Minister Hubertus Heil über das Ampel-Aus

„Christian Lindner hat ideologische Maximalforderungen gestellt“

Die Ampelkoalition ist gescheitert. Wie konnte es dazu kommen? Arbeitsminister Hubertus Heil gibt FDP-Chef Christian Lindner die Schuld. Und er erklärt, was er bis zu Neuwahlen möglichst noch bewegen möchte – auch beim Thema Rente.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gibt FDP-Chef Christian Lindner die Schuld für das Scheitern der Ampel.

© dpa/Martin Schutt

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gibt FDP-Chef Christian Lindner die Schuld für das Scheitern der Ampel.

Von Tobias Peter

Es sind turbulente Tage im politischen Berlin. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärt, wie es aus seiner Sicht zum Ampelbruch gekommen ist. Und er ruft die Union zur Zusammenarbeit bei wichtigen Entscheidungen auf.

Herr Heil, als Arbeitsminister gehört auch der gute Umgang am Arbeitsplatz zu Ihren Themen. Wie fanden Sie die Art, wie Kanzler Olaf Scholz Finanzminister Christian Lindner rausgeworfen hat?

Der Bundeskanzler hat eine richtige und notwendige Entscheidung getroffen. Es ist die Aufgabe von verantwortlichen Regierungsmitgliedern, gerade in schwierigen Situationen sachgerechte Lösungen und Kompromisse zu finden. Dazu war Lindner nicht bereit. Es wirkte auch so, dass er sich aus parteitaktischen Gründen aus der Regierungsverantwortung zurückziehen wollte.

Woran machen Sie das fest?

Der Bundeskanzler hat in intensiven Gesprächen versucht, gemeinsam mit den Koalitionspartnern konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, die unser Land jetzt braucht. Christian Lindner dagegen hat ideologische Maximalforderungen aufgestellt, die im Ergebnis nicht zu verantworten waren. Sein Vorschlag etwa, sehr wohlhabende Menschen steuerlich zu entlasten und im Gegenzug die soziale Sicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schwächen, zeigt genau das Problem: Er hat das Wohl der großen Mehrheit der Menschen in Deutschland aus den Augen verloren.

Die Ampel ist am Tag des US-Wahlsiegs von Donald Trump geplatzt. Hätten Sie sich an einem solchen Tag in der Bundesregierung nicht alle zusammenraufen müssen, bis es ein Ergebnis gibt?

Ich hätte mir das gewünscht. Der Kanzler hat tragfähige Vorschläge gemacht, um gerade in dieser Zeit unserer außenpolitischen Verantwortung gegenüber der Ukraine gerecht zu werden, die Wirtschaft in Deutschland zu stärken, Arbeitsplätze zu sichern und die arbeitende Mitte zu entlasten. Die FDP war nicht gewillt, diesen Weg mitzugehen.

Scholz hat im Koalitionsausschuss vom Finanzminister eine Ausnahme von der Schuldenbremse für die Ukraine-Hilfe verlangt. Lindner sagt, er habe nicht gegen seinen Amtseid verstoßen wollen.

Wir haben alle als Regierungsmitglieder geschworen, Schaden von unserem Land abzuwenden. Das heißt in der jetzigen Zeit, dafür zu sorgen, dass wir äußere Sicherheit gewährleisten können, wirtschaftspolitisch das Notwendige tun und für soziale Sicherheit sorgen müssen. Christian Lindner hat als Finanzminister in der Vergangenheit selbst Überschreitungsbeschlüsse verantwortet, die in solchen Situationen im Grundgesetz auch ausdrücklich in Artikel 115 vorgesehen sind. Das ist weder ein Verfassungsbruch noch eine Verletzung des Amtseids. Der laufende Angriffskrieg in der Ukraine und die wirtschaftliche Lage erfordern vielmehr, davon Gebrauch zu machen.

Ohne FDP hat die Ampel keine Mehrheit im Bundestag mehr. Trotzdem hatte der Kanzler angekündigt, die Vertrauensfrage erst am 15. Januar stellen – mittlerweile signalisiert er Gesprächsbereitschaft. Spielen Sie hier die parteitaktischen Spiele, die Sie anderen vorwerfen?

Nein. Die Bundesregierung ist handlungsfähig, gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist gerade jetzt nach der Wahl in den USA und angesichts der Lage in der Ukraine wichtig. Und es gilt, auch im Bundestag noch vor Weihnachten wichtige Entscheidungen zu treffen. Wenn es etwa darum geht, unsere Wirtschaft zu stärken und um Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Familien zu entlasten. Darüber und über den Termin der Neuwahl, so hat es der Kanzler angekündigt, sollte jetzt möglichst unaufgeregt auch mit allen demokratischen Fraktionen des Bundestages gesprochen werden. Auch die von der Bundeswahlleiterin genannten Anforderungen an den ordnungsgemäßen Ablauf einer demokratischen Wahl sollten dabei berücksichtigt werden. Dann entscheiden die Bürgerinnen und Bürger in einer Wahl, wem sie zukünftig die Regierungsverantwortung anvertrauen.

