Chorsänger faszinieren mit weittragenden Stimmen
Das Konzert „Licht und Schatten“ des Stuttgarter Knabenchors Collegium iuvenum in der Murrhardter Stadtkirche mit vollendet interpretierten Werken vom Frühbarock bis zur Moderne ist ein Publikumsmagnet.
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Eine Sternstunde der Chormusik ist das Konzert des Knabenchors Collegium iuvenum aus Stuttgart unter der Leitung von Sebastian Kunz in der fast voll besetzten Stadtkirche. Das Programm unter dem Motto „Licht und Schatten“ umfasst Kompositionen vom Frühbarock bis in die Gegenwart. Die Chorsänger faszinieren mit bezaubernd klangschönen und weittragenden Stimmen. Alle Interpretationen und Interaktionen der Stimmgruppen erfolgen in höchster Präzision und Harmonie, die Inhalte der Texte werden stimmig und überzeugend zum Ausdruck gebracht. Die Besetzung variiert in dem Sinne, dass manche Werke nur erwachsene Sänger vortragen. Zudem tritt ein Trio mit besonders markanten Stimmen hervor, das Strophen im Wechsel mit dem Tutti des Chors intoniert. Thematisch passend zum Motto wechseln Lobgesänge mit Klageliedern.
Eindrücklich, da melodisch und harmonisch sehr vielschichtig vertont und rhythmisch abwechslungsreich gestaltet, wirkt „Unser Leben ist ein Schatten“. Dieses frühbarocke Chorstück zu Bibeltexten und geistlichen Gedichten schuf Johann Bach, Großonkel von Johann Sebastian Bach. Bemerkenswert ist die treffende klangmalerische Darstellung des Schattens durch die Knabensoprane in schnellen, rasch verklingenden Figuren, die gleichsam wie flüchtige Erscheinungen verschwinden. Der Übergang von der Renaissance zum Frühbarock spiegelt sich in den unterschiedlichen Klang- und Rhythmuselementen des Werks „Tröstet, tröstet mein Volk“ von Heinrich Schütz zu Versen aus dem Buch des Propheten Jesaja wider. Feierlich und beschwingt thematisieren die Chorsänger die Aufforderung des „Predigers in der Wüste“, Johannes des Täufers, dem Herrn den Weg zu bereiten, und die freudige Hoffnung auf die Ankunft des Messias.
Hoch emotional bringt das Collegium iuvenum das ergreifende, zur aktuellen Krisensituation Israels passende spätromantische Werk „Wie liegt die Stadt so wüst“ von Rudolf Mauersberger zu Versen aus den Klageliedern Jeremias zur Entfaltung. Darin illustrieren düstere Klangstrukturen, die Assoziationen von Gewalt und Grausamkeit hervorrufen, die Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch die Babylonier 587 vor Christus.
In scharfem Kontrast dazu stehen die hymnischen Harmonien, die die Stadt als „allerschönste“ und Wohnort Gottes symbolisieren. Angesichts der schrecklichen Bilder von den Ereignissen im Nahen Osten wirken der verzweifelte Aufschrei und die flehende Bitte an Gott um Hilfe sehr berührend. Wunderbar wohlklingende Hörerlebnisse sind die Vorträge (spät-)romantischer Chorwerke. Bei Knut Nystedts Lobgesang „Ich will dich preisen, o Herr“ nach Psalm 9 im hymnischen englischen Stil schwingen sich die glockenhellen, lautstarken Knabensoprane in höchste Höhen. Max Regers Morgengesang und Nachtlied erfüllen mit stimmungsvollen, lyrisch-atmosphärischen Klangfacetten den Kirchenraum. Eine starke Ermutigung, auch unter widrigsten Umständen auf Gottes Hilfe zu vertrauen, ist Felix Mendelssohn Bartholdys „Richte mich, Gott“ nach Psalm 43 in prächtigen romantischen Melodie- und Harmoniebögen. Fast barock mutet die jubilierende Hymne „Jauchze und rühme“ von Licinio Refice aus dem 20. Jahrhundert nach Worten des Propheten Jesaja an.
Eine Improvisation als Orgelhommage
Organist Moritz Jäger begleitet den Chor stimmig meist am Orgelpositiv und bereichert das Programm mit zwei Stücken an der Mühleisen-Orgel. Effektvoll inszeniert er Louis Viernes Scherzetto Opus 31 Nr. 14: Kurze, verspielte, innovative Motive verdichten sich zu schwebenden Klangstrukturen und wirken wie die spannungsvolle Suche nach einem großen Geheimnis. Zudem hat er die Improvisation „Lux – Licht“ kreiert: Die Idee dazu entstand beim Üben am Vortag, erzählt er. Das Klangpotenzial der Orgel und die hervorragende Akustik des Raumes haben ihn fasziniert und inspiriert.
Mit tiefsten Tönen erzeugt er einen dunklen, brummenden Klang, der an düstere Gewitterwolken erinnert. Allmählich steigt daraus Licht auf, dargestellt durch immer höher rückende Klänge, als ob Wolken nach einem Gewitter aufreißen und die Sonne hindurchscheint. Die höchsten Töne wirken wie glitzernde und funkelnde Sterne am Nachthimmel. „Der fließende Übergang von den tiefen, dunklen zu den hohen, hellen Tönen hat mit der Orgel sehr gut funktioniert“, sagt Jäger. Am Abschluss ist ein Geräusch wie das Rauschen des Windes zu hören. Das Publikum ist vom Konzert so begeistert, dass es mit Rufen und viel Applaus um eine Zugabe bittet, die der Chor mit einem beschwingten Barockstück einlöst.