Der CSD wird so groß wie nie zuvor
150 Formationen gehen am Samstag auf die Strecke. Politpromis wie Claudia Roth bis Cem Özdemir werden erwartet – aber auch TV-Star Bruce Darnell.
Von Uwe Bogen
Stuttgart - Vor zwei Jahren waren es 100, vor einem Jahr 131, diesmal werden es genau 150 Formationen sein – von CSD zu CSD wird der Demonstrationszug in Stuttgart immer größer. CSD-Sprecher Detlef Rasch vermeldet einen neuen Rekord. Das Sicherheitskonzept der Polizei sei auf „400 000 bis 500 000 Besuchenden“ ausgelegt. So viele Menschen werden also am Wochenende erwartet.
Bei der Demo am Samstag, 27. Juli, zeigt die Stadt, wie bunt sie ist. Laut und fröhlich dürfte es zugehen zwischen Feuersee (Start dort um 13 Uhr) bis zur Planie (Kundgebung dort an der Ecke zum Schlossplatz gegen 16.15 Uhr). Bei aller Partystimmung geht es aber vor allem um Politik. Die Veranstalter fürchten, dass sich die Gesellschaft „zurückbewegt“, weil sich die Fälle von Hasskriminalität gegen queere Menschen in Deutschland häuften, auch in Stuttgart und in der Region. Deshalb sei es wichtig, die Rechte der LGBTIQ-Gemeinschaft zu stärken und gemeinsam mit Heterosexuellen für das Pride-Motto zu werben: „Vielfalt leben – jetzt erst recht.“ Die Botschaft also lautet: Wir sind eins – und alle dürfen so sein, wie sie sind.
Stuttgart vereint unter dem Regenbogen – so könnte es heißen, aber die ganze Stadt ist es nicht. Fast alle Parteien, die in den Parlamenten vertreten sind, haben sich zum CSD angemeldet – mit Ausnahme der AfD. So musste der CSD-Verein nicht darüber entscheiden, ob eine rechtsextreme Partei dabei sein darf. Bestimmt hätte sich eine klare Mehrheit dagegen entschieden. Nach dem Eklat vom vergangenen Jahr, als eine Antifa-Gruppe den Zug störte und der CSD-Sprecher Detlef Raasch verletzt wurde, wollen die Veranstalter diesmal genau darauf schauen, was auf den Plakaten steht. „Es gilt die Demonstrationsfreiheit“, sagt Raasch, „aber was gegen Gesetze verstößt, wird von uns nicht toleriert.“
Auf dem Truck der CSD-Veranstalter dürfen diesmal keine Politikerinnen und Politiker mitfahren. Vor einem Jahr war SPD-Bundeschefin Saskia Esken als Schirmfrau vorneweg dabei. Weil in diesem und im nächsten Jahr Wahlen anstehen, will der CSD-Verein Wahlkämpfenden keine Plattform bieten. Die drei Schirmpersonen aus einem multireligiösen Bündnis werden in der Fußgruppe vor dem CSD-Truck mitmarschieren. Es sind: Lisa Strelkowa von den LGBTJews, Atahan Demirel als Vertreter der Queer Muslimischen Allianz Deutschland und Olcay Miyanyedi von der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg.
Wie immer werden viele Politikerinnen und Politiker an der größten Demo von Stuttgart teilnehmen. Erstmals dabei ist Stuttgarts OB Frank Nopper (CDU), der in den vergangenen Jahren für seine Nichtteilnahme kritisiert wurde. Der Rathauschef fährt auf dem VfB-Truck mit und sagt, dass er mit zunehmenden Alter „reifer, weiser und einsichtiger“ geworden sei. Hoch auf dem VfB-Wagen wird er (mit dem schwulen Fanclub Stuttgart Junxx) den Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) treffen, der – wie im letzten Jahr – die erste Hälfe der Demo beim VfB mitfährt, dann absteigt, um sich für den Rest in die Fußgruppe der Grünen einzureihen. VfB-Chef Alexander Wehrle, der Anfang August seinen langjährigen Partner heiratet, ruft in den sozialen Medien zur Teilnahme am CSD auf und verweist auf die „Anfeindungen“, gegen die man sich gemeinsam wehren müsse.