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz sagt, der Bundeskanzler dürfe seine starke verfassungsrechtliche Stellung nicht missbrauchen.

Das ist ein absurder Vorwurf. Bundeskanzler Olaf Scholz geht verantwortungsvoll mit seinem Amt um. Friedrich Merz hat noch an keinem Tag seines Lebens Regierungsverantwortung getragen. Es geht jetzt darum, dass die nötigen Schritte verantwortungsvoll ablaufen. Wir stehen in der Pflicht, zügig die Wirtschaft zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern.

Wie soll das funktionieren? Mit der verbleibenden rot-grünen Regierung haben sie weder einen Haushalt für das kommende Jahr noch eine Mehrheit im Parlament.

Wir werden die gesetzgeberischen Entscheidungen, die für unser Land jetzt wichtig sind, dem Deutschen Bundestag vorlegen, etwa wenn es darum geht, zum 1. Januar die arbeitende Mitte zu entlasten und Familien zu stärken. Auch die Union ist jetzt gefordert, sich zu fragen, was braucht das Land.

Warum sollte die Union Ihnen helfen?

Weil es um Deutschland geht. Verantwortung tragen in der Demokratie nicht nur die Abgeordneten aus Regierungsfraktionen, sondern auch die aus Oppositionsfraktionen. Wir sollten auch noch in dieser Legislaturperiode dafür sorgen, dass sich alle Generationen auf stabile Renten verlassen können.

Eine Mehrheit für Ihre Rentenpläne haben Sie nicht einmal zusammenbekommen, als die Ampel noch nicht auseinandergebrochen war.

Ich werbe dafür. Es geht darum, die Weichen für sichere Renten in der Zukunft zu stellen. Die Rente ist kein Geschenk. Die Menschen haben sie sich durch ein Leben voller Arbeit verdient. Deshalb muss das Rentenniveau langfristig stabilisiert werden. Der aktuelle Rentenbericht zeigt wie wichtig das ist: Die Renten steigen im kommenden Jahr wieder deutlich, schätzungsweise um 3,5 Prozent, weil die Löhne im vergangenen Jahr wieder gestiegen sind. Das ist eine gute Nachricht. Wir wollen das sich auch nachfolgende Generationen darauf verlassen können, dass sie später noch eine stabile Rente bekommen und Renten steigen, wenn die Löhne steigen. Das ist ein Gebot der Leistungsgerechtigkeit.

Wäre es nicht fair, das Renteneintrittsalter an die Lebenswartung zu koppeln? Wenn die Menschen älter werden, könnte so ein Teil dieser Zeit in die Erwerbsarbeit und ein Teil in die Rentenzeit gehen.

Eine weitere Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ist der falsche Weg. Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würde das in der Realität schlicht eine Rentenkürzung bedeuten. Wer in der Pflege, im Bau oder im Handwerk arbeitet, schafft es nicht, noch länger zu arbeiten. Wir wollen lieber dafür sorgen, dass diejenigen, die freiwillig länger arbeiten wollen, auch etwas davon haben. Dafür haben wir die Rentenaufschubprämie auf den Weg gebracht. Das ist die bessere Lösung.

Es gibt eine ungewöhnliche Konstellation im Kabinett. Volker Wissing ist als einziger der FDP-Minister im Kabinett geblieben und tritt dafür sogar aus der Partei aus. Ist er jetzt der einsamste Mensch im politischen Betrieb Berlins?

Ich habe enormen Respekt davor, dass Volker Wissing weiter Verantwortung in der Regierung übernimmt und nicht wegläuft – auch wenn das sicher keine einfache Situation für ihn ist. Er stellt seine Verantwortung für unser Land über Parteiinteressen. Er ist ein pflichtbewusster Kollege und anständiger Mensch.

Die Bundestagswahl rückt jetzt näher. Wird der Kanzler in jedem Fall auch der Kanzlerkandidat der SPD sein?

Ganz sicher. Olaf Scholz hat gezeigt, wie beharrlich und besonnen er daran arbeitet, unterschiedliche Positionen zusammenzuführen und Lösungen für das Land zu erreichen. Wo andere längst aufgegeben hätten, bleibt er ruhig und entschlossen. Das macht ihn zum Kanzler, den Deutschland in diesen Zeiten braucht.

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Erstellt:
9. November 2024, 00:10 Uhr

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