Nahostexpertin Muriel Asseburg in Stuttgart

Der Israel-Palästina-Konflikt - Welche Lösungsperspektiven gibt es?

Israels Gründung 1948 gilt als einer der entscheidenden Punkte im israelisch-palästinensischen Konflikt. Nahost-Expertin Muriel Asseburg spricht in Stuttgart über mögliche Lösungsansätze.

Palästinensische Kinder inspizieren in Deir al-Balah im zentralen Gazastreifen ein Haus, das bei einem israelischen Luftangriff zerstört wurde (Archivfoto).

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Palästinensische Kinder inspizieren in Deir al-Balah im zentralen Gazastreifen ein Haus, das bei einem israelischen Luftangriff zerstört wurde (Archivfoto).

Von Gülay Alparslan

Die Hamas vollständig zu zerschlagen und die verbliebenen israelischen Geiseln zu befreien - das ist das selbst erklärte Ziel Israels seit dem Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023. Nach rund eineinhalb Jahren Krieg ist die Hamas weiterhin aktiv und ein Teil der Geiseln befindet sich noch immer in Gefangenschaft. Die Bombardierung des Gazastreifens geht unterdessen nach dem Scheitern der Waffenruhe Mitte März weiter. Die Bilanz: Gaza ist in weiten Teilen völlig zerstört, zehntausende tote Zivilisten und kein Ende in Sicht. US-Präsident Donald Trump hat Premierminister Benjamin Netanjahu de facto einen Freibrief ausgestellt, der euphemistisch als freiwillige Auswanderung der Palästinenser bezeichnet wird. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen stellen sich zwei grundlegende Fragen: Erstens, wann ist eine rote Linie erreicht, an der es heißt: „Es reicht, wir liefern keine Waffen mehr“? Zweitens, ist unter diesen Umständen eine Zweistaatenlösung noch realistisch - und wenn ja, welche Schritte sind dafür notwendig?

Die Politikwissenschaftlerin und renommierte Nahost-Expertin Muriel Asseburg beschäftigt sich seit 30 Jahren mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt. In ihrem aktuellen Buch „Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza“ analysiert sie die komplexen politischen, sozialen und historischen Aspekte des Konflikts in der Region.

Über ihr Buch sagt sie: „Ich habe es explizit für ein deutsches Publikum geschrieben, weil unser Blick hier in Deutschland auf die Region stark von dem geprägt ist, was als Staatsräson bezeichnet wird“. Das habe zwar seine Berechtigung, aber der Blick durch die Brille der historischen Verantwortung verstelle der deutschen Gesellschaft den Blick auf die nahöstlichen Konfliktdynamiken, die Geschichte und den Kontext vor Ort.

Ist eine Zweistaatenlösung noch möglich?

Israels Regierung reagiere auf das, was am 7. Oktober geschehen sei. Dies geschehe jedoch in einer Art und Weise, „die nicht darauf ausgerichtet ist, eine konstruktive Lösung herbeizuführen, die einen tragfähigen Kompromiss erlaubt“. Vielmehr setze die aktuelle Regierung, die gerade dabei sei, die liberale Demokratie Schritt für Schritt abzubauen und die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken, auf einen militärischen Sieg und auf Vertreibung. „Letzteres ist nicht zu rechtfertigen, weil es völkerrechtlichen Prinzipien völlig widerspricht“, so die Nahost-Expertin.

„Ob es da keine rote Linie gibt, muss die neue Regierung beantworten“, so die Politikwissenschaftlerin. Im aktuellen Koalitionsvertrag gebe es zum Umgang mit Israel eine Kompromissformel. Darin heißt es, dass Deutschland Israel bei der Gewährleistung seiner Sicherheit unterstützt. Der Koalitionsvertrag enthalte aber weder einen Hinweis auf eine rote Linie noch auf das Völkerrecht oder darauf, „wie bemessen wird, was der Gewährleistung der eigenen Sicherheit Israels dient und was wir dafür als kontraproduktiv ansehen“.

