands Präsident Wladimir Putin. Nachdem Russland eine neue Mittelstreckenrakete auf die ukrainische Großstadt Dnipro abgefeuert hatte, drohte er gleichzeitig Unterstützern der Ukraine mit möglichen Raketenangriffen. 

"Wir sehen uns im Recht, unsere Waffen gegen militärische Objekte der Länder einzusetzen, die es zulassen, dass ihre Waffen gegen Objekte bei uns eingesetzt werden", sagte er. "Im Fall einer Eskalation aggressiver Handlungen werden wir entschieden spiegelbildlich handeln." "Bild"hatte anschließend von einem "nationalen Bunker-Plan" berichtet, an dem in Deutschland nun gearbeitet werde.

Wie viele Bunker und Schutzräume gibt es bei uns überhaupt? 

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind es von ursprünglich 2.000 öffentlichen Schutzräumen in Deutschland aktuell noch 579 mit rund 480.000 Schutzplätzen. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte kaum noch jemand an eine reale Kriegsgefahr in Deutschland geglaubt. Bestehende Anlagen wurden verkauft oder teils auch verfallen lassen. 2007 wurde entschieden, die öffentlichen Schutzräume abzuwickeln. Der Prozess wurde im März 2022 – nach Beginn des Ukraine-Kriegs – zunächst gestoppt. 

Und was ist seitdem passiert? 

Es wurde laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit einer Bestandsaufnahme der vorhandenen Schutzräume begonnen. Geprüft wurde und wird dabei der bauliche Zustand – etwa Lüftungsanlagen und Türen – und welche Räume wieder genutzt werden könnten. Aktuell laufen Planungen für ein "nationales Schutzraumkonzept" (Bunker-Plan). 

Darüber berät nach Angaben des Bundesinnenministeriums eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern. Wann hier etwas Konkretes vorliegt, ist einem Sprecher zufolge aber unklar. Das sei ein großes Vorhaben und werde noch etwas Zeit in Anspruch nehmen.

Was könnte in diesem Konzept stehen? 

Das hat das Bundesinnenministerium grob umrissen: Es geht demnach um eine möglichst systematische Erfassung von Gebäuden, auch privaten Immobilien, die als öffentliche Zufluchtsorte genutzt werden können. Dazu zählen Tiefgaragen, U-Bahnhöfe und Kellerräume. Daraus soll eine Datenbank erstellt werden, so dass Bürgerinnen und Bürger über Warn- und Kartendienste auf dem Smartphone den nächstgelegenen Schutzort finden können. 

Angedacht sind auch "Handlungsempfehlungen zu baulicher Ertüchtigung" von Kellern und entsprechende Informationskampagnen für Bürger. Es gehe darum, dass die Räumlichkeiten für Menschen schnell erreichbar sein müssen, sagte der Sprecher des Innenministeriums.

Wird es einen großflächigen Bunker-Bau geben? 

Danach klingt es nicht. In einem Bericht der Bundesregierung vom Februar dieses Jahres wird unter anderem auf die "Konzeption Zivile Verteidigung" von 2016 verwiesen. Darin heißt es: Die flächendeckende Bereitstellung öffentlicher Schutzräume sei nicht realisierbar "und in Anbetracht von Ereignissen mit kurzer oder fehlender Vorwarnzeit nur sehr eingeschränkt geeignet, ausreichende Schutzwirkung zu entfalten." 

Ähnlich klingt es in einem im Sommer bei der Innenministerkonferenz beratenen Expertenbericht, aus dem unter anderem der "Spiegel" zitiert hatte: "Gegen moderne Präzisionswaffen, die gezielt einzelne kriegsrelevante Objekte zerstören und bei deren Angriff nur wenige Minuten Vorwarnzeit verbleiben, sind zentral gelegene öffentliche Schutzräume für mehrere Hundert oder Tausend Menschen keine geeignete Schutzmaßnahme."

BBK-Präsident Ralph Tiesler hatte darauf hingewiesen, dass es auch früher "nie mehr Schutzräume als für drei Prozent der Bevölkerung" gegeben habe. Vertreter der Ampel-Koalition wie Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatten dafür plädiert, vor allem in Warninfrastruktur, Notstromaggregate, Notbrunnen, mobile Unterkünfte zur vorübergehenden Unterbringung und Versorgung von Menschen und in die Abwehrfähigkeit von IT-Attacken und den baulichen Schutz kritischer Infrastrukturen zu investieren.

Wie sieht es in anderen Ländern aus? 

Polen hatte im Frühjahr angekündigt, Bunker und Schützengräben an seiner Grenze zu Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad zu bauen. Im Fokus beim Thema Zivilschutz steht auch immer wieder Russlands Nachbarland und Neu-Nato-Mitglied Finnland: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatten sich dort Bunkeranlagen angeschaut. 

In Finnland, mit 5,5 Millionen Einwohnern, gibt es 50.500 Bunker, die fünf Millionen Menschen Schutz bieten. Die Anlagen stammen aus der Zeit des Kalten Krieges. Allein in den Bunkeranlagen in der Hauptstadt Helsinki gibt es Platz für 900.000 Menschen, mehr als die Stadt Einwohner hat.

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Erstellt:
26. November 2024, 12:18 Uhr

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