Das Gift der Nationalisten
Demokraten müssen zusammenstehen und ehrliche Antworten auf die zentralen Herausforderungen liefern.
Von Eidos Import
Ein Blick nach Skandinavien kann beruhigend wirken. Die extrem-rechten Parteien sind in Finnland, Dänemark und Schweden bei der Europawahl eingebrochen. Die linken Parteien konnten ihre Erfolge kaum fassen, denn im großen Rest von Europa feiert ein kruder Nationalismus seine Rückkehr.
Wie ein Hoffnungsschimmer erscheint auch die Entwicklung in Frankreich. Dort hat ein linkes Bündnis bei den Parlamentswahlen den erwarteten Erfolg der rechtsextremen Marine Le Pen verhindert. Das war eine Sensation, wurde von Europas Demokraten euphorisch gefeiert, ist in Wirklichkeit aber ein Pyrrhussieg. Denn die Rechtsextremen wurden lediglich über ein wahltaktisches Manöver der Linken ausgebremst. Tatsache ist, dass in Frankreich fast jeder dritte Wähler Marine Le Pen seine Stimme gegeben hat.
Aus den Ergebnissen in Skandinavien und Frankreich lassen sich einige Lehren ziehen. Die extrem-rechten Kräfte sind besiegbar, wenn die Demokraten im entscheidenden Augenblick an einem Strang ziehen, wie in Frankreich bei den Parlamentswahlen geschehen. Und ihre meist holen Parolen können entzaubert werden, wenn man sie inhaltlich stellt und sich nicht von ihnen die Themen und den Duktus der Auseinandersetzung aufzwingen lässt. So war im Wahlkampf in Schweden der Kampf gegen den Klimawandel ein Schwerpunkt. Zur gleichen Zeit wurde in Deutschland und vielen anderen Staaten Europas auf Druck der Rechten die Migration als nationale Schicksalsfrage diskutiert – erfolgreich waren dort die extremen Kräfte.
Zu viele Parteien der demokratischen Mitte lassen sich vor den Karren der Rechten spannen. Denn auch sie arbeiten immer häufiger mit der Polarisierung von Themen, was am Ende nur den extremen Kräften nutzt. Natürlich lebt Politik von der Zuspitzung und Vereinfachung, sie ist eben mehr als ein trockenes Gespräch unter Fachleuten. Doch die Gefahr in vielen aktuellen Debatten ist groß, in einem lebensfremden Dogmatismus steckenzubleiben, weil Inhalte zur Nebensache werden und vor allem Parolen und Schlagworte wiederholt werden.
Auch im Europaparlament, das sich diese Woche konstituiert, werden die immer selbstbewusster auftretenden extremen Rechten versuchen, den Demokraten ihre Themen aufzuzwingen. Die neu gegründete Fraktion der „Patrioten für Europa“ um Viktor Orban und Marine Le Pen sind zur drittstärksten Kraft geworden. Deren Abgeordnete werden ihre Redezeit und den neu gewonnen Einfluss nutzen, die Öffentlichkeit mit ihrem nationalistischen Gift zu überziehen. Für die großen Herausforderungen der Zukunft können sie aber keine Lösungen bieten. Weder haben sie eine intelligente Migrationspolitik noch einen fortschrittlichen Ansatz im Kampf gegen den Klimawandel und die damit zusammenhängen wirtschaftlichen Verwerfungen.
Das ist die Chance der demokratischen Parteien. Auf die drängenden Fragen müssen sie ehrliche Antworten finden und dann auch danach handeln. Die Menschen sind bereit, für Veränderungen gewisse Zumutungen in Kauf zu nehmen, wenn sie den Mehrwert erkennen. Frankreich könnte in diesem Sinne zum demokratischen Experimentierfeld werden.
Die Parteien haben die große Chance zu beweisen, dass man die extremen Rechten nicht nur bei einer Wahl mit einem taktischen Kniff, sondern auch inhaltlich besiegen kann. Im Moment sieht es allerdings danach aus, dass die Partei-Betonköpfe die Oberhand behalten und Frankreich in die Unregierbarkeit treiben. Marine Le Pen kann dieser Selbstzerstörung der Demokraten in aller Ruhe zusehen – die nächste Wahl kommt bestimmt.