Erwartet werden außerdem Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Landtagspräsidentin Muhterem Aras (beide Grüne), die nach der Demo gegen 16.15 Uhr bei der Kundgebung an der Planie/Schlossplatz sprechen. Der Start, sonst um 15 Uhr, wird mit Rücksicht auf die Jazz Open auf 13 Uhr vorlegt, weil es dort am früheren Abend einen Soundcheck gibt, den man nicht stören will.
Neu dabei ist in diesem Jahr unter anderem die Universität Stuttgart mit einer über 400 Menschen großen Fußgruppe, das Pressehaus Stuttgart (Hitradio Antenne 1, Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten), der Kindermagazinverlag Blue Ocean sowie das Kinder- und Jugendhospiz Stuttgart. Ein Teil der Hocketse am Samstag und Sonntag findet diesmal am Rotebühlplatz statt, an dem die Straße gleich nach der Demo für den gesamten Verkehr gesperrt wird. Dort legt am Sonntag unter anderem die 76-jährige DJ Elly auf, ein Star der Community.
Während sich OB Nopper für den VfB angemeldet hat, fährt seine Frau Gudrun Nopper auf dem 14 Meter langen Truck des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga mit. Dort sind viele bekannte Gastronomen aus Stuttgart dabei: von Conny Weitmann (Weitmann’s Waldhaus) über Lorenz Grohe (Malo), Stefanie Stoll (Römerkastell), Dennis Shipley (Alte Kanzlei), Michael Presinger und Alexander Scholz (Perkins Park), Martin Arnold (Schlesinger), Tim Berkener (Hi Life Club), Konstantin Kraft (Hotel Gloria), Markus Knörzer (Brauereigasthaus Sanwald), Piero Cuna (La Commedia) bis zu Benjamin Kieninger (Fridas Pier).
Auch „Layla“-Sänger DJ Robin und Varieté-Chef Timo Steinhauer fahren beim Dehoga mit. Die Stuttgarter DJane Alegra Cole legt derweil beim FDP-Truck auf. TV-Star Bruce Darnell fährt auf dem Truck von Outlet-City Stuttgart mit. ie seit über 20 Jahren wird Clublegende und „Schwulenmutter“ Laura Halding-Hoppenheit auf einem Motorrad beim Demozug chauffiert. Das gesamte Ensemble von „La Cage aux Folles“, das im Theater der Altstadt nach dem großen Erfolg vom vergangenen Jahr im August erneut aufgeführt wird, ist als Fußgruppe dabei.
Susanne Heydenreich, die scheidende Intendantin des Theaters der Altstadt, sitzt in der Jury, die aus den über 150 Formationen die besten auswählt. Jurymitglied ist außerdem der Stuttgarter Polizeipräsident Markus Eisenbraun. Tom Ulmer, ein weiterer Polizist, spricht auf der Kundgebung: Er hat 1994 den Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter mitgegründet. Damit sendet der CSD-Vorstand ein klares Zeichen. Im Mai hatte es in der Stuttgarter Community heftigen Streit gegeben, weil zu einer Veranstaltung zum Internationalen Tag gegen Homophobie ganz bewusst keine Polizeibeamte eingeladen wurden. Von „Ausgrenzung“ war die Rede. Die Veranstalter wollen mit den beiden Beamten in der Jury und bei der Kundgebung unterstreichen: Die Polizei ist nicht die Gegnerin der Community.
Im Aufruf zur Demo erklären die Veranstalter: „Gewalt und Hass gegen queere Menschen machen uns große Sorgen. Gleichzeitig rütteln sie uns alle wach. Wir dürfen uns nicht auf den Zugeständnissen ausruhen, die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten hart erkämpft haben. Wir dürfen es nicht riskieren, dass unsere Rechte und unsere Art frei zu leben und zu lieben wieder eingeschränkt werden und uns unsere Rechte wieder genommen werden.“