Der Kampf gegen das Sterben im Meer

Die Migrationsdebatte ist notwendig, aber verengt. Seit Jahren sterben Tausende Menschen auf ihrer Flucht.

Von Eidos Import

Nichts bewegt die Politik derzeit mehr als die Frage, wie sich Migration vernünftig steuern lässt. Es ist das Thema unserer Zeit, weshalb wir in den kommenden Wochen eine große Serie dazu veröffentlichen, die von der globalen bis zur lokalen Perspektive alle Aspekte beleuchten soll. Dieser umfassende Ansatz fehlt derzeit in der deutschen Debatte über illegale Einwanderung. Die Migrationspolitik hat an vielen Stellen versagt, auch bei der inneren Sicherheit. Aber der größte Skandal bleibt die Tatsache, dass das Mittelmeer seit vielen Jahren ein Massengrab ist. Es braucht in der Migrationsfrage einen deutschen, aber auch einen europäischen Ansatz, um die immensen Probleme zu lösen. Es geht um unsere Humanität.

Vor allem nach der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 schienen die Verantwortlichen angesichts der Monstrosität des Problems kapituliert zu haben. Das alte System war wegen des Ansturms von Millionen Asylsuchenden kollabiert. Die Europäische Kommission schlug zwar eine umfassende Neuregelung vor, passiert ist über Jahre aber herzlich wenig. Nun hat sich die EU kurz vor der Europawahl in diesem Jahr zu einer Reform des Asylsystems durchgerungen. Die Suche nach einem Kompromiss gestaltete sich äußerst schwierig. Der Grund: bei dem hochemotionalen Thema zieht sich eine tiefe Kluft quer durch die Europäische Union. So musste ein Ausgleich gefunden werden zwischen Ländern wie Italien, wo jedes Jahr Zehntausende Menschen über das Meer ankommen. Das Binnenland Ungarn wiederum will gar keine Flüchtlinge aufnehmen.

Die Reform zeigt vor allem, dass sich die Stimmung in der EU in Sachen Migration grundsätzlich gewandelt hat. Es ist keine Rede mehr von Willkommenskultur. Die Zeichen stehen auf Abschottung, Abschreckung, Abschiebung und die Auslagerung von Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten. Die Zahl der Schutzsuchenden soll reduziert werden. Was auf dem Meer passiert, bleibt außen vor. Dabei verstecken sich manche Staaten gerne hinter Italien, das unter Giorgia Meloni einen harten Kurs gegenüber den Flüchtlingen fährt. Griechenland, Malta und Zypern zum Beispiel unterstützen sie, wenn es um die Rolle von privaten Rettungsschiffen im Mittelmeer geht. Diese würden vor allem den in Libyen und Tunesien tätigen Schlepperbanden in die Hände spielen, heißt es. Dafür gibt es bisher keine Belege. Die Erfahrung zeigt: Wer den gefährlichen Weg an die Küste und die Lager in Libyen überlebt hat, der wagt sich auch in einem morschen Kahn aufs Mittelmeer – egal, ob dort ein Rettungsschiff kreuzt oder nicht.

Die Seenotretter selbst verweisen zu Recht darauf, dass sie nur versuchen, die klaffende Lücke so gut wie möglich zu schließen, die sich nach dem Ende der von Italien geführten Marineoperation Mare Nostrum im Jahr 2014 aufgetan hat. Damals hat sich die EU aus der Seenotrettung im zentralen Mittelmeer schrittweise zurückgezogen, was aus humanitärer Sicht eine Katastrophe war.

Ein Fortschritt wäre es schon, wenn die Informationen der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die mit ihren Drohnen Tag und Nacht die Region absucht, die Positionen der seeuntüchtigen Boote gezielt an die Rettungsschiffe weitergeben könnte. Das würde Tausende vor dem sicheren Tod bewahren. Im Moment wird genau das Gegenteil getan, die Aktivisten werden zunehmend behindert, kriminalisiert und diffamiert.

Dabei sind sie es, die zutiefst menschlich reagieren. Mit ihren Rettungsmissionen lösen sie aber in einer ängstlich gewordenen Wohlstandsgesellschaft Irritationen aus, denn diese Männer und Frauen geben durch ihr Tun den Statistiken ein Gesicht. Sie halten Europa den Spiegel vor, das vor dem Sterben im Mittelmeer die Augen verschließt.

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Erstellt:
16. September 2024, 22:10 Uhr
Aktualisiert:
17. September 2024, 21:58 Uhr

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