Den Käfer und die eigene Sicherheit im Blick

Kühle Temperaturen und Niederschlag bedeuten für den Wald eine Verschnaufpause, doch sie wird nicht ewig dauern. Der April ist die Zeit, in der die Borkenkäfer durchstarten, und es gilt, Sturm- und Schadholz aufzuarbeiten. Eine teils gefährliche und gleichsam wichtige Aufgabe.

Revierförster Andreas Schlär mit Ralf Kobstädt (von links) in einem Waldstück bei Murrhardt, in dem eine Reihe von Fichten den Frühjahrsstürmen Ylenia, Zeynep und Antonia nicht standgehalten haben. Bei der Aufarbeitung des Holzes gilt es Vorkehrungen zu treffen und einiges zu beachten. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Revierförster Andreas Schlär mit Ralf Kobstädt (von links) in einem Waldstück bei Murrhardt, in dem eine Reihe von Fichten den Frühjahrsstürmen Ylenia, Zeynep und Antonia nicht standgehalten haben. Bei der Aufarbeitung des Holzes gilt es Vorkehrungen zu treffen und einiges zu beachten. Fotos: J. Fiedler

Von Christine Schick

Murrhardt. Es ist ein ungemütlicher Schneeregen, der an diesem Morgen in einem Waldstück im Gewann Streitweiler an der Gemarkungsgrenze zwischen Murrhardt und Auenwald niedergeht und Frühlingsgefühle noch auf Distanz hält. Trotzdem. Spätestens an Karfreitag, so die grobe Regel, machen sich die Borkenkäfer auf, um sich an angeschlagenen Bäumen gütlich zu tun. Deshalb haben sich Andreas Schlär, der als Revierförster für die südlichen Waldgebiete Murrhardts zuständig ist, Jürgen Baumann und Philipp Dölker vom Kreisforstamt sowie Ralf Kobstädt, Waldbesitzer und forstwirtschaftlicher Lohnunternehmer, in dem Waldstück eingefunden. Es hält einige spektakuläre Szenarien bereit: mehrere umgestürzte große Fichten, deren Wurzelblock aus der Erde ragt, zwei noch stehende Bäume, die aber wie eine überdimensionale Schreibtischlampe ihren oberen Stamm und ihre Krone in einem Bogen nach unten neigen, und eine Fläche, die durch Sturm- und Folgeschäden fast leer gefegt ist und so die Ränder und Einzelbäume angreifbar macht.

Die Fachleute erläutern, wie hier was zusammenwirkt, und es ist ihnen ein Anliegen, vor allem an die Privatwaldbesitzer eine doppelte Botschaft zu senden: Es ist wichtig, das Schadholz aus dem Wald herauszunehmen, gleichzeitig appellieren sie, dabei die eigene Sicherheit genau im Blick zu behalten und sich im Zweifel vom Profi unterstützen zu lassen. „In letzter Zeit gab es allein im Kreis zwei tödliche Unfälle bei Waldarbeiten“, sagt Jürgen Baumann. Er zeigt auf die beiden hochgewachsenen, gebogenen Kandidaten. „Wenn es schneit, die Krone nass und schwer wird, können die einfach ohne Vorwarnung brechen oder umkippen. Da muss man echt aufpassen, das ist so was wie eine Zeitbombe.“ Diese „Hänger“, wie die Forstleute sagen, und unter Spannung stehende Bäume müssen als Allererstes gefällt werden, und wer das als Privatwaldbesitzer nicht weiß, weil sein Alltag ganz anders aussieht und die Erfahrung fehlt, begibt sich in große Gefahr.

Selbst für Routiniers wie Ralf Kobstädt heißt es, „vorsichtig und überlegt zu arbeiten“. Im Zweifel raten die Forstleute, das in solch einem Fall vom Profi erledigen zu lassen, der die entsprechenden Schnitttechniken und einen Blick für kritische Situationen hat. „Es ist wichtig, nie allein in den Wald zu gehen, um Holz zu machen“, sagt Andreas Schlär. Weitere Punkte sind eine gute Schutzausrüstung, entsprechendes Werkzeug und sicherheitstechnische Vorkehrungen wie die Rettungskette nicht aus den Augen zu verlieren. Bei kleinen Privatwaldgebieten ist es manchmal günstiger, den Holzeinschlag mit dem Forstrevierleiter zu bündeln, auch in Bezug auf die schnellere Abfuhr und einen besseren Preis, erläutert er. Denn eins ist klar: Wo Sturmholz liegt und nur noch einzelne, angeschlagene Bäume stehen, ist der Borkenkäfer nicht weit. „Das ist für ihn ein gedeckter Tisch“, stellt Schlär fest. Die Runde macht einen sogenannten Überwinterungsbaum aus. Er ist an den weißen Rinnsalen erkennbar, die das Harz an der Rinde hinterlassen hat, um sich gegen die Käfer zu wehren.

