Dem Glauben mit dem Pinsel nachspüren
Bernhard Lüdecke widmet sich seit nahezu 40 Jahren der Ikonenmalerei – Möglichkeit, sich seiner Religion zu verschreiben
Ostern und die Karwoche haben für Bernhard Lüdecke eine besondere Bedeutung. Als religiöser Mensch begeht er nicht nur die Feiertage sehr bewusst, er hat auch eine ungewöhnliche Form gefunden, seinem Glauben nachzuspüren und ihn auf ganz eigene Weise zu vertiefen. Der 80-Jährige malt Ikonenbilder – für sich und in Gemeinschaft mit anderen.
Von Christine Schick
MURRHARDT. Angefangen hat alles mit einer Familienfreizeit zu Beginn der 1980er-Jahre. Ingrid und Bernhard Lüdecke waren mit ihren fünf Kindern im Kloster Schöntal, um Urlaub zu machen. Ebenfalls zu Gast war eine Gruppe, die sich der Ikonenmalerei widmete. Angezogen von der orthodoxen Musik, die beim Arbeiten lief, nahm Bernhard Lüdecke Kontakt auf und erfuhr, dass die Kurse um Ostern und Weihnachten jedem offenstehen. Also meldete sich der Familienvater zum kommenden Frühjahr an und läutete damit eine Geschichte ein, die bis heute währt.
Bernhard Lüdecke ist seitdem in verschiedenen Klöstern und Bildungsstätten wie Riedlingen, Bad Wimpfen oder Löwenstein zu Gast, um sich in die Ikonenmalerei zu vertiefen – in der Regel in der Karwoche, an Pfingsten und im Sommer. Die Mischung aus Malen, Gemeinschaft, Andachten und vertiefenden Vorträgen begeistern ihn. „Ich kann mich da auch richtig dran erholen“, sagt er. Angeboten wird jedesmal ein bestimmtes Ikonenmotiv, wobei Bernhard Lüdecke mittlerweile als erfahrener und langjähriger Mitstreiter der Kurse auch schon mal sein eigenes mitbringt wie dieses Jahr in Löwenstein. „Ich habe mir die Hochzeit zu Kana herausgesucht“, erzählt er. Vorlagen beziehungsweise Motive gebe es viele. Wer macht die Ikone zur Ikone? „Entschieden hat das ein orthodoxes Gremium“, sagt er. „Im Prinzip spiegeln die Motive die Lebensabschnitte Christus.“ Die Bildersprache sieht auch bei der Farbgebung eine ganz bestimmte Symbolik vor – beispielsweise das weiße Gewand von Christus oder Gold, das für die Göttlichkeit steht.
Bernhard Lüdecke sagt, dass all dies letztlich eine Glaubenssache sei. Nun könnte man vermuten, dass er schon früh katholisch geprägt war. Mit einem Lächeln stellt der 80-Jährige fest, ursprünglich evangelisch gewesen zu sein. Als er noch vor dem Mauerbau aus der ehemaligen DDR 1956 nach Westdeutschland kam, lernte er seine Frau Ingrid kennen, die später die Leitung der Bodelschwinghschule Murrhardt übernahm – und mit ihr den katholischen Glauben. Es blieb nicht beim gemeinsamen Gang zum Gottesdienst, Lüdecke konvertierte auch. „Aber bis ich das alles wirklich verstanden habe, bis das auch im Herzen ankommt, dauert es seine Zeit“, merkt er an. Als gelernter Schlosser übernahm er in einer Zeit, in der dies noch alles andere als selbstverständlich war, einen erheblichen Teil der Alltagsverantwortung für die fünf Kinder, blieb auch über längere Phasen zu Hause.
Eine Möglichkeit, seinen Glauben zu vertiefen, war und ist die Ikonenmalerei. Das Meditative und die inhaltliche Auseinandersetzung in den Vorträgen mit den Motiven gehören mittlerweile ganz selbstverständlich zu seiner religiösen Praxis. Schritt für Schritt erarbeitet sich Bernhard Lüdecke ein neues Motiv. Nach der Auswahl bereitet er die Holztafel vor, auf der es seinen Platz findet. Auf die in vielen Schichten aufgetragene weiße Grundierung wird das Bild durchgepaust, dann ritzt er die Umrisse mit der Radiernadel ein. Damit stehen Skizze und Hintergrund, der nun feinsäuberlich mit einer dünnen Schicht Blattgold versehen wird. Bernhard Lüdecke präpariert die Fläche dann mit einem Kleber, ist er leicht angetrocknet, kann er die einzelnen hauchdünnen Blättchen auftragen.
Anschließend beginnt er mit Szenerie und Figuren. „Man malt vom Dunklen ins Helle“, sagt er, will heißen, Lichtpunkte und aufgehellte Stellen werden zum Schluss gesetzt. „Das Schwerste sind die Gesichter.“ Manchmal muss er immer wieder neu starten, wenn es an diesem Punkt nicht laufen will. Pro Tag verbringt er beim Kurs an die sechs Stunden vor der Holztafel, malt teils auch in den Pausenzeiten weiter, wenn er sich nicht losreißen kann. Über die Jahre ist die Erfahrung gewachsen – Lüdecke hat mittlerweile 130 Ikonen geschaffen – manches in puncto Künstlerbedarf auch einfacher geworden. Das Herstellen beziehungsweise Mischen von Eitempera barg die Gefahr, dass die Farbe zu sehr glänzte oder bröckelte, erzählt der 80-Jährige. Ganz davon abgesehen, dass man nach dem Auftragen eine Trocknungspause einlegen musste. Mittlerweile verwendet er vor allem Acrylfarben, aber auch eine fertige Mischung mit Eianteil gibt es zu kaufen.
Einen Teil seiner Schätze waren jüngst im Begegnungscafé der Kirche vor Ort zu sehen, haben sozusagen schon den Blick auf Ostern gerichtet mit den Motiven wie der Erweckung des Lazarus, Fußwaschung, Kreuzigung oder Auferstehung. Einen anderen Teil hat er bereits verschenkt, beispielsweise an einen Pater der Partnerschaft der katholischen Kirchengemeinde St. Maria in Ecuador oder an den befreundeten Pater Erich Schmid.
„Ich habe ja selbst schon ein biblisches Alter erreicht“, sagt Bernhard Lüdecke mit einem Lächeln. Seine Ikonenmalerei möchte er aber solange wie möglich fortsetzen. „Mir würde einfach so viel fehlen.“ Das Malen ist für ihn Möglichkeit, den Glauben nachzuvollziehen und zu verinnerlichen. Er hat ihm auch in schweren Zeiten geholfen. „Ich hatte einfach das Gefühl, da geht immer wieder eine Tür auf.“