Ist eine Zweistaatenlösung angesichts der aktuellen Entwicklungen überhaupt noch realistisch? „Derzeit bewegen wir uns ganz klar davon weg“, sagt die Expertin und erklärt: „Wir sehen das in den Leitlinien der Netanjahu-Regierung, die Anspruch auf das gesamte Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordanfluss erhebt“. Das sei auch bei der Diskursverschiebung zu beobachten, die Trump durch seinen Vorstoß in Richtung Vertreibung ausgelöst habe, aber auch an den Maßnahmen im Westjordanland. Dort werde Schritt für Schritt eine Annexion vollzogen, während die derzeitige israelische Regierung die Palästinensische Autonomiebehörde nicht mehr als Partner behandle.

US-Präsident Trump bei seiner Eitelkeit packen

Das bedeute aber nicht, dass eine Zweistaatenlösung vom Tisch sei. „Der arabische Wiederaufbauplan, der Anfang März vorgelegt worden ist, ist zumindest ein Ansatz für eine Zweistaatenlösung“, so Muriel Asseburg. Die Idee sei, einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen und dass zunächst ein Technokratenkomitee die Kontrolle über den Gazastreifen übernehme - ohne Beteiligung der Hamas. Parallel dazu soll die Autonomiebehörde reformiert und ihre Sicherheitskräfte besser ausgebildet werden. Innerhalb eines halben Jahres, so der Plan, könnten sie dann die Kontrolle über den Gazastreifen übernehmen. Zusätzlich könnte eine UN-mandatierte Präsenz in Gaza und im Westjordanland für mehr Sicherheit sorgen. In der Folge könnten die Konfliktparteien zusammengebracht und ein Verhandlungsprozess wieder aufgenommen werden.

Einen in die gleiche Richtung gehenden Ansatz verfolge der französische Präsident Emmanuel Macron. Dieser plane im Juni eine Konferenz mit Saudi-Arabien, um eine Zweistaatenregelung umzusetzen. Ziel sei es auch hier, „der Vertreibung und einer Vision, dass eine Seite in diesem Konflikt gewinnt und die andere verliert, etwas entgegenzusetzen“, so die Expertin. Geplant sei letztlich eine verhandelte Regelung, die das Selbstbestimmungsrecht beider Völker umsetze und es ihnen ermögliche, im Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordanfluss zu leben.

Einer Kooperation mit Saudi-Arabien kommt nach Ansicht der Expertin eine besondere Bedeutung zu. Sowohl die USA als auch Israel hätten ein Interesse daran, ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien zu vertiefen. Über diese Kooperation könne man möglicherweise Einfluss nehmen, um die Israelis wieder für eine Verhandlungslösung ins Boot zu holen. Allerdings sei dies mit der derzeitigen israelischen Regierung kaum zu erwarten.

Es gebe zwar keine hundertprozentige Chance auf Erfolg, aber zumindest eine kleine Chance, dass die Europäer und die arabischen Golfstaaten etwas bewegen. „Man könnte Donald Trump bei seiner Eitelkeit packen und sagen: ‚Du hast doch selbst immer gesagt, dass du den großen Deal zwischen Israel und Saudi-Arabien vermitteln willst. Jetzt gibt es die Chance, aber sie ist an eine Lösung der Palästina-Frage geknüpft’“, sagt die Expertin.

Info

Vortrag in StuttgartWer sich für das Thema Nahost-Konflikt interessiert, hat die Möglichkeit, an einem Vortrag von Muriel Asseburg teilzunehmen. Am Dienstag, 15. April, spricht die Expertin im Haus der Katholischen Kirche, Königstraße 7, 70173 Stuttgart, zum Thema „Nach der Waffenruhe in Gaza wieder Krieg - Perspektiven für eine Konfliktlösung im Nahen Osten“. Beginn ist um 19 Uhr, Ende um 20.30 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.

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Erstellt:
15. April 2025, 15:10 Uhr
Aktualisiert:
15. April 2025, 15:19 Uhr

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