Ralf Kobstädt holt eine Axt, dreht die Klinge weg und schlägt gegen den Baum. Fallen dann grüne Nadeln nach unten, ist das ein Zeichen dafür, dass er schon schwer angeschlagen, der Saftstrom unter der Rinde unterbrochen ist. „Entweder das Harz tötet sie oder der Baum schafft es nicht“, sagt Jürgen Baumann. „Die Käfer kommunizieren über Pheromone, die sie in die Umgebung abgeben.“ Die Botschaft ist dann beispielsweise: „Hey, kommt her, ich hab einen Baum gefunden“ oder „Hier sind schon alle Restaurantplätze belegt“. Um die noch gesunden Bäume zu schützen, ist es wichtig, die chancenlosen sowie das Sturmholz aus dem Wald zu holen. An manchen Stellen lassen sich auch die typischen Holzmehlablagerungen vom Käferfraß ausmachen. Das heißt nicht, dass befallene Bäume generell wertlos sind. „Die Insekten sitzen unter der Rinde, dadurch können sich farbliche Veränderungen ergeben, aber das Holz lässt sich in der Regel ganz normal ernten und verwerten“, sagt Baumann. Hinzu kommt, dass der Holzpreis wieder angezogen hat, sprich die Waldbesitzer mehr Geld für ihre Ware bekommen, nach der aktuellen Schätzung 70 Euro pro Festmeter.

Vorher heißt es aber, das Holz schlichtweg aus den Flächen herauszuziehen, um es an Wegen oder auf dafür vorgesehenen Plätzen für den Abtransport zu lagern. „Das reicht, weil der Käfer nur etwa 700 oder 800 Meter weit fliegt“, erklärt Baumann. Aber abgerissene Kronen, frische Zweige und Material, das noch im Saft steht, sollten abgeräumt werden, denn auch dort kann sich der Borkenkäfer, der sich bekanntlich fantastisch vermehrt, satt fressen. Weniger locken ihn bereits trockene Äste. Andreas Schlär ergänzt: Ein Verbrennen des Materials oder der Einsatz von Spritzmitteln ist aus naheliegenden Gründen wie Waldbrandgefahr und zusätzliche Chemiebelastung keine Option.

Und wie sieht die Zukunft des Waldes aus? Die Runde schätzt, dass die Fichtenbestände weiter zurückgehen, allerdings sind sie in den Privatwäldern des südlichen Forstreviers noch vergleichsweise hoch, teils über 50 Prozent. Philipp Dölker lässt den Blick schweifen und sagt: „Wir werden die Fichte nicht mehr aktiv pflanzen.“ Dort, wo sie sich über eigene Samen (Naturverjüngung) hält, habe sie aber noch ihre Berechtigung. Gleichsam setze man auf stärker mit Laubbäumen durchmischte Wälder, genauso müsse darauf geachtet werden, dass die Bäume nicht so stark in die Höhe schießen, gedrungener wachsen, um weniger sturmanfällig zu sein. Und Andreas Schlär ist sich sicher: „Die Forst- und Landwirtschaft wird in den nächsten Jahren noch stark an Bedeutung gewinnen.“

Wenn Bäume sich neigen und unter Spannung stehen, können sie plötzlich brechen.

© Jörg Fiedler

Wenn Bäume sich neigen und unter Spannung stehen, können sie plötzlich brechen.

Der Privatwaldanteil ist hoch

Wald und Flächen Nach Informationen des Landratsamts umfasst die Waldfläche einen Anteil von rund 40 Prozent der Gesamtfläche des Rems-Murr-Kreises. In Zahlen sind das ungefähr rund 34000 Hektar, von denen 15750 Hektar Staatswald, 7300 Hektar Kommunalwald und 11000 Hektar Privatwald sind. In Murrhardt sind sogar 55,2 Prozent der Gemarkungsfläche bewaldet, die Zuständigkeiten teilen sich dort wie folgt auf: 21 Prozent sind Staatswald, 24 Prozent Stadtwald und 55 Prozent Privatwald.

Hilfe und Beratung Wer sich als Privatwaldbesitzer zum Thema erkundigen möchte, kann sich an die Revierförster des jeweiligen Gebiets wenden. Karte und Ansprechpartner finden sich im Netz unter https://tinyurl.com/2w5cw33y.

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Erstellt:
9. April 2022, 06:00 Uhr

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